Es ist eine weitere Implosion des internationalen Systems woker Regierungen an einem seiner Pfeiler nach dem frühen Rücktritt von Leo Varadkar in Irland. Im Grunde implodiert in diesem Fall – nach Nicola Sturgeons Rückzug vor einem Jahr – sogar derselbe Pfeiler zum zweiten Mal. Der schottische First Minister Humza Yousaf (SNP) ist zurückgetreten, um zwei Misstrauensanträgen zuvorzukommen, über die im Laufe dieser Woche abgestimmt werden sollte. Einer davon richtete sich gegen ihn selbst, einer gegen seine Regierung. Der vom Volk ungewählte Yousaf ist damit nach Jahresfrist schon wieder politisch abgeschrieben, und das hat mehr als nur einen Grund.
Vorausgegangen war der Bruch der Koalition mit den Grünen, und der folgte wiederum logisch aus einer Ankündigung von Energieministerin Màiri McAllan, dass die Senkung der schottischen CO2-Emissionen um 75 Prozent in den kommenden sechs Jahren nicht stattfinden werde. Die Opposition sprach von einem „erniedrigenden“ Rückzieher. Die grünen Minister – Patrick Harvie und Lorna Slater sind ihre unwichtigen Namen – fanden das Vorgehen „feige“ und „schwach“.
Was sie eigentlich meinten: Yousaf hätte die unbeliebten Politiken, die den Bürgern und der Wirtschaft schaden, einfach durchziehen sollen. Das geschah aber ohnehin nicht. In der Vorwoche war aufgrund einer Wortmeldung des UK Climate Change Committee deutlich geworden, dass das 75-Prozent-Ziel wegen des „unzureichenden Handelns“ der schottischen Regierung ohnehin nicht erreichbar ist. Als „unzureichend“ galt etwa das Handeln in den Sektoren Heizen, Transport, Landwirtschaft und Wiederherstellung der Natur. Es sind dieselben Themen, die grüne Politiker auch in Deutschland und der EU vorantreiben und die sie dem Wahlvolk vergeblich zu verkaufen versuchen, damit aber immer wieder scheitern.
Netto-Null nur dem Namen nach
In Schottland bestand das Netto-Null-Ziel also nur dem Namen nach. Es war ein Vorhaben, das nicht gelingen konnte, und wenn, dann nur unter größten Opfern für die Zivilbevölkerung. Es wäre Krieg gegen die eigenen Bürger gewesen, und das Land sollte nach dem Willen der Grünen in eine Art Kriegswirtschaft versetzt werden.
Nun hatte Yousaf aber eins nicht bedacht, als er die Koalition mit den Grünen aufkündigte, vielleicht hatte er dazu auch keine Gelegenheit, weil er die Entwicklung nicht mehr aufhalten konnte: Mit dieser Koalition war auch seine eigene Berechtigung als erster „multikultureller First Minister“ Schottlands dahin.
Im Londoner Spectator wundert sich Iain Macwhirter nicht über den schnellen Rücktritt: Der Politiker sei schon früher als Humza „Useless“ bekannt gewesen, Humza der Nutzlose. Macwhirter, ehemaliger Kommentator für die BBC und den schottischen Herald, meint gar, Yousafs Abtritt könne die Unabhängigkeitshoffnungen der schottischen Nationalisten für eine Generation begraben, vielleicht sogar der „devolution“, jener begrenzten Autonomie des Landes mit eigenem Parlament und Regierungschef, ein Ende machen. Das scheint sehr pessimistisch.
Im März 2023 war Yousaf auf die aus Erschöpfung und wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretene Nicola Sturgeon gefolgt, deren Linie er fortführte, wenn auch mit wenig Fortune. In Erinnerung blieb eine Wutrede über das „weiße Schottland“, in dem es noch zu wenige farbige Spitzenkräfte gäbe.
Am Montag sagte Yousaf, nachdem er ein Wochenende lang überlegt habe, sei er zum Schluss gekommen, dass die Beziehungen der SNP über die „politischen Gräben“ hinweg nur mit jemand anderem an der Spitze „repariert“ werden könne.
Wird es pragmatischer in Schottland?
