Tichys Einblick
Schottland

Gestürzt übers Woke-Sein: Nicola Sturgeon will Ämter niederlegen

Nun ist sie also über den Fall eines – angeblichen – Transgender-Häftlings gestürzt. Der Rücktritt der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon ist eine Warnung an alle ideologisch denkenden und handelnden Politiker.

Nicola Sturgeon gibt am 15. Februar 2023 auf der Pressekonferenz in Edinburgh ihren Rücktritt bekannt

IMAGO / Xinhua

Nicola Sturgeon hat ihren Rücktritt vom Amt der Ersten Ministerin (First Minister) Schottlands angekündigt. Nach acht Jahren will Sturgeon demnach den Vorsitz der Schottischen Nationalpartei (SNP) niederlegen. Bis zur Wahl eines Nachfolgers will Sturgeon im Amt bleiben. Sturgeon verabschiedete sich mit dem schon fast üblichen Privatisieren (so, wie schon die Neuseeländerin Jacinda Ardern): „Ich bin ein Mensch, nicht nur eine Politikerin. Ich habe alles gegeben, aber das kann man nur für eine bestimmte Zeit.“ Auch die Belastungen der Corona-Zeit müssen hier noch einmal herhalten. Tatsächlich dürften harte Politgründe den Hintergrund der Entscheidung bilden. Gestürzt ist Sturgeon vor allem über ihre diffuse Haltung im Streit um ein schottisches Gendergesetz, das die Londoner Zentrale – in einem erstmaligen Schritt – nicht in Kraft treten ließ.

Sturgeon wg. Transgender-Politik unter Druck
Schottische Haftanstalten: „Transfrauen“ nicht mehr mit Frauen unterbringen
Shonna Graham hat diese Nachricht mit Freude zur Kenntnis genommen. Sie ist die entfremdete Ehefrau von Adam Graham, der sich inzwischen eigenmächtig in Isla Bryson umbenannt hat und in weiblicher Aufmachung auftritt, seit er wegen zweifacher Vergewaltigung eine Gefängnisstrafe abzusitzen hat. Graham/Bryson konnte so zunächst eine Verlegung in ein Frauengefängnis erlangen. Inzwischen musste der Vergewaltiger in ein Männergefängnis umziehen, wo die Atmosphäre ja oft weniger angenehm sein soll. Für Shonna Graham liegt die Sache dennoch klar: Sturgeon habe das Wohlergehen eines Vergewaltigers über die Interessen von Frauen gestellt.

Wer hätte sich das vor 50, ja noch vor 20 Jahren vorstellen können? Die Regierungschefin eines nicht ganz unwichtigen Landes am nordwestlichen Rande Europas tritt zurück, weil sie sich nicht entscheiden mag, ob ein verurteilter Vergewaltiger männlichen oder weiblichen Geschlechts ist. Denn zwar hatte Sturgeon zuletzt nicht mehr behauptet, dass der schwerkriminelle Graham eine Frau war. Aber auch der gegenteilige – für viele Beobachter auf der Hand liegende – Sachverhalt, dass er noch immer ein Mann ist, entkam nicht ihren Lippen.

Die Erste Ministerin ihres Landes ist damit auch über das derzeit blockierte „Geschlechts-Anerkennungs-Gesetz“ (Gender Recognition Bill) gestürzt, das genau dies als Standardverfahren ermöglicht hätte: dass ein Mann ohne jede ärztliche oder psychologische Diagnose jederzeit erklären kann, er sei eine Frau. Dem zweifachen Vergewaltiger Adam Graham war dieses Gefühl oder diese Meinung in dem Moment eingefallen, in dem er sich wegen seiner Taten verantworten musste.

Inzwischen hat Sturgeon ihn in ein Männergefängnis schaffen lassen, aber in der Sache blieb sie unentschieden. Man darf hoffen, dass der künftige Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) weniger verbohrt auf derartigen Gedankenkonstrukten beharren wird, ja, dass er (oder sie) ihnen vielleicht gar nicht anhängen wird.

