Derzeit stellen Italien und Deutschland die Antipoden in der europäischen Energiepolitik dar, wenn es um das Thema Kernkraft geht. Das kann man daran abmessen, dass etwa die eher links zu verortende Tageszeitung Repubblica am 8. Oktober groß über das „nukleare Tabu“ schrieb und auf den 21. September 2023 als möglicherweise entscheidendes Datum verwies. Eine ganze Reihe von Fachleuten traf sich an dem Tag, um über die (mögliche) Zukunft der Kernkraft in Italien zu debattieren. Die Diskussion fand im Umweltministerium statt, darunter Vertreter von öffentlichen Forschungseinrichtungen und Einrichtungen, die für die Stilllegung und die nukleare Sicherheit zuständig sind.
Bisher hatte Deutschland auf Italien vertrauen können. Die Italiener hatten in einem Referendum unter dem Eindruck von Tschernobyl 1987 gegen die zivile Nutzung der Kernkraft votiert. Dabei spielte nicht nur die akute Situation eine Rolle, sondern auch die Sorge vor den seismischen Aktivitäten auf der Apenninhalbinsel. Seitdem hatte sich in Italien die Debatte gelegt, obwohl die Abhängigkeit von Gas und Öl in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder die Frage aufgeworfen hatte, ob eine Rückkehr zur Atomkraft das Problem nicht wenigstens teilweise beheben könnte.
Umso überraschender ist die Klarheit, mit der die italienische Regierung die Pläne für den Wiedereintritt nun thematisiert, denn einige Zeit galt das Thema Atomstrom als „abgeschlossen“. Die eigentlichen Testversuche machte Matteo Salvini, der in den letzten Jahren immer wieder – zuerst nur als Idee, dann als Projekt – postulierte, dass Italien zur Kernkraft zurückkehren könnte. Die Empörung und der Widerstand hatten sich bereits vor ein paar Jahren spürbar gelegt. Der Lega-Chef machte seine Forderung im Wahlkampf vor einem Jahr noch deutlicher. Statt Gegenwind gab es in der Energiekrise Applaus.
Diese Unterstützung in der Bevölkerung ist kein bloßes Dekor. Auch wenn sie die Parlamentswahlen gewonnen hat: Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni weiß, dass sie – anders als in Deutschland – nicht einfach per Parlamentsbeschluss die Kernkraftfrage beantworten könnte. Was per Referendum beschlossen wurde, dürfte auch per Referendum wieder rückgängig gemacht werden, um die Legitimität der Entscheidung zu bekräftigen. Ansonsten würde der Wiedereinstieg das Thema werden, das die Linke per Referendumsforderung instrumentalisieren und stärken könnte. So naiv sind die Wahlstrategen der rechten Parteizentralen nicht. Heißt auch: Selbst wenn es nur einen Parlamentsbeschluss geben sollte, dann muss die Zustimmung in der Bevölkerung so überwältigend sein, dass die Linke daran zweifelt, dass sich eine Referendumskampagne lohnt.
„Ich glaube, dass Italien noch in diesem Jahr die Forschung und Beteiligung an der Kernenergie wieder aufnehmen muss. Ich gehe davon aus, dass diese Regierung noch in diesem Jahr die Kraft haben wird, den Italienern zu erklären, warum wir im Namen der Technologieneutralität zu keiner Energiequelle Nein sagen können“, erklärte der Infrastrukturminister weiter.
Unterdessen hat der Minister für Umwelt und Energiesicherheit Gilberto Pichetto Fratin angekündigt: „Wir sind bestrebt, im Rahmen verschiedener Vereinbarungen auf internationaler Ebene mit der Fusion zu experimentieren, und wir widmen der Kernspaltung der vierten Generation größte Aufmerksamkeit, was auch die Bewertung kleiner Reaktoren bedeutet, die innerhalb von zehn Jahren eine Chance für das Land darstellen können.“
Die Wende von der italienischen Energiewende steht also bevor. Emmanuel Macron hat solche Überlegungen freilich begrüßt. Olaf Scholz hingegen betonte im selben Zeitraum, Deutschland werde nicht mehr zur Kernenergie zurückkehren. Nun denn: In Italien dachte man auch, dass das Bürgergeld nicht mehr zurückzuschrauben sei. Vielleicht kann man nicht nur in dieser Causa von anderen Ländern lernen, die ihre Fehler bereits gemacht haben.