Tichys Einblick
37. Albisgüetli-Tagung der SVP

Schweiz gegen „EU-Knechtschaft“ und für Neutralität

Der Herausgeber der Weltwoche Roger Köppel ist neuer Hauptredner auf der größten politischen Veranstaltung der Schweiz im Albisgüetli und schwört das Publikum auf die schweizerische Neutralität ein. Die Kooperationsverhandlungen mit der EU führen in die „Knechtschaft“. Von Sebastian Gehr

Alt-Nationalrat Roger Köppel mit Alt-Bundesrat Christoph Blocher, 37. Albisgüetli-Tagung der SVP, 17. Januar 2025 in Zürich

picture alliance/KEYSTONE | ENNIO LEANZA

Stellen Sie sich vor, der größte Landesverband der AfD würde zu einer Art politischen Aschermittwoch in einem Vorort Berlins laden, bei der ohne große Sicherheitsmaßnahmen zunächst Alice Weidel den Saal einheizt, bevor im Anschluss ein ranghoher Politiker der SPD, sagen wir mal Saskia Esken, unter höflichem Applaus eine Gegenrede hält. Was schlichtweg wie reine Utopie für brandmauerbedeckte bundesrepublikanische Ohren klingen mag, ist in der eidgenössischen Schweiz alljährliche gute Tradition im Albisgüetli-Schützenhaus im Zürcher Süden.

Ins Leben gerufen wurde die größte politische Veranstaltung der Schweiz von Alt-Bundesrat und Alt-SVP-Parteichef Christoph Blocher, der nach 36 Jahren im Vorjahr zum letzten Mal den Saal zum Kochen gebracht hatte. In jene großen Fußstapfen ist Freitagabend nun Weltwoche-Herausgeber Roger Köppel getreten. Sein Gegenredner: SP-Bundesrat Beat Janz, der sozusagen ranghöchste Sozialdemokrat der Schweiz.

Die Bedeutung jener Veranstaltung wird einem bereits bei Ankunft vor dem Albisgüetli klar, wo die linke Wochenzeitung WOZ gratis Exemplare ihrer aktuellen Ausgabe verteilt, um in ihrer investigativ anmutenden Titelstory „Putinversteher“ Roger Köppel als eine des publizistischen Opportunismus verfallenden „weißen Krähe“ der nicht ganz uneigennützigen „russischen Propaganda“ zu bezichtigen.

Wobei der Aufmacher selbst sich konkret dann nur auf seine sprudelnden Werbeeinnahmen über YouTube bezieht. Dass der Ruf der Medienvertreter beim SVP-Publikum zu leiden hat, unterstreicht zudem der johlende Applaus, als der Zürcher Gastgeber in Gestalt seines Parteipräsidenten Domenik Ledergerber vor 1.500 Zuschauern der restlos ausverkauften Veranstaltung verkündet, man habe dieses Jahr den Pressebereich aufgrund der jüngsten Studienergebnisse einer Schweizer Hochschule, wonach sich 75 Prozent der Journalisten selber im linken politischen Lager einordnen, extra verkleinert, um dafür den eigenen Mitgliedern mehr Platz einräumen zu können.

In seiner Rede erläutert Roger Köppel zunächst seine Beweggründe, weshalb er überhaupt der SVP einst beigetreten sei. Die Partei habe vor zehn Jahren ein Referendum „Schweizer Recht statt fremde Richter“ lanciert, welches vom Gegenredner seinerzeit auf dem Albisgüetli mit den Worten abgetan worden sein, man werde „die Menschenrechte in der Schweiz nicht abschaffen“. Für Köppel eine Ungeheuerlichkeit, wie man Selbstbestimmung und Unabhängigkeit als „Menschenrechtsverletzung“ framen könne. Da sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als selbst Parteimitglied zu werden und für den Nationalrat, das Schweizer Parlament, zu kandidieren.

