Tichys Einblick
„Größter aller Aprilscherze“

Schottisches Anti-Hass-Gesetz setzt Polizeiarbeit aufs Spiel

Am 1. April bekommt Schottland sein Hassredegesetz. Meldestellen werden bereits aufgebaut. Das Leben der Schotten soll umfassend überwacht werden. Doch man befürchtet auch, dass die Polizei der Belastung nicht standhält. Deshalb sollen andere Delikte weniger verfolgt werden.

IMAGO / Action Plus

Erst war es nur die Polizei, nun macht sich auch die schottische Regierung Sorgen über jene Dinge, die ein Schotte zum anderen, zu seinem Nachbarn, Passanten oder dem „Sicherheitsmann an der Tür“ sagen könnte. Werbeanzeigen wie „Hass tut weh, bitte zeigen Sie ihn an“ kursieren schon seit einiger Zeit in Schottland. Nun kommt ein Hassredegesetz dazu, das im April in Kraft treten soll, genauer das Gesetz über Hasskriminalität und öffentliche Ordnung, genauer am 1. April.

Auch das neue schottische Gesetz – wie seine Vorbilder aus Irland oder Kanada – macht beliebige Arten von „Hass“ zum Delikt. Hautfarbe und ethnische Herkunft waren dabei schon seit den Achtzigerjahren vor Diskriminierung geschützt. Nun geht es auch um hasserfüllte Äußerungen zu Behinderungen, Religion, sexueller Orientierung, Alter, Geschlechtsidentität, wozu dann wiederum weitere „Varianten“ gehören, die auch das Gesetz nicht alle aufzählen kann. Das Inkrafttreten am April Fool’s Day scheint also gewissermaßen zu passen, wie Kritiker meinen.

Hinzu kam, dass First Minister Humza Yousaf (SNP) die Polizei zur breiten Sammlung von hassbezogenen Inhalten befähigen möchte, die ja auch nicht alle strafbar sein müssten, um gesammelt zu werden. Dadurch soll die Polizei dann „Muster“ erkennen und so eventuell „haufenweise Hass“ entdecken, so der Regierungschef.

Die schottischen Konservativen verstanden hier, dass auch Unschuldige belangt werden könnten, aber wohl zumindest scharf beobachtet. Die Grenze zwischen legal und illegal wird so in der Tat verwischt, was auch ein Charakteristikum dieser Art Gesetze zu sein scheint, wie auch der Digital Services Act der EU zeigt.

Das Gesetz bezieht sich aber nicht nur auf Gedrucktes oder online Erschienenes, sondern auch auf das, was einer irgendwo zu irgendjemandem sagt, sogar bei sich zu Hause. Meldezentren werden etabliert oder für die neue Verwendung fit gemacht, viele davon an Universitäten. Anscheinend kann sich auch jedes Ladengeschäft hier bewerben, ähnlich wie bei uns die Paketabholstellen. Was wird man hier in Zukunft melden: Rassismus, falsche Pronomen, Islamophobie? Angeblich gilt die Meinungsfreiheit in Schottland noch, aber sie fühlt sich für manche schon wie ein staatlich vergebenes Privileg an.

Bleiben Transgender- und Religionskritik möglich?

Angeblich ist kein spezieller Schutz für Kritiker der Transgender-Ideologie vorgesehen, wie Kritiker bemängeln. Es könnte sein, dass sie ihre Unschuld bald vor Gericht beweisen müssen. Die Schriftstellerin J. K. Rowling, die in Edinburgh lebt, wurde gewarnt, dass ein Großteil ihrer Tweets und anderer Äußerungen unter das Gesetz fallen könnte. Rowling erwiderte auf: „Wenn jemand wirklich glaubt, ich würde Beiträge löschen, in denen ich einen Mann als Mann bezeichne, um nicht aufgrund dieses lächerlichen Gesetzes belangt zu werden, dann sollte er sich auf den größten aller Aprilscherze gefasst machen.“

Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie schnell man in die Kategorie (politischer) „Hass“ hineinrutschen kann. In England wurde gerade erst der Online-Kommentar einer konservativen Abgeordneten wieder aus der Polizeikartei gelöscht. Sie hatte einen Tweet der Green Party geteilt, in dem die Kandidatur einer Transfrau präsentiert wurde, und dazu kommentiert, in ihrem Wahlkreis wisse man noch, was ein Mann ist. Nun ist Rachel Maclean froh, dass diese „lächerliche Ablenkung der Polizeiarbeit“ beendet ist. Die Free Speech Union war hier aktiv geworden.

Es gibt aber noch andere Aspekte. Denn zugleich wird ein altes schottisches Blasphemiegesetz abgeschafft, das zum letzten Mal im Jahre 1843 angerufen wurde. Sollte das neue Gesetz die „Aufstachelung“ gegen Religionen zum Hassverbrechen machen, könnte es selbst eine Art neues schottisches Blasphemiegesetz werden. Aber Religionskritik soll angeblich erlaubt sein, überhaupt sei die Redefreiheit sehr stark mit einem „Dreifach-Schutz“ geschützt, so der schottische Regierungschef Humza Yousaf (SNP). Wieder ist nicht klar, wie früh der Schutz greift und welche Schritte man gehen muss, um ihn zu erlangen.

Tausende Vorfälle und Handy-Spürhunde?

