Tichys Einblick
Europa gespalten über Migrationspolitik

Schleuserboot Aquarius und der Marketinggag der spanischen Immigrationspolitik

Spaniens Entscheidung, die Migranten vom Schleuser-Hilfsboot Aquarius und zwei weiteren italienischen Marineschiffen an Land gehen zu lassen, löst in Spanien Widerstand aus. Der neue Premier leitete mit dem Medienspektakel die Wende seiner Politik ein.

JOSE JORDAN/AFP/Getty Images

Der Anziehungs- und Nachahmungseffekt ist bereits in vollem Gange. 900 Migranten kamen allein am Sonntag von Marokko nach Südspanien, während in Valencia die Operation „Aquarius“ von Fernsehzuschauern live verfolgt werden konnte. In Almeria, wo viele der Schwarzafrikaner hoffen, bei der Obst- und Gemüseernte helfen zu können, kollabieren bereits Verwaltung und Versorgung. Die andalusische Regierungschefin Susana Díaz beginnt zu verzweifeln: „Wir brauchen mehr Mittel“.

In Valencia hingegen ist man froh darüber, dass die autonome Region mit dieser medienwirksamen Aktion positiv in den Mittelpunkt der internationalen Nachrichten gerät. 138 verschiedene Medien waren an Ort und Stelle. 400 Dolmetscher halfen bei dem Spektakel. Die angeblich entkräfteten Flüchtlinge tanzten. Der Weg nach Europa ist offen. Die Hälfte der Aquarius-Immigranten wollen nach Frankreich – das sich bislang zu Italien abgeschottet hat. Jetzt sperrt Frankreich wohl auch die Pyrenäen-Grenze.

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Damit wird diese Marketing-Aktion nach hinten los gehen, da in diesem Jahr schon 12.200 Migranten an den spanischen Küsten angekommen sind und bald auch Spanien, wie bereits Griechenland und Italien, überfordert sein könnte. Der neue spanische Premier wollte mit der Annahme der auf dem Mittelmeer gezielt umherirrenden Schiffe ein Zeichen setzen, dass ab sofort die bislang verleugnete Immigrationspolitik kein Randthema mehr sein werde in Spanien. Aber „Pedro Sánchez muss sich abstimmen mit Europa“, warnt die spanische konservative Oppositionspartei PP. Denn die regierende PSOE keinen Plan, wie sie weitere Zuzüge aus Marokko aufhalten wird und was mit den gerade angekommen geschehen soll. Die Migranten waren vor einer Woche bei verschiedenen sogenannten Rettungsaktionen vor der libyschen Küste von der Hilfsorganisation SOS Mediterranee aus den Booten der Menschenschmuggler übernommen worden. Und Spanien ist in der Lage wie Deutschland 2015: Während manche über die Humanität jubeln, dass Spanien den Schleppern das Geschäft erleichtert, wächst der Widerstand – auch wie in Deutschland. Nur schneller. Und die Hoffnung trügt, dass es zu einer EU-weiten Umverteilung kommen könnte.
Die Reaktionen auf Sánchez‘ Solidarität sind gespalten

Viele Spanier und Franzosen unterstützen Sánchez‘ Ad-hoc-Solidarität mit den 630 Immigranten. Anders als in Italien. Das Land ist politisch und wirtschaftlich instabil und will nicht noch eine weitere Front eröffnen. Italiens Innenminister Matteo Salvini hatte am Samstag seine Ankündigung bekräftigt, weitere Migrations-Shuttleschiffe von Nichtregierungsorganisationen künftig abzuweisen. Auch wenn Frankreich Spanien seine Unterstützung angeboten hat – Flüchtlinge nimmt es nicht auf. So ist EU-Europa gespalten über den spanischen Solidaritätsakt und was in solchen Fällen gemacht werden sollte. „Fakt ist, dass der Fluss von Auswanderen aus Afrika gestoppt werden muss. Eine Sache sind Flüchtlinge aus Syrien, aber derzeit kommen vor allem Schwarzafrikaner“, sagt Andrea Levy, Abgeordnete der PP im Parlament. Wie auch in Deutschland wirkt die Marke syrische Kriegsflüchtlinge nur als Türöffner für Wirtschaftsmigranten aus ganz Afrika.

Auch die junge und sehr charismatische katalanische Statthalterin der liberalen Partei Ciudadanos fordert eine EU-europäisch abgestimmte Politik von Sánchez: „Wir warten auf den Plan, den Sánchez Europa präsentieren wird“, sagt Inés Arrimadas, und setzt den neuen Premier damit unter Zugzwang. Bisher war Spanien das Land, das am wenigsten Asylanträge zugelassen hat. 2017 wurden gemäβ der Datenerhebungsfirma Statista gerade 4.670 akzeptiert, während es in Deutschland 216.630 waren. Für die Mehrzahl gibt es keine Unterstützung – allenfalls Arbeit auf den Gemüsefeldern. Das selbst von sozialen Problemen belastete Griechenland nahm im vergangenen Jahr dagegen 10.455 Anträge auf Asyl an.

Spanien steht jetzt doppelt unter Druck

Die Griechenlandbeauftragte von Human Rights Watch, Eva Cosse, verweist auf die griechischen Inseln, wo zunehmend Chaos herrscht. Es wird derzeit mit 15.000 Migranten auf den griechischen Inseln gerechnet; zudem bricht der Tourismus ein. Die Migranten sollen eigentlich in die Türkei zurück geschickt werden. Aber diese Brücke funktioniert nicht mehr. Im Gegenteil: Im Moment kommen sie von dort wieder zurück nach Griechenland. Merkels mit großartigem Tamtam verkündeter Türkei-Deal hat nicht gehalten.

Auf den griechischen Inseln fehlen aber Mitarbeiter, um die Asylanträge zu bearbeiten – auch das hat sich seit 2015 nicht geändert. „Es reicht nicht aus, dass die EU das Budget und das Personal der europäischen Grenzschutzagentur Frontex aufstockt, es muss europaweit ein klares Signal gesendet werden“, findet die konservative spanische Opposition. In der Zwischenzeit hat Sánchez‘ Frontfrau, die Vize-Präsidentin Carmen Calvo, bereits angekündigt, dass „Aquarius“ kein Präzedenz-Fall wird: „Ein Teil der Erwachsenen, wenn sie keine Pässe haben, müssen in ein Internierungslager und wenn wir alles geprüft haben, kann es sein, dass wir auch einige deportieren werden”. Das klingt deutlich strenger als die Regelungen in Deutschland, die faktisch zu einer Duldung aller Migranten führen.

Nach dem ersten Jubel kehrt in Spanien also schon Ernüchterung ein. Spanier lernen schneller als Deutsche.

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