Vor einigen Tagen, noch vor Veröffentlichung des genauen Wortlautes des „Gesetzes zur Amnestie“, warnte die Präsidentin des Landes Madrid, Isabel Díaz Ayuso, vor der Errichtung einer sozialistischen Diktatur durch die Hintertür. Nur einige Tage später, so der Radiosender Ondacero, schlossen sich nun, da der Wortlaut des Gesetzes veröffentlicht wurde, die vier wichtigsten Verbände von Richtern und Staatsanwälten, darunter die Asociación Profesional de la Magistratura (APM) und die Asociación Profesional e Independiente de Fiscales (APIF), dieser Ansicht an.
Die Vereinigungen von Richtern und Staatsanwälten warnen, laut der Zeitung El Mundo, „dass das Gesetz Ausdruck des reinsten Chávismus sei (nach Hugo Chávez, der Venezuela in eine sozialistische Militärdiktatur verwandelte) und das Ende der Unabhängigkeit der Justiz in Spanien bedeuten würde“.
In ihrem Kommuniqué schreiben die Vertreter der APM: „Seit geraumer Zeit weisen wir auf den gravierenden Verfall der Institutionen und der Rechtsstaatlichkeit hin. Mit großer Sorge beobachten wir das andauernde Bemühen, die Justiz zu diskreditieren und sie in ihrer Funktion zu behindern. Außerdem registrieren wir permanente Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und Versuche, die Gewaltenteilung auszuhebeln“.
In diesem Gesetz, das rückwirkend gelten soll, wurde auf Drängen von Carles Puigdemont, dem Führer von Junts, der umstrittene Begriff „lawfare“ aufgenommen. Der Begriff ist von „warfare“ abgeleitet und soll das frühere Handeln der spanischen Justiz als schmutzigen und illegalen Justizkrieg gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung diskreditieren.
Auch der Generalrat der Justiz (Consejo General del Poder Judicial, kurz CGPJ), so die Zeitung La Voz de Galicia, lehnt die im Regierungsabkommen enthaltenen Verweise auf den Justizkrieg als „sowohl semantisch als auch inhaltlich unzulässig“ ab und warnte, dass er „auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg“ handeln werde, falls parlamentarische Kommissionen zur Untersuchung von Gerichtsverfahren eingesetzt würden.
„Der Text des Gesetzes“, so der CGPJ, „würde die Amnestie auf verurteilte Straftäter ausdehnen und zu Opfern eines angeblichen Justizkrieges machen“. Weiter sähe das Gesetz „Verantwortungsmaßnahmen“ gegen damals beteiligte Richter und Staatsanwälte vor.
Die Zeitung El Mundo weist in einem Artikel auf mögliche Folgen des „Ley de Amnistía“ hin: In bewusster Mehrdeutigkeit, der unterzeichnenden Parteien PSOE und Junts, deutet alles darauf hin, dass dies der Weg sein soll, um Fälle wie den des Anwalts von Puigdemont, Gonzalo Boye, der wegen Geldwäsche von Drogengeldern angeklagt ist, auf die lange Bank zu schieben. Ähnliches könnte mit einem weiteren Fall geschehen, der für Junts zwar relevant ist, aber offensichtlich nichts mit der Procès-Guerilla-Bewegung (Unabhängigkeitsbewegung) zu tun hat.
Hier geht es um die Vergabe öffentlicher Aufträge an enge Freunde. Ein solcher Fall war der von Laura Borrás, der Vorsitzenden von Junts, die zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Denkbar ist auch, daß die Gesetzesrevisionen darauf abzielen, Terrorismusvorwürfe gegen Carles Puigdemont und Marta Rovira in einer weiteren Anklage fallen zu lassen. Möglich wäre zudem die rückwirkende Anwendung des Gesetzes auf den wegen Bestechlichkeit vor Jahren verurteilten früheren Präsidenten Kataloniens Jordi Pujols.
El Mundo berichtet weiter von besonders pikanten Aussagen von Carles Puigdemont, bei einer von ihm einberufenen Pressekonferenz in Brüssel, wo es Journalisten nicht erlaubt war, Fragen zu stellen. Der Vorsitzende von Junts betonte die Position der Stärke seiner Partei und sagte, dass ihre Vertreter „weder Delikte eingestehen noch um Vergebung bitten würden“. Weiter erklärte er, dass das vereinbarte Gesetz „den gemeinsamen Willen von Junts und PSOE unterstreiche, niemanden, der in irgendeiner Weise verfolgt wurde, auszugrenzen“. „Nur weil diese Personen den Prozess der Unabhängigkeit unterstützt hätten“, so Puigdemont, „sollen sie weder strafrechtlich noch administrativ oder wirtschaftlich verfolgt werden“.
Und weiter sagte Puigdemont, vor Genugtuung schier platzend: „Anders als in der letzten Legislaturperiode, in der die Regierung von Pedro Sánchez genügend Stimmen hatte, muss sich die Regierung die Zustimmung von Junts in dieser Legislaturperiode Tag für Tag, Vereinbarung für Vereinbarung, verdienen“. Und: „Ohne unsere Zustimmung hat Pedro Sánchez diesmal keine Chance. Gibt er unseren Forderungen nicht nach, wird er auf dem Müllhaufen der Geschichte landen“.
Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.