Am Sonntag gelang den Wissenschaftlern und Ingenieuren des privaten Raumfahrtunternehmens SpaceX die Sensation: Das unbemannte Raumfahrzeug Starship hob von Starbase, dem SpaceX-Raketenstartplatz in Boca Chica im US-Bundesstaat Texas, zu seinem fünften Testflug ab.
Die erste Stufe der Rakete drehte dann um und flog automatisch wieder zurück zur Startrampe. Dort landete sie zum ersten Mal präzise gesteuert von den Raptor-Raketenmotoren in den »Chop-sticks«-Armen, den Greifarmen des Startturmes. Die fingen den Raketenkörper ein und hielten ihn fest. Starship ist die größte bisher gebaute Rakete, überragt die bisherige Rekordrakete Saturn V um ganze zehn Meter. Sie besteht aus einer 70 Meter hohen Trägerrakete, die mit flüssigem Methan und Sauerstoff angetrieben wird. Darauf sitzt das 50 Meter hohe Raumschiff. Beide Teile sind ganz im Stile der neuen Zeit so konstruiert, dass sie nach Rückkehr auf die Erde wieder verwendet werden und neu starten können. Die Triebwerke sollen insgesamt den doppelten Schub von Saturn V erzeugen.
Diese neue Superrakete mit einem Startgewicht von 5000 Tonnen soll eine Ladung von über 100 Tonnen ins All transportieren und Astronauten auf den Mond bringen können. Später sollen auch Flüge bis zum Mars möglich sein. Rund 100 Menschen sollen dermaleinst mitfliegen können. Zum Vergleich: die Saturn V-Rakete der NASA, die seinerzeit Astronauten zum Mond transportierte, brachte 2950 Tonnen auf die Startrampe.
Denn das Gebilde ist ein hochgradig instabiles System. Versuchen Sie einmal, einen Bleistift senkrecht auf der Spitze ihres Fingers zu balancieren! Das leistet Starship. Der Schwerpunkt des Bleistiftes liegt weit oben, und selbst kleine Neigungen oder Bewegungen führen dazu, dass der Bleistift aus dem Gleichgewicht gerät. Um ihn in der Balance zu halten, müssen Sie den Finger ständig anpassen, um den Schwerpunkt des Bleistifts direkt über dem Finger zu halten.
Ähnlich verhält es sich mit einer Rakete, die sich durch die Atmosphäre bewegt. Die ist ein hoher, dünner Körper, der ständig aerodynamischen und gravitativen Kräften ausgesetzt ist. Jede kleine Abweichung kann dazu führen, dass die Rakete kippt oder sich dreht – mit fatalen Folgen. Um dies zu verhindern, müssen Steuerungssysteme kontinuierlich kleine Korrekturen vornehmen.
Beim Balancieren des Bleistiftes müssen Sie ständig auf winzige Bewegungen reagieren, indem der Finger in die entgegengesetzte Richtung bewegt wird, um das Gleichgewicht zu erhalten. Dieser Prozess erfordert ständige Aufmerksamkeit und schnelle Reaktionen. Ähnlich wird eine Rakete durch ihre Steuerungssysteme stabilisiert. Die Schubvektorsteuerung, die Steuerdüsen und andere Mechanismen reagieren permanent auf kleine Abweichungen und korrigieren sie in Echtzeit.
Bei einer Rakete liegt der Schwerpunkt ebenfalls weit oben. Während des Fluges ändert sich der Schwerpunkt kontinuierlich, weil der Treibstoff verbraucht wird. Doch zu starke Korrekturen lassen das System kippen. Wieder Beispiel Bleistift: Wird er zu stark in eine Richtung bewegt, kann das zu einer Überkorrektur führen, die das Balancieren noch schwieriger macht. Eine sanfte und präzise Korrektur ist entscheidend, um den Bleistift stabil zu halten.
Genauso bei einer Rakete: Zu starke Korrekturen können die Rakete ins Schlingern bringen, was zu noch größeren Problemen führt. Deshalb sind die Steuerungssysteme so ausgelegt, dass sie sehr fein und präzise arbeiten, um nur so viel wie nötig zu korrigieren und keine übermäßigen Bewegungen zu erzeugen. Die inneren Triebwerke sind schwenkbar befestigt und können so die Schubrichtung verändern.
Eine großartige Leistung des SpaceX-Teams, gerade in der kritischen Landephase die Rakete so präzise zu schwenken, dass sie sich in die Greifarme des Landeturmes bewegt, während Erdanziehungskraft und Kipp-, Roll- und Gierbewegungen an der Konstruktion zerren.
Die Steuerung der Rakete wird durch raffinierte Flugkontrollsysteme und Künstliche Intelligenz ermöglicht. Diese Systeme berechnen in Echtzeit, wie sich die Rakete orientieren und den Kurs anpassen muss, um die Zielbahn genau zu treffen. Sie reagieren extrem schnell auf kleine Änderungen in der Fluglage und steuern Triebwerke und Steuerdüsen entsprechend.
Diese sogenannte »Vektorsteuerung« hat einen verblüffenden Ursprung: Peenemünde. Dort an der Ostsee entwickelten die Pioniere der Raketentechnologie – angeführt von dem legendären Wernher von Braun – in den 30er und 40er Jahren das »Aggregat 4«, die spätere V2, die weltweit erste Langstreckenrakete. Diese Rakete verwendete eine frühe Form der Vektorsteuerung zur Flugstabilisierung und Steuerung. Der Motor selbst konnte noch nicht bewegt werden, Graphitruder im Abgasstrahl lenkten den Schub des Triebwerkes zur Seite. Schnelle Rechner hatten die Raketenpioniere um von Braun allerdings seinerzeit nicht zur Verfügung. Sie mußten Kreiselsysteme mit pneumatischer Steuerung entwickeln.
