Offiziell kann jeder Ausländer, der illegal einwandert, innerhalb der EU wieder dorthin zurückgeschickt werden, wo er zuerst registriert wurde. In 2018 kamen nach Angaben der Flüchtlingsorganisation Acnur 139.300 Flüchtlinge und Immigranten nach Europa, die meisten davon kamen in Spanien an. Aus Kreisen der Deutschen Botschaft in Madrid ist jedoch zu hören, dass es schwierig ist, die Rückführung im Fall Spanien durchzuziehen, weil das Land zum einen an den Küsten derzeit überfordert ist und zum anderen auch keine richtige Abwicklungsstrategie bei der Registrierung verfolgt. Das Abkommen zwischen Premier Pedro Sánchez und Angela Merkel von vergangenem Sommer, das die Rücksendung von in Spanien registrierten Immigranten vorsieht, wenn sie über die deutsch-österreichische Grenze kommen, wurde erst bei einer Handvoll von Fällen angewandt. Problematisch ist erstens, dass Spanien seit geraumer Zeit schlampig registriert und zweitens nur die wenigsten Asyl beantragen.
Damit wird der Nachweis, wo die meisten der an der andalusischen Küste ankommenden Immigranten herkommen, schwierig. Unklar ist auch, wer den Rücktransport nach Spanien bezahlen soll. Minderjährige Einwanderer dürfen sowieso nicht zurückgeschickt werden, auch wenn, wie aus Kreisen von spanischen Hilfsorganisationen zu hören ist, die Franzosen dies an der Grenze zu Spanien praktizieren. Per Bus werden sie wieder zurück ins Baskenland gebracht, abgesetzt irgendwo auf einem Parkplatz und ihrem Schicksal überlassen. Der spanische Menschenrechtsverband „Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucía“ (APDHA) klagt in einem jüngsten Bereich „Informe Derechos Humanos en la Frontera Sur 2019“ die Praktiken in Andalusien an, wo viele der Minderjährigen nicht mehr in Schutzgewahrsam aufgenommen und einfach ihrem Schicksal überlassen werden. Viele kommen mit Schlepperbanden oder auch auf eigene Initiative über den gefährlichen Meeresweg.
7.000 Minderjährigen gelang in 2018 der Weg übers Meer nach Andalusien
Gemäβ der Statistiken von APDHA kamen 2018 7.053 minderjährige Afrikaner ohne Begleitung von Erwachsenen an Andalusiens Küsten, der „frontera sur“, an. Darunter waren vor allem Marokkaner, 6.063 davon waren Kinder. Nur 39% dieser Immigranten gelangt in den Schutz der Regionalregierung, die Übrigen werden sich weitgehend selbst überlassen, was die Organisation stark kritisiert. Andalusien sei nur eine Durchgangsstation für die Immigranten. Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass Hilfsorganisationen einige dieser „Obdachlosen“ zur französischen Grenze fahren. Sie werden dann an Parkplätzen im Baskenland ihrem Schicksal überlassen.
Hinweis Redaktion: Der Deutschlandfunk erklärte das mit den Minderjährigen schon 2018: „Für viele junge Marokkaner heißt der Traum Europa. Und so wagen jedes Jahr mehr die Überfahrt nach Spanien. Manche aus eigenem Entschluss, viele werden aber auch gezielt von ihren Familien geschickt. Denn Minderjährige dürfen in Spanien nicht abgeschoben werden.” Wie viele sind also Anker-Jugendliche?
Die andalusische Regierung, inzwischen eine rechtsliberale Koalition, käme ihrer Aufsichtspflicht nicht nach, kritisiert APDHA. Die ausländischen Kinder hausten in den Straβen von Jérez, Córdoba und Sevilla und die Politik schaue weg. Wer von den Immigranten älter als 16 Jahre ist, hätten auch keine Chance mehr, eine Schulausbildung zu bekommen. Damit ist für viele der Weg in die Kriminalität vorgezeichnet. Insgesamt kritisieren sie, dass die spanische Immigrationspolitik, in Wirklichkeit den Ausschluss der Einwanderer fördere und nicht wie sie versuchten dem Medien und dem internationalen Publikum zu vermitteln, deren Integration. Auch die Rücksendung in ihre Heimatländer funktioniere meist nicht, weil sie minderjährig sind, weswegen kein anderer Ausweg bleibe, als die Kinder wie jedes andere Kind in das eigene Sozialsystem zu integrieren.