Auch Schottland besitzt seine Genderklinik

Auch in Schottland gibt es eine Gender-Klinik vergleichbar Tavistock in London: Sandyford in Glasgow, wo ähnliche „Therapien“ verschrieben worden sein sollen. Über Tavistock kommen derweil mehr Insider-Berichte heraus, die bestätigen, was man bereits ahnen konnte. Am 16. Februar erscheint „Time to Think: The Inside Story of the Collapse of the Tavistock’s Gender Service for Children“ der BBC-Journalistin Hannah Barnes. Aus dem Buch geht hervor, wie einige der zu behandelnden Kinder nach nur einer Begegnung mit einem Arzt mit Medikamenten – vermutlich Hormonen, Pubertätsblockern – behandelt wurden, obwohl viele von ihnen seelische oder familiäre Probleme hatten. Ein Drittel der „Patienten“ im Tavistock GIDS wiesen autistische Züge auf, obwohl diese Diagnose in der Gesamtbevölkerung sehr selten ist (ein bis zwei Prozent).

Die gesamtgesellschaftliche Fehldiagnose, die sich in den großen Gender-Anpassungs-Kliniken in Großbritannien, aber auch in den USA und anderswo zeigt, ist natürlich von fundamentaler Bedeutung für das deutsche „Selbstbestimmungsgesetz“. Beiden Phänomenen liegt derselbe Glaube an eine repressive Umwelt zugrunde, der sich das Individuum auf jeden Fall – durch abenteuerliche Rechtskonstrukte, Hormongaben und OPs – entziehen muss. Das Gesamtphänomen ist selbst nicht weniger abenteuerlich als die Gesetze, die darüber in Schottland und Deutschland geschrieben wurden. So passt beides wieder zusammen, aber den Menschen werden weder die Trans-Bewegung noch diese Gesetze gerecht.

Wirtschaftlich konnte Sturgeon nicht viel reißen für ihr Land

Daneben war die Zeit für Sturgeon nach acht Jahren an der Spitze ihres Landes, das sich 2014 gegen die Unabhängigkeit entschied, wohl schlichtweg um. Sturgeon ist es nicht gelungen, ein zweites Referendum zu veranstalten, obwohl sie nie aufhörte, dafür Werbung zu betreiben. Daneben hat sie dem Land auch wirtschaftlich zugesetzt. Der nationale Gesundheitsdienst der Schotten ist mindestens ebenso kaputt wie sein englisches Pendant. Der Vorsitzende des schottischen Ablegers der British Medical Association (BMA) gibt zu bedenken, dass der NHS Scotland nicht als „All-you-can-eat-Buffet“ überleben wird. Die Privatisierung passiert schon heute parallel, weil viele Briten für ihre Behandlungen selbst zahlen.

Schottland wird heute von einer ähnlichen Preis- und Energiekrise wie der Rest Westeuropas heimgesucht und hat zudem höhere Staatsausgaben pro Kopf als England zu stemmen. Dass das Ausnehmen der Bürger – dank Devolution – eine wichtige Dependance in Edinburgh errichtet hat, wird den schottischen Bürgern langsam immer klarer. Zusammen mit der größeren Autonomie muss nun auch die Eigenverantwortung der Schotten stärker wachsen. Dieser Punkt war keine Priorität der eher versorgungsstaatlich denkenden Sturgeon.

Sturgeons angekündigter Rücktritt ist jedenfalls eine Warnung für alle ideologischen, letztlich auf eine Art der Wählertäuschung abzielenden Politiker. Die Warnung geht an alle Ideologen, dass ihnen ihre nicht-funktionierenden Politik-Bauteile irgendwann ganz sicher um die Ohren fliegen werden.

Deutsche Haltungsmedien reagierten – gleichsam eingedenk dieser Gewissheit – verhalten auf den Rücktritt. Die Tagesschau-Redaktion schreibt gar im Huldigungsmodus von Schottlands „unvollendeter Unabhängigkeit“. Halbwegs bedrückt ist man hier über die schottisch-britischen Zweifel am Gender-Gesetz und dem Fall Isla Bryson: „Spekuliert wird, ob dieser Fall möglicherweise zum Rücktritt beigetragen hat.“ Nein, nein, meint Anna Mundt, für die ARD in London sitzend: „Sie ist den Schritt vor allem gegangen wegen der persönlichen Belastungen durch das Amt.“ Politische Gründe könnten die Zuschauer beunruhigen. Dabei gibt es auch eine Finanzaffäre, in der Sturgeons Mann der SNP über 100.000 Pfund lieh, was zu mehreren Brüchen der Berichtspflichten für Parteien führte. Sturgeon weigerte sich bei ihrer Rücktrittsrede, die laufenden Ermittlungen in dieser Sache zu kommentieren.

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