Gerade aus Paris zurückgekehrt, wo die gemeinsame Pressekonferenz wegen französischer Verstimmung ausblieb, schob Scholz am Donnerstag noch einen Tag in Athen ein, besuchte die Akropolis unter kundiger Führung und hielt Gespräche mit seinem Gegenpart, dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.
Der Besuch von Olaf Scholz in Griechenland, der ohne flankierenden Trip nach Ankara bleibt, wird im Land als Erfolg gewertet. Das politische Berlin hat sich damit von der strikten Äquidistanz zwischen den Nachbarn an der Ägäis verabschiedet. Dass eine Verbesserung der griechisch-türkischen Beziehungen wünschenswert wäre, darin kamen beide Regierungschefs überein. Aber so etwas ist derzeit offenbar nicht zu erwarten.
Mitsotakis konnte da nur zustimmen („Es geht nicht, dass Grenzen infrage gestellt werden …“) und beklagte die „aggressive Rhetorik und das provokative Agieren“ der Türkei unter Erdogan. Der Premier zögerte denn auch nicht zu sagen, wohin er die im Ringtausch von Deutschland erhaltenen 40 deutschen Marder-Panzer schicken will: an den Evros natürlich, denn dort seien sie laut Generalstab am nützlichsten für Griechenland. Mitsotakis’ Antwort sprach gewissermaßen Bände, denn die Verbände nach Epirus oder in die Rhodopen zu stellen, also an die albanische oder bulgarische Grenze, davon ist eben keine Rede in Griechenland. Das sind – egal ob EU oder Nicht-EU – normale Grenzen, an denen es sicher einmal illegale Grenzübertritte gibt, aber nicht in der Zahl wie im Osten von Seiten der Türkei. Die Grenze zur Türkei ist heute zudem die einzige Landgrenze, an der Griechenland mit guten Gründen in die eigene militärische Verteidigung investiert.
Entspannung für Scholz – aber auch für Mitsotakis
Für Mitsotakis ist ein Besuch wie der von Scholz daneben eine willkommene Gelegenheit, die verbesserte Position Griechenlands in Europa und der Welt zu präsentieren. Darunter ist vor allem ein Wirtschaftsaufschwung zu verstehen, den Mitsotakis nach Jahren der Krise (die lange vor seiner Amtszeit begann) für sich verbuchen kann. Aber der griechische Premier war jüngst auch ins Kreuzfeuer vor allem internationaler Medien wie Politico und New York Times geraten, nachdem der nationale Geheimdienst einen linken Oppositionspolitiker und einen Journalisten abgehört hatte, woran Mitsotakis natürlich jede Mitwisserschaft bestritt.
Daneben hat Griechenland mit einem Absinken auf dem Index der Pressefreiheit (herausgegeben von der NGO „Reporter ohne Grenzen“) zu kämpfen, was auch mit Unterstützungszahlungen der Regierung für die großen Medien des Landes während der Pandemie zusammenhängen dürfte. In Deutschland gab es Ähnliches. Aber auch der deutsche Spiegel zog irgendwann mit einem Kommentar nach, in dem vom Ende der Demokratie in Athen die Rede war – eine Stilisierung des konservativen Regierungschefs nach dem Vorbild so vieler anderer (Trump, Johnson, Berlusconi) kündigte sich an. An der Balance des griechischen Parteiensystems haben die Vorwürfe freilich Umfragen zufolge nichts geändert. Man weiß, dass auch unter Tsipras abgehört wurde. Selbst die NY Times sprach von einer jahrelangen Gewohnheit der griechischen Machthaber. Zwar hat sich der innerparteiliche Rivale und Ex-Premier Kostas Karamanlis halb-kritisch gegen Mitsotakis positioniert, aber eine Palastrevolte sieht anders aus.
Bürgerschutzminister: Türkei muss sich an Logik und Menschlichkeit halten
Der massive Grenzzaun am Evros, der laut Theodorikakos derzeit knapp 40 von 150 zu schützenden Grenzkilometern umfasst, habe sich als „Mittel der Abschreckung“ bewährt und solle auf die gesamten 150 Kilometer erweitert werden. Für den Moment hat Theodorikakos 250 zusätzliche Grenzwächter an den Evros geschickt, wie die Tageszeitung Kathimerini meldet. Die Kommission möge die Türkei daran erinnern, dass sie das internationale Recht nicht biegen und brechen könne, wie sie es will. Das Land müsse sich an „elementare Prinzipien der Logik und der Menschlichkeit“ halten. Griechenland verhindere täglich die illegalen Einreisen von 1.500 Personen. In diesem Jahr will man in diesem Zuge schon 1.200 mutmaßliche Schlepper festgenommen haben.
Zuvor hatte Mitsotakis darauf hingewiesen, dass ein türkisch-libysches „Memorandum“, welches einen Streifen des Mittelmeers zwischen den beiden Ländern aufteilt und dabei über griechische Inseln wie Kastellorizo und Kreta großzügig hinwegsieht, natürlich „nichtig“ sei. Aber auch Inseln verfügen über einen Festlandsockel, den die Türkei und Libyen respektieren müssen. Es geht dabei auch um im östlichen Mittelmeer vermutete Bodenschätze, vor allem Gas und Öl, obwohl diese Stoffe ja derzeit so sehr aus der Mode gekommen sind, dass man einen „Deckel“ auf sie tun will, während die regierungsfinanzierte NGO-Jugend nichts Besseres zu tun weiß, als alte Meister „in Öl“ mit frischen Lebensmitteln zu attackieren.
