Tichys Einblick
Vor den EU-Wahlen

Schweden: Löfven 100 Tage nach Wiederwahl – Kein Aufbruch geschafft

Am 28.4. ist Schwedens Ministerpräsident Löfven 100 Tage erneut im Amt. In der Tradition, 100-Tage-Bilanzen zu ziehen, soll das hier ebenfalls geschehen. Manches ist bizarr.

imago images / Cord

Es verschieben sich die politischen Gewichte in Schweden: Da die neue Regierung die Probleme nicht in den Griff bekommt und keinen Aufbruch geschafft hat, schieben sich in Umfragen andere nach vorne, wobei die Kleinpartei Christdemokraten einen erstaunlichen Höhenflug hinlegt.

Die Wahl zum Reichstag war bereits im September 2018. Aber monatelang waren alle Versuche, eine Regierung zu bilden, gescheitert. Dabei drängte penetrant der Sozialdemokrat Stefan Löfven, der längst abgewirtschaftet hatte, aber einfach zu sehr am seinem Sessel klebte, er wolle doch erneut den Posten des Ministerpräsident übernehmen. Schließlich wurde am 18.1.2019 – zum Teil mit Stimmen von zwei Parteien, die in der Wählergunst inzwischen gar nicht mehr über der 4%-Hürde lagen – Löfven wiedergewählt. Das schwedische Merkel-Pendant freute sich, seine Politik fortsetzen zu können. Etwas später stand seine neue Regierung.

Womit aber noch nicht alles geklärt war. Denn würde es jetzt gelingen, die Probleme in den Griff zu bekommen? Und wie würde die „Sonntagsfrage“ in Schweden sich entwickeln?

Die PC-Regierung

Die Regierung ist eine (auf drei weitere Parteien als Stütze angewiesene) Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Grünen. An ihr fällt auf, dass sie mehr Frauen als Männer aufweist und Personen mit Migrationshintergrund. Nun kann es natürlich per Zufall passieren, dass in einem Land in einer historischen Situation mehr kompetente Frauen als Männer bereitstehen. Jedoch wurde an der Regierung kritisiert, dass viele Mitglieder eine geringe Ausbildung haben und eine unzureichende Kompetenz aufweisen, und in der Tat fallen viele durch weltfremde Äußerungen zu den Fragen unserer Zeit und dementsprechende Regierungshandlungen auf.

Wie passt beides zusammen? Ganz einfach: Die Regierung wurde eben nicht nach Kompetenz zusammengestellt, d. h. ausgerichtet darauf, die besten Köpfe zu gewinnen, um ein Land zu steuern. Die Regierung ist vielmehr eine nach Political-Correctness-Maßstäben gezimmerte Konstruktion: Alte weiße Männer sind offenbar „toxisch“ (so eine durch die Gegend wabernde Weisheit) und dürfen nur noch eine Minderheit stellen; wer ihnen aber nicht zu ihnen gehört, ist per se als besserer Mensch definiert.

Kriminalität nicht im Griff

Die Regierung bekommt vor allem die Kriminalität nicht in den Griff; dort läuft alles weiter wie bisher. Immerhin informiert das staatliche Fernsehen SVT (das man auch in Deutschland verfolgen kann, per Satellit oder Internet) wahrheitsgemäß Tag für Tag von den Verbrechen. Erstaunlich aus deutscher Perspektive sind die ständig stattfindenden Schießereien, z. B. unter konkurrierenden Banden, auf städtischen Straßen. Auch von Bombendetonationen ist ständig die Rede, z. B. am 23.4. an einer Fahrschule in Malmö. Im ersten Quartal gab es 48 Bombenstraftaten in Schweden gegenüber 38 ein Jahr zuvor. Bei Vergewaltigungen liegt Schweden mit an der Weltspitze. Außerdem berichten die Nachrichten seit Jahren immer wieder von abgefackelten Autos. Besonders krasse Dinge passieren erfahrungsgemäß oft in der Kriminalitätshochburg Malmö. Sprücheklopftalent Löfven sagte bei Amtsantritt über seine neue Regierung: „Der größte Gewinner ist Schweden.“