Angesichts der jüngsten bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU wird aktuell in der Schweiz heiß über die künftigen Beziehungen zu der EU gestritten. Köppel spricht sich vehement gegen eine „EU-Knechtschaft“ aus, spekuliert gar über einen EU-Austritt Deutschlands bis zum Ende des Jahrzehnts, sobald Deutschland das Geld ausgegangen sei. Die größte Desinformation käme nicht aus Moskau oder Peking, „die größte Fake-News-Fabrik der Schweiz steht im (Berner) Bundeshaus“, was Köppel auf die politischen Versprechungen zu den vermeintlichen Vorteilen von Schengen, Dublin oder einem EU-Beitritt bezieht. Die politische Analyse von Christoph Blocher („Die Welt spinnt“) sei richtig, aber die Schweiz spinne ebenso. Köppel habe selbst vom Chefunterhändler der EU gehört, dass man kein Interesse an der Fortsetzung des bilateralen Wegs hat. Die Schweiz solle EU-Recht übernehmen mit dem Europäischen Gerichtshof als letzter Instanz. „Und wenn ihr nicht gehorcht, wenn ihr nicht spurt, dann gibt’s eine Buße.“ Laut Köppel drohe ein „Kolonialvertrag“ mit der EU, die dringend auf einen neuen Netto-Zahler angewiesen sei und als Dankeschön die Schweiz „entmündigt“.

Die Schweiz benötige zwar weiterhin einen Marktzugang zur EU, „aber Binnenmarkt ist eine Rechtsordnung, und die Schweiz darf keiner anderen Rechtsordnung beitreten. Schon gar nicht einer schlechteren.“ Und warnte vor der „unbeschreiblichen Bürokratie“ des Regulierungsmonsters EU. Eine Versorgungssicherheit würde jene neuen EU-Verträge auch nicht nach sich ziehen. Wenn die Schweiz künftig eigenständige Energiereserven für den Winter horten wolle, müsse man zunächst die EU um Erlaubnis fragen, da diese Vorgehensweise als „marktverzerrend“ gelten könne.

Als größten Betrug wertet Köppel die sogenannte „Schutzklausel“ bei Streitigkeiten über ein Schiedsgericht. Das sei, wie wenn einer bis über dem Kopf im Sumpf versunken und nur die Hand noch zu sehen ist. Die Schweiz sage: „Seht her, wir haben ein Riesenproblem.“ Die EU entgegne: „Überhaupt nicht. Die Finger könnt ihr ja immer noch bewegen!“ Auf Masseneinwanderungen folge Masseneinbürgerung und kein Land müsse genauer aufpassen als die Schweiz, weil bei uns der Bürger … am meisten Rechte hat!“

Im letzten Teil seiner Rede geht Köppel auf die Bedeutung der schweizerischen Neutralität ein, die in seinen Augen vom Bundesrat – von Gefühlen und politischem Druck übermannt – durch eine Teilnahme am „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ preisgegeben wurde. Nur wenn die Schweiz direkt militärisch angegriffen werde, sei man nicht mehr an die Neutralität gebunden. Und für diesen Fall benötige es eine starke, eigene, unabhängige Armee. Diese immerwährende, bewaffnete Neutralität müsse auch umfassend sein, weshalb man auf Sanktionen, Enteignungen, Einreisebeschränkungen und Diskriminierungen verzichten müsse.

Köppel lobte den einstigen NZZ-Chefredakteur, der 1939 nach dem Einmarsch Deutschlands in Polen die Rückkehr zur absoluten Neutralität und die bedingungslose Gleichbehandlung aller Kriegsparteien forderte. Die Schweizer Neutralität brächte sehr wohl einen Nutzen für die gesamte Welt. Wer, wenn nicht dieser „weiße Fleck auf der Landkarte“ könne weltweit Frieden stiften? Köppel schloss seine Rede mit einem Zitat Napoleons: „Eure Staatsform ist’s, was euch in den Augen Europas interessant macht. Ohne eure Demokratie hättet ihr nichts vorzuweisen, was man anderswo nicht auch findet.“

Wer sich die Reden im Original auf Schweizerdeutsch mit hochdeutschen Untertiteln anhören möchte und auch konkret die respektvolle Gegenrede von Bundesrat Beat Jans, kann dies hier nachschauen: SVP Kanton Zürich – 37. Albisgüetli-Tagung vom 17. Januar 2025

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