Die Scottish Police Federation geht von tausenden Hass-Vorfällen aus, die sie künftig zu untersuchen hätte. Der konservative Abgeordnete im schottischen Parlament Douglas Lumsden hält die Vorschrift für gar nicht umsetzbar.

Befürchtet wird nun auch eine übereifrige Polizeiarbeit, die zu einem echten Verlust an geistiger Freiheit führen könnte. Juristen weisen darauf hin, dass die Schutzbestimmungen für die Meinungs- und Redefreiheit erst vor Gericht gelten werden. Bis dahin könne die Polizei die Handys und Computer der „Verdächtigen“ beschlagnahmen, für bis zu 18 Monate und damit deren Leben „zum Explodieren“ (oder Implodieren) bringen.

Tatsächlich werden im Rahmen des Programms „Policing in a digital word“ (Polizeiarbeit in der digitalen Welt) Spürhunde so abgerichtet, dass sie elektronische Geräte, also vor allem Smartphones und Handys, aufspüren. Das ist vielleicht der letzte, absurde Akt in diesem Schauspiel der Online-Polizeiarbeit.

Polizei soll andere Delikte seltener verfolgen

Eine besondere Angst geht aber noch um. In Schottland ist man sich nicht sicher, ob man überhaupt genügend Polizeibeamte unter Vertrag hat, um die neue Flut an Hassverbrechen zu bearbeiten. Laut der Free Speech Union – einem Verband, der sich eben für Meinungs- und Redefreiheit einsetzt – wird die schottische Polizei jedes Hassverbrechen verfolgen, sobald der Hate Crime Act in Kraft gesetzt wurde. Zugleich, zufälligerweise, soll aber die Verfolgung anderer Straftaten zurückgefahren werden. Dazu könnten zum Beispiel Delikte wie Diebstahl und Sachbeschädigung gehören, wie ein Polizeisprecher nonchalant mitteilte.

Die beiden Deliktfelder sind nur Beispiele, es könnte auch um andere gehen. In Aberdeen hat bereits ein Pilotversuch zu diesem Verzicht auf Strafverfolgung stattgefunden. Offiziell wird nicht gesagt, welche Straftaten nicht mehr verfolgt werden sollen, angeblich um den Kriminellen keinen „taktischen Vorteil“ zu geben. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Denn es bedeutet auch, dass die Informationsfreiheitsanfrage des Telegraph nicht beantwortet wurde, um welche Delikte es konkret geht. Die Polizei lehnte eine konkrete Antwort hier ab, weil sonst „jene mit strafbaren Absichten ihre kriminellen Aktivitäten planen und orchestrieren“ könnten.

Der Pilotversuch gilt aber als Erfolg und soll auf ganz Schottland ausgeweitet werden. Es wird geschätzt, dass mehr als 24.000 Delikte im Jahr nicht mehr verfolgt werden. Angeblich wandern so vor allem viele wenig Erfolg versprechende Ermittlungen umgehend „in die Akten“ und werden keinem Beamten mehr zugewiesen. Aber im Grunde geben Regierung und Polizei damit selbst zu, dass die Neuregelung Kriminellen helfen kann.

Hassredegesetz könnte Polizeiressourcen stark belasten

Die Einsparung kommt also zur rechten Zeit, denn das neue Hassredegesetz könnte die Polizeiressourcen in der Tat stark belasten, wie die Polizei selbst zugibt. Der Nachwuchsmangel ist dabei nichts, was Schottland exklusiv hätte. In Deutschland betrifft er die meisten Landespolizeien, auch in Österreich sieht es nicht viel anders aus.

Doch in Schottland wird darüber nun die Integrität des Gesetzes beschädigt und der Willkür eine Gasse geöffnet. Der Bürger kann nicht mehr auf einen Blick wissen, dass es sich um eine Straftat handelt, sondern ihm wird von den Polizisten bald beschieden werden: Das war vielleicht ein Diebstahl aus deinem Garten oder eine Sachbeschädigung an einem Parkplatzschild, aber nicht genug für eine Strafanzeige. Zugleich klagen Bauern immer öfter über Diebstahl an ihrem Gerät, etwa auch in Irland. Man wird sehr vorsichtig sein müssen, wo man die Grenze zieht, um keinen allgemeinen Unmut zu erzeugen.

Ähnliche Beispiele sind aus der westlichen Welt bekannt. So reicht es in Kalifornien, dass ein Dieb unter einer Höchstgrenze, was den Wert des Diebesguts angeht, bleibt. Dann wird er nicht verfolgt. Das hat zu spektakulären Szenen und bald altgewohnten Bildern geführt: Während brave Bürger an der Supermarktkasse Hunderte von Dollars ausgeben, spazieren die Diebe einfach aus dem Laden und werden oft auch nicht von den Sicherheitsleuten aufgehalten. Donald Trump hat kürzlich von einem Kühlschrank-Diebstahl auf diesem Weg erzählt. Der demokratische Gouverneur Gavin Newsom machte ähnliche Erfahrungen.

In Schottland haben die Konservativen gegen das Hassredegesetz ebenso wie gegen die neuen Dienstvorschriften protestiert. Zwei Delikte seien ohnehin genannt worden, so eine Justizexpertin der Partei, Sharon Dowey, daher sei der „Mangel an Transparenz“ schwer zu verstehen. Und überhaupt: „Wenn Kriminelle in Folge dieser Politik einen taktischen Vorteil hätten, warum kommt sie dann?“

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