Aus seiner eigenen Partei waren zuvor Rufe laut geworden, die postmodernen Spielereien (etwa um einen schottisches Selbstbestimmungsgesetz) zu lassen und sich auf die Wirtschaft des Landes zu konzentrieren. In den Umfragen hat die SNP in den letzten drei Jahren massiv verloren, während Scottish Labour gewann. Beide Parteien trennen heute nur noch wenige Prozentpunkte voneinander, wo es einst über 20 Prozentpunkte waren.
Gräben gibt es viele in der schottischen Politik, und die SNP hat sie fast alle extra tief ausgehoben. Unüberwindbar scheint der Graben zur Alba-Partei, die sich ebenso für die Unabhängigkeit Schottlands einsetzt, aber Anstoß am wokem Nebenprogramm der SNP nimmt. Die Grünen scheinen sogar bereit, mit Yousafs Nachfolger (soweit aus ihrer Sicht geeignet) weiter zu regieren, dabei war es aber letztlich ihre Agenda, die den Regierungschef zu Fall brachte.
Zu erwarten wäre nun eigentlich, dass der pragmatischere Flügel der SNP das Ruder übernimmt. Aber das ist noch nicht klar und sogar eher unwahrscheinlich. Der ehemalige Vize-Regierungschef John Swinney (unter Nicola Sturgeon) hat eine Kandidatur nicht ausgeschlossen. Er stünde für Kontinuität.
Die sozial konservative und ökonomisch gemäßigte Kate Forbes war schon bei der Sturgeon-Nachfolge hinten eingeordnet worden, weil sie einer bestimmten (christlichen) Konfession angehört. Das war abenteuerlich, denn über die genaue „Konfession“ des pakistanisch-stämmigen Muslims Yousaf wusste man weitaus weniger. Man wählte die Blackbox statt einer Kandidatin, die manchen im britischen Medien-Establishment wegen ihrer konservativen Ansichten unbequem war.
Das Hassredegesetz bleibt – vorerst – Yousafs Vermächtnis
Zuletzt hat Yousafs illiberales Hassrede-Gesetz den Ruf Schottlands weit über die Landesgrenzen hinaus beschädigt. Der SNP-Gesetzentwurf zur Gender-Anerkennung (Gender Recognition Reform Bill) war zuvor durch ein Veto Londons gestoppt worden. Auch diese beiden Gesetze, die sich gleichermaßen wenig um hergebrachte Prinzipien wie Rede- und Meinungsfreiheit scheren, sind im Grunde auf dem Mist der grünen und woken Bewegung gewachsen und wurden nicht nur von der Wahlschottin J. K. Rowling unerbittlich kritisiert und auch durch zivilen Ungehorsam bekämpft.
Und die schottischen Grünen lehnten es ab, den lange erwarteten Cass-Bericht zu medizinischen Eingriffen in die Körper von Jugendlichen (wegen fragwürdiger Transgender-Diagnosen) als wissenschaftlich zu akzeptieren. In Schottland hatte der Bericht auch aus diesem Grund kaum eine Auswirkung. Die Bastion aus postmoderner SNP und Grünen hielt. Und das dürfte nicht zur Beliebtheit der Regierung beigetragen haben. Am Ende war es beinahe ein Zufall, dass die Mesalliance zerbrach, und auch wieder nicht: Die Klima-Ziele von SNP und Grünen haben sich als nicht umsetzbar und äußerst unbeliebt erwiesen. Nur deshalb legt man hier also den Rückwärtsgang ein.
Nun ist Schottland mit seinen 5,4 Millionen Einwohnern sicher nicht das Epizentrum der westlichen Welt, erst recht nicht, seit man sich durch die eigene Führung so sehr isolierte und in eine Sackgasse manövrierte. Aber trotzdem ist der Rücktritt Yousafs ein Signal in die richtige Richtung.
Der Kolumnist Macwhirter befürchtet, dass Kate Forbes, obwohl sie ihm als die kompetenteste Kandidatin gilt, wiederum leer ausgehen wird. Es könnte also auf einen weiteren Sturgeon-Klon hinauslaufen, vielleicht sogar wieder mit den Grünen im Boot. Denn auch diese Kooperation der SNP scheint fast alternativlos zu sein. So könnten erst die nächsten Wahlen mit einem Labour-Sieg – analog zu London – einen Wandel bringen. So sieht es die Demokratie für die Unbelehrbaren vor.