Tichys Einblick
Ägäis reloaded

Sieben Transportschiffe der türkischen Marine bereit, Migranten überzusetzen

Inmitten der internationalen Corona-Krise versucht Erdogan erneut, die griechisch-türkischen Grenzen zu destabilisieren. Hunderte Migranten sind von türkischen Polizisten an die Ägäis-Küste gebracht worden, in Erwartung einer Überfahrt auf die Inseln – und das ausgerechnet zum orthodoxen Osterfest. Doch auch die Griechen sind gewappnet.

imago Images/Depo Photos

Nach seinem Misserfolg am Evros, der mit einem – von Merkel und Macron teuer bezahlten – Abzug der Migranten endete, versucht Erdogan sein Glück nun erneut an der Mittelmeerküste. Es ist der Plan B der Türkei, im Grunde aber der neu aufgelegte Plan A. Denn die Belagerung der Evros-Grenze war ja schon die Alternative zu dem anhaltenden Bootsverkehr in der Ägäis.

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Erneut wurden also »Flüchtlinge« in Busse gesetzt und an die Grenzen geschickt, diesmal an die Küste gegenüber von Lesbos, bei Assos und Ayvalik. Auch vor Chios, wiederum an der engsten Stelle zwischen Festland und Insel, sollen sich Migranten eingefunden haben. Sie stammen anscheinend aus Lagern im westtürkischen Bursa (unweit von Konstantinopel) und dem nahe der syrischen Grenze gelegenen Osmaniye. Anzunehmen ist, dass diejenigen, die in Bursa untergebracht waren, zuvor am Evros waren. Zudem ist von einigen hundert Syrern die Rede, die sich selbst überlassen worden seien, nachdem sie sich weigerten, die für sie vorgesehenen provisorischen Lager in Smyrna zu beziehen.

Die griechischen Behörden haben die Menschenansammlungen seit dem Wochenende fest im Blick. Laut Regierungsinformationen verfolgt die Türkei einen Plan zur Einschleusung von Migranten, unter denen womöglich auch Coronavirus-Träger seien. Dass es schon am Grenzübergang von Pazarkule Infektionen gegeben hatte, gilt inzwischen als wahrscheinlich. Die Schutzmaßnahmen der türkischen Einsatzkommandos und einige Ambulanzen vor Ort legten derlei nahe. Auch das war Ende März vielleicht der Grund für den eiligen Abzug der Hilfstruppen, die man sogleich für vierzehn Tage unter Quarantäne stellte.

Nach Ablauf dieser Frist versuchten die Migranten laut der Tageszeitung Kathimerini, sich in andere Städte der Türkei abzusetzen. Da sich derzeit 31 türkische Städte im Lockdown befinden, stieß dieses Vorhaben bald auf Hindernisse. So verfügte Erdogan die »Abschiebung« an die kleinasiatische Küste. Doch bleiben die Migranten offenbar auch weiterhin seine Schutzbefohlenen. Ihr Transport an die Küste wird von türkischen Gendarmen und Polizisten organisiert und vollzieht sich laut verschiedenen Zeitungen »in absoluter Ordnung«. Dazu passen die gezeigten Bilder strahlend weißer Busse sowie von Gruppen junger (und nicht so junger) Männer, die einen Ausflug aufs Land zu machen scheinen.

Einige der Ankömmlinge in Ayvalik beklagen, von den türkischen Polizisten ohne Nahrung und Wasser zurückgelassen worden zu sein. Auch ihre Pässe habe man ihnen weggenommen. Inzwischen sollen Tausende angekommen sein. Dass auch an der kleinasiatischen Küste eine unmittelbare Gefahr der Einschleppung von Covid-19 auf die griechischen Inseln besteht, will der dem Verteidigungsministerium unterstellte Generalstab herausgefunden haben. Dass die Epidemie in der Türkei außer Kontrolle geraten ist, liegt offen zutage. Insofern bezöge auch die Türkei, sobald sie ihre Operationen startet, eine Gefährdung der griechischen Grenzregion durch den Erreger in ihr Kalkül ein.

Verteidigungsminister Nikos Panajotopoulos sprach am Montag von einer »fortgesetzten Instrumentalisierung« der Migranten als »Waffen« des türkischen Staats gegen seinen Nachbarn. Die gewaltsamen Versuche, die griechisch-türkische Grenze zu überwinden, seien per definitionem »illegal«. Diese Rechtsauffassung wird offenbar genauso für die Ägäis gelten, wie sie am Evros galt.