Was aber auch wie bisher weitergeht, das ist das Anwenden des Gesetzes Hets mot folkgrupp, das in letzter Zeit mehrmals verschärft worden war. Mit diesem Gesetz werden diverse Äußerungen als kriminell eingestuft, die in den meisten Ländern der Welt nur ein Achselzucken hervorrufen. Es kann für jemanden problematisch werden, im Internet seine Meinung zu schreiben. Gegen diese Form der „Kriminalität“ geht der Staat an; die Schreibenden werden zu Geldstafen verurteilt, oder – in weitaus selteneren, aber vorkommenden Fällen – sie landen im Gefängnis. Wie SVT berichtete, gab es im Jahr 2018 ganze 459 Anklagen.

Regierung huldigt der „Klimareligion“

Die Regierung glaubt, der Klimawandel sei menschengemacht – anders als z. B. die Regierungschefs der USA, Trump, oder Brasiliens, Bolsonaro (wo immer sie sonst ihre Schwächen haben mögen). Die Umwelt- und Klimaministerin Isabella Lövin will durch höhere Steuern und staatliche Regulierungen eine so radikale Klimapolitik einführen, dass „resten av världen blir avundsjuk på Sverige“ „der Rest der Welt auf Schweden neidisch wird“.

Und dann ist da natürlich Greta Thunberg, die sich mit einem Schild „Skolstrejk för klimatet“ „Schulstreik fürs Klima“ hinsetzte und über Nacht zum internationalen Superstar avancierte. Stefan Löfven verglich sie begeistert mit dem Exportschlager Abba.

Vermutlich lernt man nicht in der schwedischen Schule, dass unter Klimaexperten äußerst umstritten ist, ob das heutige Wetter überhaupt durch den Menschen merkbar mitbedingt ist. Ein neues Wort in Schweden ist „Klimatångest“, d. h. Klimaangst; sie tritt bei Jugendlichen auf, die ihre Sorgen auf die Entwicklung des Klimas projizieren. Wir Erwachsenen erinnern uns: Noch vor ein paar Jahren war – außer bei Klimaforscher-Außenseitern wie Mojib Latif – nirgendwo die Rede davon, der Mensch beeinflusse das Klima; zu absurd war die Idee. Viele schwedischen Kinder wachsen aber mit keiner anderen Meinung mehr auf.

Ein weiteres neues Wort ist „Klimasterilisation“, d. h. Sterilisation, damit man keine Kinder in diese Welt setzt, deren Existenz schlecht sei für das Klima. Diesen Eingriff ließ ein Schwede bei sich machen (dem Namen und Foto nach zu urteilen mit Migrationshintergrund). Apropos Operationen: Es gab eine dramatische Zunahme von Transgender-Operationen seit 2011. Und immer wieder melden sich Transgender-Menschen im schwedischen Fernsehen zu Wort, die ihre Operation bereuen.

Einwanderung hält Rekordniveau

Die Einwanderung nach Schweden hält das Rekordniveau der letzten Jahre, insbesondere seit 2015. Die Behörden teilten 2019 bereits 25.000 uppehållstillstånd, eine Art Aufenthaltsgenehmigung, aus. Allein im März belief sich die Zahl auf 8.900. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands wären die 25.000 Genehmigungen seit Jahresanfang etwa 200.000. Diese Zahl ist die, über die CDU / CSU in Deutschland vor einiger Zeit stritten; dort aber ging es um den Zeitraum eines ganzen Jahres, nicht um dessen erste drei oder vier Monate.

Die uppehållstillstånd sind der erste Schritt; später werden oft schwedische Pässe verteilt. Das geht in der EU jeden Bürger an, denn alle, die von einem Mitgliedsstaat einen Pass erhalten haben, können später aufgrund der Freizügigkeit mit diesem Pass innerhalb der EU umziehen, also auch z. B. islamistische Gefährder.