Marrokaner sind die gröβte Immigranten-Gruppe
Dagegen machen Parteien wie die rechtsextreme VOX und inwischen auch schon die konservative PP Stimmung. Illegale Einwanderung ist für die spanische Bevölkerung jedoch eher aus solidarischen Gründen eine Sorge, nicht aus rassistischen wie viele Studien bestätigen. Dennoch, auch beim aktuellen Wahlkampf für den Urnengang zur Parlamentsbesetzung am 28. April, spielt das Thema Immigration, auch aufgrund einer globalen Stimmungsmache, welche Politikern wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro an die Macht verholfen hat, eine zunehmend wichtigere Rolle in Spanien.
14 Prozent der spanischen Bevölkerung sind Einwanderer, die meisten kommen aus Marokko, Rumänien und Ecuador. Sie machen ein Fünftel der Erwachsenen zwischen 25 und 49 Jahren aus.
Anzahl der Immigranten, die in Spanien offiziell gemeldet sind
(in Millionen)
Quelle: INE, spanisches Statistikamt
Wie die Tabelle zeigt, kommen nur die wenigsten dieser Immigranten über den Meeresweg, sondern wie im Fall von Rumänien, Kolumbien, Argentinien, Venezuela und Ecuador vor allem mit dem Flugzeug. Die Zahl der illegalen Immigranten, die sich in Spanien aufhalten, wird von verschiedenen Organisationen und Institutionen auf rund eine Million geschätzt, darunter auch viele Venezulaner, die als Touristen gekommen und dann einfach im Land geblieben sind. Von ihnen reisen viele weiter nach Deutschland oder Frankreich.
Top Ten der Ursprungsländer der Gesamt-Einwanderung in Spanien 2018
1. Marokko 825.674
2. Rumänien 593.532
3. Ecuador 404.414
4. Kolumbien 394.431
5. Argentinien 256.071
6. Venezuela 255.071
7. Groβbritannien 248.824
8. Frankreich 203.556
9. Peru 201.993
10. China 195.345
Quelle: INE, spanisches Statistikamt
Wachsende Immigration vs steigender Radikalisierung von Jihadisten
15 Jahre nach dem Attentat von Atocha ist eine zunehmende Radikalisierung der straffällig gewordenen Immigranten in den Gefängnissen zu registrieren, vor allem unter den Marokkanern. Nach einem Bericht des spanischen Think Tanks Real Instituto de Elcano gäbe es in Spanien keine Strategie, diese Radikalisierung, die meist zum Jihadismus erfolgt, effizient zu bekämpfen. Es ist demnach auch einer neuer Trend, der vor dem Attentat von 2004 mit fast über 200 Toten, nicht beobachtet wurde. Allerdings radikalisieren sich die meisten Immigranten immer noch in ihrer eigenen Umgebung, gemäβ der Studie gilt das für rund 40% der Terrorverdächtigen oder bereits Verurteilte. Rund 31% treffen sich an geheimen Orten und 30% an offenen Plätzen.
Auch wenn Experten immer wieder beteuern, dass es keinen direkten Zusammenhang gibt zwischen der massiven illegalen Immigration in Spanien und der wachsenden Anzahl von Terroristen in den Gefängnissen, sind die Gefahren auf dem Weg nach Europa und das spätere Überleben ohne in die Kriminalität abzurutschen, nicht von der Hand zu weisen. Die spanische Flüchtlingsorganisation Acnur warnte Anfang dieses Jahres nochmals vor dem gefährlichen Weg übers Meer, den im vergangenen Jahr fast 65.000 Menschen wählten, um nach Europa zu kommen. Der UN-Hochkommissar Filippo Grandi ruft dazu auf, mutig zu sein: „Wir können diesen Tragödien ein Ende setzen, wenn wir den Mut und die Ambition haben, weiter als das Boot zu schauen und uns für mehr internationale Kooperation einsetzen, die sich um das Leben und die Würde der Menschen kümmert“.