Operation »Türkische Ostern«

Am Wochenende konnte die griechische Küstenwache zusammen mit Frontex-Kräften eine »schwimmende Mauer« errichten, die von Lesbos bis zum knapp 100 Kilometer entfernten Chios reichte. So hätte man eine türkische Operation am orthodoxen Palmsonntag verhindert. Die Türken schickten stattdessen einige F-16-Maschinen, die in den griechischen Luftraum über den beiden Inseln eindrangen und so die aktuelle Stoßrichtung des türkischen Staates deutlich machten. Nördlich von Lesbos sollen die Kampfflugzeuge auf einer Flughöhe von nur 5.000 Fuß ein britisches Frontex-Flugzeug gestört haben. Auch über dem Evros wurden erneut Überflüge verzeichnet, die das Ressentiment Erdogans wegen seines dort geschehenen Scheiterns veranschaulichen. Die griechische Führung wertet die Überflüge derzeit als Ablenkungsmanöver.

An der türkischen Ägäis-Küste stehen angeblich neben Booten aller Art (alten und neuen) auch sieben aussortierte Transportschiffe der türkischen Marine bereit, um Migranten überzusetzen. Einige dieser Schiffe patrouillieren seit dem Wochenende in verdächtiger Weise zwischen dem Festland und den Inseln. Da nun die orthodoxe Karwoche begonnen hat, erwartet man in den nächsten Tagen türkische Provokationen aller Art, wie sie an nationalen wie christlichen Feiertagen schon zur Gewohnheit geworden sind.

Die griechische Marine und der Küstenschutz sind seit dem Wochenende in Alarmbereitschaft. Zwei Flottenschiffe patrouillieren bereits in der Ägäis, Verstärkung ist angefordert. Die Befehle sind dabei eindeutig: Keinem Boot darf die Landung auf griechischem Boden erlaubt werden.

Die Meerengen zwischen der Türkei und den griechischen Inseln werden vom Lande und aus der Luft beobachtet. Athen informiert darüber, dass die Küstenwache »in Kenntnis« aller Bewegungen auf der anderen Seite und bereit sei, darauf ähnlich wie am Evros zu antworten. Dazu sind auch Landstreitkräfte und Polizisten auf die Inseln verlegt worden.

Keine Asylanträge während der Pandemie

Kein Wunder ist es angesichts all dieser Energien, dass die Türkei – wie der griechische Asyl- und Migrationsminister Notis Mitarakis am Wochenende mitteilte – wegen der Coronavirus-Pandemie keine Migranten mehr zurücknimmt. Die gemeinsame Erklärung mit Deutschland und der EU ist damit erneut hinfällig und wird trotz der jüngst zugesagten Geldleistungen nicht vollzogen.

Allerdings ist auch Griechenland bereit, seine Grenzen während der Pandemie wirksam zu schützen, wie oben gesehen. Zudem nehmen die Asylbehörden bis auf weiteres keine Asylanträge mehr an. Damit werden die Versprechungen des Ministerialbeamten Manos Logothetis gegenüber der deutschen Tageszeitung Die Welt einstweilen noch nicht Realität. Logothetis sagte sinngemäß, dass Griechenland das Asylrecht nur zum Schein gelüftet habe, um dem türkischen Aggressor ein Signal zu senden. Warum sollte das Land auch seinen Ruf als Rechtsstaat riskieren, wenn die EU-Großen etwas anderes von ihm verlangen? Doch wäre damit auch die Qualität des Byzantinismus, der politischen Doppelzüngigkeit erreicht.

Der Staatssekretär im griechischen Innenministerium trägt selbst einen schönen, um nicht zu sagen byzantinischen Namen, der auf Deutsch »Wortsetzer« bedeutet. Nun weiß man, dass zwar zuerst das Wort (der Logos) war, doch die Tat muss dem auch folgen. Bedeutsam scheint deshalb die Voraussetzung seiner Zusage gegenüber der Welt: Die Bedrohung durch die Türkei existierte demnach nicht mehr, daher seien auch keine Gegenmaßnahmen (wie die Aussetzung des Asylrechts) nötig. Daraus folgt, dass solche Maßnahmen wieder notwendig werden, sollte erneut eine Bedrohung vom östlichen Nachbarn ausgehen.

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