Sozialdemokraten und Zentrumspartei planen für „Flüchtlinge“

Löfven zum Thema Familienzusammenführungen: Das „ergibt Sinn“.
Währenddessen gibt es tägliche Kleinkriege über Moscheebauten, Gebetsaufrufe per Lautsprecher, Kopftücher, Methoden der Altersfeststellungen für Flüchtlinge etc. Diese werden in den Medien sowie juristisch geführt. Auch die juristische Auseinandersetzung um Elin Ersson geht weiter, die junge Frau, die verurteilt wurde, weil sie in einem Flugzeug aufstanden war, um eine Abschiebung zu verhindern – wobei sich später herausgestellt hatte, dass der Abzuschiebende vor allem Frauen misshandelt hatte. Zudem gibt es die „ensamkommande“, das sind auf deutsch „unbegleitete Minderjährige“. Bei einem dieser – so berichteten unisono etliche Medien -, der angeblich 16 war, habe sich herausgestellt, dass sein wirkliches Alter 47 betrug.

Der Chef der Moderaten, der größten bürgerlichen Partei, Ulf Kristersson, sagte über die Einwanderungspolitik von Annie Lööf (Chefin der Zentrumspartei, einer der stützenden Parteien), diese Politik sei „naiv“ und „gefährlich“. Vorher hatte Kristersson bereits geäußert: Einwanderung kann „ernste Konsequenzen“ haben, und das politische Internetportal Fria Tider präsentierte diese Äußerung witzelnd unter der Überschrift: „Kristerssons neueste Erkenntnis“.

Bei SVT, dem Staatsfernsehen, gibt es seit März jetzt eine Reporterin mit Schleier namens Cheyma Moufid, bei der nur das Gesicht aus der schwarzen Verhüllung herausguckt.

Frei nach Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Islamisierung durchzuführen.“ Wie in Deutschland wird auch in Schweden darüber diskutiert, wie man mit IS-Rückkehrern umgehen soll; die Linkspartei (eine der regierungsstützenden Parteien) will jedenfalls gerne alle zurück haben.

Das Parteiengefüge verschiebt sich

Die an der Regierung beteiligten Grünen (Miljöpartiet, „die Umweltpartei“) pendeln nur noch um 4%. Das wirkt auf den ersten Blick erstaunlich, wo doch in Deutschland den Grünen ein Umfragehoch bescheinigt wird. Die schwedischen Grünen sind aber in allem noch grüner als die deutschen Grünen. Oder anders formuliert: Wenn man sich eine überzogene Karikatur der deutschen Grünen vorstellt, dann kommt etwa das dabei raus, was die schwedischen Grünen ernsthaft sind.

Besonders interessant ist aber die Entwicklung der Christdemokraten (KD). Sie sind eigentlich eine Kleinpartei. Sie sind bedeutungsmäßig und inhaltlich nicht mit der deutschen Union zu vergleichen, sondern z. B. konservativer und christlicher. Im Herbst hatten die KD noch ernste Sorgen, unter 4% zu bleiben, schafften dann aber doch den Einzug in den Reichstag. Durch klare Ansagen gelang es der charismatischen Parteichefin Ebba Busch Thor, die KD auf über 8% in den Umfragen zu bringen. Dann kam der Knüller: Die Partei kündigte an, die von allen ausgegrenzten Schwedendemokraten nicht länger isolieren zu wollen, sondern für eine Zusammenzuarbeit mit ihnen offen zu sein. Annie Lööf (Zentrum) sagte dazu: „Ich bin tief enttäuscht“. Aber die KD stiegen nach dem Beschluss sofort nochmals um 3% zu und liegen jetzt über 11%. Diese Ereignisse setzen auch die größte bürgerliche Partei, die Moderaten, unter Druck. Denn 87% der Moderaten-Wähler finden nämlich den KD-Beschluss gut. Aber deren Chef Kristersson hat kein Charisma, zögert, taktiert, macht nichts Halbes und nichts Ganzes.

