Die Wahl im Juli hat Spanien in eine Lage gebracht, die eigentlich nicht lösbar ist. Die konservative Partei errang zwar am meisten Sitze, verfügt jedoch über keine Mehrheit im Parlament. Sozialisten und Kommunisten scheinen jetzt eine Vereinbarung mit jeweils zwei – unterschiedlich radikalen und untereinander verfeindeten – linken Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien und dem Baskenland getroffen zu haben, die ihnen zunächst die Wahl von Pedro Sánchez zum Ministerpräsidenten und später eine Minderheitsregierung ermöglichen sollen.
Die baskische EH Bildu, laut Miguel Folguera vom Verband der Opfer des Terrorismus (AVT) (Bericht von TeleMadrid), der politische Arm der Terrororganisation ETA, wird von Arnaldo Otegi geleitet. Otegi war wegen der Entführung des baskischen Unternehmers Luis Abaitua zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Jüngst wurde er von früheren ETA-Kampfgefährten beschuldigt, weitere Entführungen geplant und durchgeführt zu haben.
EH Bildu hat schon in der letzten Legislaturperiode die jetzt noch geschäftsführende sozialistisch-kommunistische Regierung unterstützt und dafür weitgehende Zugeständnisse bekommen.
Carles Puigdemont, der ehemalige Führer von JUNTS PEL SI, war vorher nach Belgien geflohen, um einer Verurteilung zu entgehen. Als Abgeordneter des Europaparlaments genoss er Immunität, die das EU-Parlament aber aufhob. Vor wenigen Wochen entschied der EUGH endgültig, dass diese Aufhebung rechtens war und die spanische Zeitung El País berichtete, dass die Staatsanwaltschaft einen neuen Haftbefehl beim Richter des obersten spanischen Gerichtes, Pablo Llarena, beantragen würde. 2022 wurde dann aus den vielen einzelnen nach der Unabhängigkeit strebenden Parteien das Bündnis JUNTS gegründet.
Die Personalie Puigdemont ist aus vielen Gründen heikel. Dass er und die Seinen jetzt aktiv, und nicht nur passiv durch Stimmenthaltung, die sozialistisch-kommunistische Regierung unterstützen müssen, erhöht den Preis, der dafür von PSOE und SUMAR zu bezahlen sein wird, deutlich.
Der Kampf der Mehrheit der spanischen Gesellschaft gegen die „Amnestie“ und die Gewährung der Unabhängigkeit des Baskenlandes und Kataloniens von Spanien, die von vielen Beobachtern, selbst aus der sozialistischen PSOE, als Selbstauflösung des spanischen Staates gesehen wird, wird an unterschiedlichen Fronten geführt. Der CGPJ (Consejo General del Poder Judicial) erklärte eine geplante „Amnestie“ kürzlich für nicht rechtmäßig. Auch die EU fordert jetzt, sehr spät, Aufklärung über diese geplanten Gesetze. Denn für die EU könnte aus der Auflösung des spanischen Staates ein Problem entstehen, das bisherige Krisen als harmlos erscheinen lässt.
Möglich wurde diese Situation im Parlament durch immer weitreichendere Privilegien für kleine, nationalistische Parteien, die mit vergleichsweise wenigen Wählerstimmen viele Sitze und damit unverhältnismäßigen Einfluss besitzen. Jetzt, wie in der Vergangenheit, setzen diese kleinen, nationalistischen Parteien diese Macht rücksichtslos zum Erreichen ihrer Ziele ein.
Gleichzeitig gibt es in Madrid seit Tagen Kundgebungen und Demonstrationen mit mehr als 100.000 Teilnehmern gegen die geplante „Amnestie“ und die neue mögliche Minderheitsregierung aus Sozialisten und Kommunisten durch Tolerierung von Parteien, die in ihren Reihen verurteilte beziehungsweise vor der Justiz geflohene Straftäter dulden.
Bei diesen Demonstrationen kam es verschiedentlich zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die linke Seite macht dafür „rechte Gewalttäter und Neonazis“ verantwortlich und sagt, dass Gewalt und Aufrufe zur Gewalt nicht geduldet werden könnten. Bei Pro-Palästina-Demonstrationen der letzten Zeit sah man das auf linker Seite jedoch nicht so streng. Hier durften die übelsten Aufrufe zur Vernichtung Israels und aller Juden ungehindert und ohne irgendwelche Folgen für die meist linken Täter geschrien werden.
Die Präsidentin des Landes Madrid, Isabel Díaz Ayuso, verurteilte die Gewalt bei den Demonstrationen und verlangt, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Sie verweist aber zu Recht auf historische Parallelen, bei denen sozialistische Diktaturen durch die Hintertür errichtet wurden. Unbegründet ist diese Angst nicht. Die Aussetzung des Rechts – denn die „Amnestie“ für rechtskräftig verurteilte Straftäter wird als der zu zahlende Preis für die Zustimmung zur Wahl des Sozialisten Sánchez als Ministerpräsidenten gesehen – könnte der erste Schritt zu dieser Entwicklung sein.
Das Attentat am 9. November auf den früheren Präsidenten der PP und Gründer von VOX, Alejo Vidal-Quadras, zeigt jedoch, dass das tatsächliche Gewaltproblem, wie schon früher von ETA und GRAPO (Grupos de Resistencia Antifascista Primero de Octubre), die für zahlreiche Morde, Bombenanschläge und Terrorakte verantwortlich waren, ein in der jüngeren spanischen Geschichte hauptsächlich dem linken Spektrum zuzuordnendes Phänomen ist. Man kann nur hoffen, dass dieser Terrorakt nicht der Auftakt zu einer neuen Gewaltspirale ist. Die Tatsache, dass Sozialisten und Kommunisten zu allem bereit sind, um an der Macht zu bleiben, gibt allerdings zu wenig Hoffnung Anlass.
Ein weiteres Problem Spaniens ist aber auch die massenhafte illegale Einwanderung aus hauptsächlich islamischen Ländern. Anders als in Deutschland gibt es in Spanien ein weit zurückreichendes Geschichtsbewusstsein. Die endgültige Befreiung des Landes von der islamischen Zwangsherrschaft, die Reconquista, vor etwas mehr als 500 Jahren, ist noch lebhaft im kollektiven spanischen Gedächtnis verankert. Auch deshalb riefen die Demonstranten der letzten Tage: Spanien ist christlich.
Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.