Der ehemalige Pressechef der Spanischen Botschaft in Berlin (2004-2009) und politische Berater Luis Martos hat den sich immer mehr in Gewalt ausdrückenden Konflikt zwischen Madrid und Katalonien schon vor einigen Jahren vorausgesehen: “Es war klar, dass dieser zu einer “katalanischen Frage” werden würde, welche das Land zereisst.“ Der 71jährige hat nicht nur die erste Regierung Spaniens nach der 1978 durch Referendum ratifizierten Verfassung und damit den Übergang in die Demokratie beruflich miterlebt, sondern auch das Ende der baskischen Terrorgruppe Eta vor 10 Jahren. Er rät deswegen wie viele in diesen Tagen zu einer Grossen Koalition von Konservativen (PP) und den aus den Wahlen am Sonntag als Gewinner hervorgehenden Sozialdemokraten (PSOE). Es würde auch deswegen Sinn machen, weil beide Parteien als die Hauptschuldigen des Konflikts angesehen werden.
Derzeit sieht es aber so aus, dass es nach dem zweiten Urnengang in diesem Jahr eine Koalition zwischen der PSOE und der linken ehemaligen Bürgerbewegung Podemos geben wird. Aus Kreisen der PP, welche Pedro Sánchez monatelang blockierte, ist zu hören, dass Sprecherin Cayetana Álvarez de Toledo angesichts dieses möglichen Linksruck nun doch bereit sei zu einer solchen Grossen Koalition mit der PSOE, da beide auf die absolute Mehrheit im Parlament kämen, was mit Podemos nicht der Fall wäre. Diese wären auch auf die Unterstützung regionalnationalistischer Parteien wie die baskische PNV angewiesen.
Grosse Koalition für Verfassungsreform: Nation der Nationen
„Angesichts der Dramatik der Lage müssen wir die Verfassung den neuen Gegebenheiten anpassen. Nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament können wir in der Präambel verankern, dass Spanien ein Staat mit drei Nationen ist: der baskischen, der katalanischen und der spanischen.“ Und genau diese neue Aufassung des spanischen Staates sei notwendig, um den Dauer-Konflikt mit Basken und Katalanen zu überwinden, welche sich in groβen Teilen nicht als Spanier fühlten: „Eine Möglichkeit zu einem Referendum zur Selbstbestimmung sollte hier ebenfalls unter ganz klaren Bedingungen verankert werden,“ fordert Martos. Allerdings dürfte die neue Koalition zwischen Podemos und PSOE wohl ebenfalls eine ähnliche Verfassungsreform anstreben, da sie beide für föderale Strukturen und das Konzept einer „Nation der Nationen“ sind. Aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit dürfte nur mit langen gesellschaftlichen Debatten zu erreichen sein.
Die aktuelle katalanische separatistische Regierung unter Quim Torra trägt derzeit jedenfalls nicht dazu bei, dass die Lage sich beruhigt, sondern macht weiter Druck. Ob sie sich durch eine solche mögliche Verfassungsänderung beinflussen lassen würde, bleibt abzwarten. Die PP will seine Absetzung, das ist aber juristisch nicht durchzusetzen, sagt die amtierende PSOE. Auch wenn einige Vertreter der Unabhängigkeits-Befürworter immer wieder zu Dialog aufrufen, war die Rede der antikapitalistischen Partei CUP nach den Wahlen an diesem Sonntag eindeutig: „Die Schlacht auf den Strassen geht weiter“, sagte Sprecherin Mireia Vehí. Die in Katalonien lebende Schweizerin Stefanie Zanier identifiziert sich nicht mit der kleinen, aber lauten CUP. Sie hält die Mitte Oktober bekanntgegebene Verurteilung der neun Politiker, die am 1.Oktober 2017 ein gemäβ der spanischen Verfasssung illegales Referendum organisiert hatten, jedoch für „unhaltbar“: „Die Reaktion des Zentralstaates ist völlig überzogen“, sagt die ehemalige spanische Delegierte des Auslandschweizerrats. Sie selber ist bei den groβen Protesten und Märschen in den vergangenen Wochen und Monaten immer dabei gewesen, zusammen mit ihrem katalanischen Mann.
Deutsche Investoren in Spanien werden langsam sehr nervös
Der scheinbar überwindbare und seit Jahren aufgeheizte Konflikt beginnt auch die deutschen Investoren in Spanien extrem an die Nerven zu gehen. Der Präsident des Kreises der Deutschen Führungskräfte in Barcelona (KdF), Albert Peters, findet in diesen Tagen klare Worte zu den seit Wochen andauernden Gewaltprotesten der separatistischen Gruppe CDR (Comités de Defensa de la República), die jetzt auch die Grenze zu Frankreich blockieren: „Jede ungesetzliche, willkürliche Aktion von Parteien, Bürgerinitiativen oder sogenannten Gruppen führt zu noch mehr Unsicherheit in einer ohnehin schon angespannten Situation.“ Autobahnblockaden oder brennende Container schreckten ab: „Wir brauchen unbedingt wieder Ruhe und Vertrauen. Dazu müssen alle Beteiligten beitragen nach den Wahlen und der hoffentlich baldigen Regierungsbildung.“ Aber das ist nicht einfach, weil die spanische Politik derzeit von groβen Egos bestimmt wird.