Jimmie Åkesson, Chef der Schwedendemokraten, äußerte, sein „främsta uppgift“ (in etwa: Anliegen mit höchster Priorität) sei, Löfven von der Macht wegzubekommen.
Als Beobachter kann man nicht ausschließen, dass es Torheiten im linken Spektrum sind, die in Schweden und anderswo dazu ihren Teil beitragen, wie sehr das „Rechte“ erblüht.

Die bevorstehende EU-Wahl

Bei der EU-Wahl sind deutliche Verschiebungen zu erwarten. Zwar kann es sein, dass die Sozialdemokraten, die bei der letzten EU-Wahl 2014 mit 24,4% auf den ersten Platz kamen, diesen ersten Platz halten können. Die Grünen jedoch, die auf dem 2. Platz waren mit 15,3%, werden auf keinen Fall diesen Platz wieder schaffen; ein Zusammensacken auf ein Drittel der damaligen Stimmen wird ihnen prognostiziert. Die Schwedendemokraten (SD) waren auf dem 5. Platz mit 9,7%; sie könnten mit einer Verdoppelung der Stimmen auf den zweiten Platz vorrücken.

Die Schwedendemokraten hatten zwischenzeitlich erwogen, einen Austritt Schwedens aus der EU als Ziel anzustreben, der analog zum Brexit „Swexit“ genannt wird. Nun aber haben sie sich entschieden, einen Verbleib Schwedens in der EU politisch zu vertreten. Wer dagegen tatsächlich aus der EU austreten will, ist die AfS, „Alternative für Schweden“. Sie ist zur Zeit aber nur eine kleine Splitterpartei. Jedoch haben die Niederlande uns jüngst gelehrt, dass die „rechtspopulistische“ Partei von Geert Wilders auch noch einmal überholt werden konnte von Thierry Baudet mit seinem „Forum für Demokratie“. Deswegen sowie aufgrund der Tatsache, dass die Mitglieder der AfS sehr jung sind und alle paar Jahre neue, junge Wähler nachrücken, kann es längerfristig geschehen, dass auch in Schweden die AfS bei Wahlen Erfolg hat. Die jetzige EU-Wahl betrifft das aber noch nicht. Die Zahl der Wähler dürfte aufgrund von Zuwanderung und Einbürgerungen in den letzten fünf Jahren etwas höher sein als letztes Mal; es spielt aber auch die Wahlbeteiligung eine Rolle, die natürlich noch unbekannt ist.

Die schwedische Krone sinkt. Es wird schon jetzt wenig mit Bargeld bezahlt in Schweden; nun ist aber sogar – wie in Deutschland – eine Bargeld-Abschaffung in der Diskussion. Was Deutschen wenig bekannt ist: Den Euro einzuführen, ist in Schweden Pflicht; die Schweden wenden jedes Jahr wieder einen Trick an, um ihn nicht einführen zu müssen.

Und am Freitag (26.4.) kam eine aufsehenerregende Nachricht zur EU-Wahl: In einer Umfrage sind die Schwedendemokraten fast genauso stark geworden wie die Sozialdemokraten. Sie liegen nur noch ein Prozent drunter.

Die Sache mit dem gehackten Twitter-Konto

In der Nacht zum 15.4. meldete das Twitter-Konto der Sozialdemokraten auf einmal ungewöhnliche Dinge. Darunter befanden sich verhohnepiepelnde Witze über die Sozis. Zudem postete es „rassistische“ (so die Charakterisierung des Senders SVT) Botschaften. Es erschien auch die Meldung, Löfven trete als Ministerpräsident zurück. Schließlich kam heraus: Das Twitter-Konto war gehackt worden. Löfven tritt also in Wirklichkeit ebensowenig zurück wie Merkel in Deutschland – obwohl das vielleicht keine so schlechte Idee wäre.

Die mobile Version verlassen