Energiewende auf Griechisch: Minister schlug Stromkabel nach Süddeutschland vor
Womit wir bei einer weiteren Gemeinsamkeit von Scholz und Mitsotakis und zugleich einem deutsch-griechischen Joint Venture wären, das die Ampel-Herzen in Berlin höher schlagen lassen sollte: Mitsotakis will auch in Griechenland die Entwicklung der erneuerbaren Energien vorantreiben. Bis 2030 soll das Land so angeblich auf eine Versorgung zu 70 Prozent mit Erneuerbaren kommen. Und kurz vor dem Scholz-Besuch schlug Energieminister Kostas Skrekas die Verlegung eines Kabels vor, um griechischen Ökostrom bis nach Süddeutschland zu leiten. In diesem Jahr stieg der Anteil der Erneuerbaren, der noch 2021 bei rund 20 Prozent lag. Das bleibt natürlich nicht ohne Widerstand der Bürger, etwa auf Inseln wie Euböa, wo nach Großwaldbränden nun Windkraftanlagen entstehen sollen.
Aber selbst wenn es an einem Tag im Oktober hieß, der gesamte Strombedarf des Landes sei durch erneuerbare Energien befriedigt worden, bleibt das offenbar eine von Wind und Sonne begünstigte Ausnahme. Premier Mitsotakis schloss derweil die Kernkraft für Griechenland aus – wegen der häufigen Erdbeben.
Die Regierung Mitsotakis kann so vor allem ihr Ansehen bei den linken Regierungen in Mitteleuropa erhöhen – vielleicht auch um politisch zu überleben in diesem Gebilde namens EU. Mitsotakis zahlt sozusagen den woken Ökologismus-Zoll, den die internationale Polit-Szene von ihm zu verlangen scheint, treibt damit freilich auch eine Transformation des eigenen Landes voran, die für Oligarchen nützlich sein kann. Die Energieversorgung der westlichen Welt wird gerade durch einen Flaschenhals gezwängt. Allerdings werden auch in Griechenland die Rufe nach Kernkraft als „notwendigem Übel“ laut, da man sonst den Energiebedarf der näheren Zukunft nicht decken könne.
Ein angebliches Paradepferd jener ökologischen Transformation in Griechenland bleibt derweil die Kleininsel Astypálea in der südlichen Ägäis, die Mitsotakis auch in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz als Ehrenabzeichen erwähnte. Sie soll durch Elektromobilität zum „smart & sustainable island“ werden, also zur „schlauen und nachhaltigen Insel“. Mittels einer Public-Private-Partnership mit dem Volkswagen-Konzern soll dort zudem ein Anstieg des Lebensstandards durch eine ökologische „Kreislaufwirtschaft“ bewirkt werden.
Nun ist Astypálea ohnehin einer der natürlicheren Flecken Griechenlands. Die Moderne mit ihren Fabriken hat man hier übersprungen, blieb bei Bienenzucht und Kleintourismus. Insofern ist die Ökologie hier sozusagen gratis und der Strom ja auch, da ihn die Sonne direkt spendet – so das Ideologem. VW-Vorstand Herbert Diess bemerkte unlängst, das Projekt zeige, dass „eine schnelle Transformation hin zu grüner Mobilität und Energie machbar ist, wenn Unternehmen und Regierungen Hand in Hand arbeiten“. Was das allerdings für die dichter besiedelten Regionen Europas hinsichtlich Umbau und Flächenversiegelung (im Namen des CO2-Dogmas) bedeuten würde, möchte man sich nicht vorstellen.
Scholzens stierer Blick bei Mitsotakis’ Cosco-Antwort
Laut dem stellvertretenden Außenminister Kostas Frankogiannis zeigt „das Projekt auf Astypalea alle Vorteile des heutigen Griechenlands“: Natürlicher Reichtum und Humankapital könnten das Land gemeinsam an die Weltspitze führen. Hehre Worte, aber in der Realität handelt es sich nur um ein sorgfältig aufgebautes Labor-Experiment der VW-Führung, das mit Bildern von südlicher Sonne für die eigene Nachhaltigkeit werben soll. Die (auch ökologischen) Anlaufkosten dieser elektromobilen Aufrüstung einer weitgehend naturbelassenen Insel werden dabei natürlich – wie immer – nicht betrachtet und nicht berechnet. Die Großbatterien der Elektroautos sind bekanntlich nicht das umweltfreundlichste Objekt unter dem Himmel, weder in der Herstellung noch in der Verschrottung.
Doch Scholz in Athen, selbst etwas fröhlicher unter griechischer Sonne als gewöhnlich, jedenfalls kaum angefasst von seinem frostigen Empfang in Paris, gefiel es, auch wenn er sich selbst nicht ausdrücklich zu Ökologie und Transformation bekannte. Das muss er ja nach seiner Regierungsbildung nicht mehr so häufig tun. Nur ein etwas stierer Blick Scholzens traf Mitsotakis, als er seine Bedenken gegen die Cosco-Beteiligung am Athener Hafen Piräus anklingen ließ. Der Pachtvertrag über 35 Jahre sei unter seinem Vorvorgänger schon 2009 zustande gekommen, als Griechenland mitten in der Staatsschuldenkrise steckte. Im Gegensatz zu damals sei das Land heute nicht mehr abhängig von den Investitionen „eines oder zweier oder … sehr … weniger Länder“, fügte Mitsotakis mit listigem Lächeln hinzu.
Der Premier relativierte so die chinesische Mehrheitsbeteiligung am Hafen von Piräus, aber zugleich schien er dem deutschen Kanzler zu sagen, dass Griechenland – vielleicht im Gegensatz zu früher – auch nicht auf deutsch-griechische Kooperationen angewiesen ist. Das wäre ein gutes Zeichen für eine wahre Vielstimmigkeit der Nationen und ihrer demokratisch gewählten Regierungen in Europa und der EU, die nicht allzu sehr von den Wirtschaftsinteressen der stärkeren Länder übertüncht wird.