Erst später kamen bewegliche Auslassdüsen, die durch leichtes Schwenken die Richtung des ausgestoßenen Raketenschubs verändern konnten. Damit kann der Flugkörper gelenkt werden, ohne dass aerodynamische Flügel wie bei einem Flugzeug oder andere externe Steuerungselemente notwendig sind. Bei der früheren V2-Rakete konnte der Motor nicht geschwenkt werden, sondern der Strahl wurde durch bewegliche Graphit-Ruder im heißen Abgasstrahl des Trieb-werks umgelenkt. Mit dieser Technik konnte die V2 ihre Flugbahn ändern. Das war seinerzeit revolutionär und legte den Grundstein für die Schubvektorsteuerung, die heute in praktisch allen modernen Raketen verwendet wird.
Allerdings hatten von Braun und seine Leute noch keine Computer zur Verfügung. Kreiselinstrumente registrierten die Lage im Raum, über Druckluft und Hydraulik wurden die Schwenkbefehle an die Triebwerke weitergeleitet.
Die Raptor-Triebwerke bei Musks Raketen werden übrigens mit Methan, dem einfachsten Kohlenwasserstoff, und Sauerstoff betrieben. Methan deswegen, weil sich das auch auf dem Mars herstellen ließe. So muß weniger Treibstoff von der Erde mitgenommen werden, kann also Gewicht gespart werden. Musk denkt interplanetarisch.
Allerdings ist Methan als Treibstoff für die Raketenmotoren nicht so sinnvoll wie Kerosin, das die doppelte Dichte von Methan hat. Außerdem verdampft es bei niedrigeren Temperaturen als Kerosin, das Triebwerk muß also besser gekühlt werden.
Learning by doing – das Prinzip bei der Raketenentwicklung von Elon Musk. Die Fehlstarts sind einkalkuliert, um beispielsweise den richtigen Brennkammerdruck und Schub herauszufinden. So explodierte bei dem ersten Testflug im April 2023 die Rakete vier Minuten nach dem Start, nachdem sie ins Taumeln geriet. Medien übergossen Firmenchef Musk mit Häme; sie hatten nicht begriffen, worauf es ankommt. Musk selbst äußerte sich jedoch zufrieden über den Testverlauf. Ziel sei es, mit möglichst vielen Starts Testdaten und nur eines zu sammeln: Erfahrungen, Erfahrungen, Erfahrungen.
Beim nächsten Test im November vor einem Jahr explodierten Trägerrakete und Raumschiff nach einer längeren Flugdauer ebenfalls, im März in diesem Jahr erreichte das Starship erstmals das All und beim vierten Testflug im Juni explodierte Starship nach erfolgreich verlaufenem Flug bei der Landung.
Jetzt also die spektakuläre Rückkehr und geglückte Landung. Wobei Landung der falsche Ausdruck ist. Sie »segelte« oder besser: »taumelte« senkrecht in die Greifarme des Landegestells, das Spaceship festklammerte. Damit wollen sich die Ingenieure aufwendige Landegestelle und das entsprechende Gewicht ersparen.
Die Raketen sollen wieder verwendet werden können. Das paßt trefflich zu einem Zeitgeist, der in jeder weggeworfenen Plastiktüte einen klimagefährlichen Umweltfrevel sieht. Doch bei der Raumfahrt ist der Gedanke der Wiederverwendung kritischer. Frühere Raketen wurden für Einmalstarts und -flüge konzipiert und auch produziert. Der Materialaufwand hält sich in überschaubaren Grenzen. Doch die Entwicklung einer wiederverwendbaren Rakete ist teuer und technisch anspruchsvoll. Die Raketen müssen so konzipiert werden, dass sie nach der Rückkehr zur Erde sicher landen und in einem brauchbaren Zustand bleiben.
Vorgängermodell Falcon 9 kann beispielsweise nach Angaben von SpaceX bis zu zehn Flüge mit minimaler Wartung durchführen, und mit umfangreicher Wartung sogar bis zu 100 Flüge. Dennoch nimmt der Verschleiß mit jedem Flug zu, irgendwann wird die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigt. Raketenkomponenten wie Hitzeschilde, die durch den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre stark beansprucht werden, müssen häufiger ersetzt werden.
Starship verwendet die neuen Raptor-Triebwerke, die leistungsstärker, aber auch komplexer als die Merlin-Triebwerke der Falcon 9 sind. Diese Triebwerke müssen wiederholt gezündet werden und dabei Temperaturen und Druck standhalten, die extrem hoch sind. Noch ist nicht klar, wie häufig sie wiederverwendet werden können. Doch laut SpaceX soll die Wiederverwendung einer Falcon 9-Rakete den Startpreis um etwa 30 Prozent senken – ein erheblicher Vorteil auf dem Raumfahrtmarkt.
Starship soll theoretisch 1000 Flüge absolvieren können. Ein ziemlich anspruchsvolles Vorhaben. Die Falcon 9, die aktuell die beste Erfolgsbilanz bei wiederverwendbaren Raketen vorweist, ist darauf ausgelegt, bis zu zehnmal ohne größere Überholung verwendet zu werden. Die beste bisherige Nutzung einer Falcon 9 waren 17 Wiederverwendungen einer einzelnen ersten Stufe. Dazu erscheinen im Vergleich 1.000 Flüge für Starship extrem ambitioniert.