Die Sozialdemokraten setzen auf Dialog und über ihre katalanische Schwester PSC, die dort inzwischen zweitstärkste Kraft ist, auf Co-Regierungen mit den Separatisten auf lokaler Ebene, genauso wie der mögliche Koalitionspartner Podemos. Ciudadanos, welche ihren Ursprung in Katalonien haben, und auch PP und VOX fordern dagegen die komplette Ausgrenzung separatistischer Ideen und die Aussetzung der katalanischen Autonomie. Die linke Podemos, mit der die PSOE koalieren könnte, tritt dagegen für ein Referendum in Katalonien ein, was Sánchez wiederum bisher ablehnt. Martos warnt davor, dass wenn es nicht schnell zu einem konstruktiven Pakt mit Katalonien komme, der Rechtsradikalismus in Form von Vox sich weiter im Land ausbreiten werde und sich die alten Fronten des Bürgerkrieges damit noch verstärken würden. Die autoritäre Vox hatte auch dank der Veröffentlichung von Verhörprotokollen festgenommener Radikaler vor den Wahlen am Sonntag, in denen von geplanten Anschlägen die Rede war, enormen Zuwachs erfahren. Sie ist jetzt mit 15% drittstärkste Kraft im spanischen Parlament.
Millionenverluste zwingen zum zügigen Handeln
Die seit der Veröffentlichung der Gefängnisstrafen für die neun Separatisten durch die Proteste entstandenen wirtschaftlichen Schäden werden in einem Dokument vom spanischen Bau- und Transportministerium, auf das die katalanische Zeitung „El Periódico Zugriff“ hatte, auf über 7,3 Mio. Euro geschätzt. Es enthält allerdings nur die Schäden bis Ende Oktoer, die Verluste, welche die Grenzschliessung zwischen La Jonquera (Girona) und Frankreich aufgrund der Strassensperrung verursachen, sind noch gar nicht abzuschätzen. Einige deutschen Produktionen schlossen ihre Fabrik in diesen Tagen, weil sie nicht ausliefern konnten. Andere mussten ihre Lieferwege komplett umdisponieren. KdF-Vertreter Peters weist daraufhin, dass es bei den aktuellen Sorgen nicht nur um ausländische Unternehmen gehe, sondern auch um die heimische Wirtschaft: „Niemand hat es besser gesagt als Karl Marx: Kapital ist ein scheues Reh und flüchtet wie eine Gazelle. Wir rufen deswegen alle Beteiligten auf: Dialog und Verhandeln ist keine Schwäche sondern in einer Demokratie absolute Notwendigkeit.“ Darauf verweist auch der Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung Wilhelm Hofmeister: „Nicht einmal die Hälfte der Katalanen sind für eine Unabhängigkeit, weshalb diese Menschen auch Gehör finden sollten.“
Vox ist der groβe Gewinner des Katalonien-Konflikts
Gewinner des Konfliktes zwischen Madrid und Barcelona sind dagegen eindeutig die Rechtspopulisten von VOX, deren Fans am Wahlabend vor dem grünem Parteigebäude standen und bei Erscheinen des Vorsitzenden Santiago Abascal laut riefen: „Präsident, Präsident!“. Er war wohl der einzige, der an diesem Sonntagabend nach den Wahlen die Sektkorken hat knallen lassen, denn fast alle anderen haben verloren oder kamen wie die PP auf sehr bescheidene Ergebnisse. Mit 52 Sitzen im Parlament kann VOX nun erstmals bei vielen nationalen Entscheidungen mitwirken. In welche Richtung das gehen wird, ist klar. Allerdings haben PSOE und VOX in diesen Tagen ungewollt einen gemeinsamen Nenner gefunden: Abascal hatte jüngst gefordert, nach Belgien solange keine per Euro-Haftbefehl Gesuchte auszuliefern, bis die dortige Justiz den ehemaligen separatistischen Regierungschef Carles Puigdemont der spanischen Justiz übergebe, der dort seit zwei Jahren lebt. Auch Sánchez hatte vor den Wahlen am Sonntag angekündigt, dass er alles tun würde, um Puigdemont nach Spanien zu bringen, wo eine hohe Gefängnisstrafe auf ihn wartet. Beiden wird vorgeworfen, dass sie die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellten.