Tichys Einblick
Italien: Contes Ultimatum

Salvini und die Lega fürchten keine Neuwahlen

Viele beschworen bereits Neuwahlen herauf, denen Matteo Salvini gelassen entgegen sieht. Aber so weit muss es gar nicht kommen. Salvini und Di Maio reden miteinander statt übereinander.

imago images / Independent Photo Agency Int.

Eines steht fest, aus den EU-Wahlen ging eindeutig der Vize-Premier Matteo Salvini mit seiner Lega als klarer Sieger hervor. Der Innenminister Italiens hätte angesichts dieser Zahlen weit über 30 Prozent (auch in linken Hochburgen) jubilieren können. Nichts dergleichen geschah.

Trotz der herben Niederlage des italienischen Koalitionspartners, den Cinque Stelle (Fünf Sterne Bewegung) bei der EU-Wahl, gab sich Matteo Salvini überzeugt und auch kulant: „Ein Ultimatum an Di Maio? Nein, wozu? Die Bürger erwarten, dass wir uns an die Arbeit machen. Ich plane ganz fest mit dieser Regierung.“ Eine klare Ansage unmittelbar nach den Ergebnissen, die abermals einen Aderlass der M5S zeigten, mit 17 Prozent weit unter 20, und dazu noch eine sozialdemokratische PD (ehemals Renzis Sozialisten), die die Fünf-Sterne überholte, mit 24 Prozent.

Am Samstag wurde noch das Fest der Republik angemessen gefeiert, plötzlich trat Ministerpräsident Giuseppe Conte drei Tage später vor die Mikrophone und hielt seine kurz angekündigte und mit Spannung erwartete Rede an die Nation, die aber viele Experten als Mahnung an die Regierungskoalition verstanden wissen wollten, was dann in etwa auch so war (an dieser Stelle sei angemerkt, Kanzlerin Merkel oder Bundespräsident Steinmeier würden beide GroKo-Koalitionäre zur Räson bitten – aber Merkel ist ja nicht unabhängig, ebenso wenig Steinmeier).

Ministerpräsident Giuseppe Conte, der parteilose und ehemalige Juraprofessor, sprach seine Worte leise, unaufgeregt, aber gewählt und wohl bedacht, zur besten Sendezeit um Viertel nach sechs am Abend.

Genau ein Jahr seien die Regierung und er als Ministerpräsident nun im Amt. Conte erinnerte auch daran, mit wie vielen Vorbehalten die Regierung gestartet sei und wie viele Zweifler und Skeptiker nicht nur das Koalitionsbündnis, sondern auch ihn als Person in Frage gestellt hatten. Egal, ob man Conte wegen seiner beruflichen Vita (Eckpunkte und Dozenturen wurden bei ihm beleuchtet wie wohl nie zuvor) ständig attackierte, oder man ihn als Marionette Salvinis und Di Maios, zuletzt sogar aus der EU heraus, betitelte – Giuseppe Conte wahrte Contenance, sieht sich bis heute selbst als Vermittler zwischen den Parteien und innerhalb der EU und konnte in Brüssel und Straßburg auch stets angemessen Contra geben.

Das ständige Geplänkel und die Provokationen der Koalitionäre untereinander in den vergangenen Wochen aber wollte Conte nun nicht mehr hinnehmen. Auf einer Woge der Beliebtheit getragen, trat Salvini jüngst selbstbewusst aber auch als Blitzableiter auf. Der Cinque-Stelle-Chef Luigi Di Maio wurde zwar per Online-Petition und Vertrauensfrage unter seinen Mitgliedern als Partei-Leader bestätigt, aber dennoch befindet sich die Fünf-Sterne-Bewegung auf Sinnsuche, neben Matteo Salvini.

Befeuert natürlich auch aus der unzufriedenenen Opposition, der Partei der Demokraten (PD). Die PD wird, angestachelt durch die Situation in Österreich, nicht müde, ständig zu wiederholen, dass die Cinque Stelle eigentlich in die Opposition müsste. Um permanent ein Keil in die bis dato erfolgreiche italienische Regierung zu treiben.

Ministerpräsident Conte jedenfalls sprach Klartext: Sollten der Dauerstreit und die Konflikte der Wahlkampfzeit nicht endlich beendet werden, müsse er tatsächlich Konsequenzen ziehen. Könne keine klare Kooperationsfähigkeit zwischen den Parteien hergestellt werden, würde Conte seinen Rücktritt bekannt geben. Es sei jetzt nämlich an der Zeit, und die primäre Aufgabe, „eine Entscheidung zu treffen: Ich erwarte mir eine klare Antwort, weil das Land nicht warten kann”, appellierte der parteilose Ministerpräsident, il Premier. Und weiter, denn nur mit „loyaler Zusammenarbeit” zwischen den Regierungsparteien könne das Kabinett weiter arbeiten.

Man muss aber festhalten, dass solche Forderungen auch innerhalb der Fünf-Sterne-Bewegung diskutiert werden, ganz nach dem Motto, wir müssen zurück an die Wurzeln, dorthin, wo wir groß geworden sind.

Premier Conte erklärte sich zudem bereit, eine „Phase zwei” der gemeinsamen Regierungstätigkeit einzuleiten.

Absolute Priorität haben das Wirtschaftswachstum und die Steuersenkung im Einklang – aufgepasst – mit den EU-Regeln, die laut Conte respektiert werden müssten, solange diese noch nicht geändert würden in den kommenden Monaten und Jahren. In den ersten Punkten dürfte Salvini zustimmen, doch weiterhin die bremsenden EU-Gesetze für Italien hinnehmen? Schwierig. Salvini, und eigentlich auch Di Maio, wollten stringent den italienischen Weg gehen. Das Haushaltsdefizit und die Schulden wären jetzt zwar etwas höher, sollten durch das Wirtschaftswachstum aber in den kommenden Jahren gesenkt werden.

Conte sei bereit, weiterhin für die „Regierung des Wandels” zu moderieren und alles zu geben. Italien benötige aber eine ernsthafte und „weitsichtige Planung”, die die Kräfte beider Koalitionspartner benötige.

Dass die Italiener bei den EU-Wahlen ihr Vertrauen in diese Regierung bestätigt hätten, habe sich gezeigt. Eindringlich warnte der parteilose Premier vor ständiger Provokationen und Konflikten zwischen den Regierungskräften, denn diese würden die Kommunikation beeinträchtigen und Energien auffressen.

Conte weiter, „Die Italiener rufen uns zur Fortsetzung unserer Arbeit auf und wir müssen mit höchster Konzentration weiterarbeiten”; im Grunde nichts anderes, was Salvini ständig trotz massiver Angriffe auch verlangt, er arbeite an Gesetzen und deren Umsetzungen.

Die Innere Sicherheit, die Integration und Asylfrage sowie die Jugendarbeitslosigkeit schien den Italienern bisher am wichtigsten, und von der Europäischen Union nicht bevormundet zu werden, nach allem was Italien in der Vergangenheit bei der Flüchtlingszuwanderung auf sich genommen habe.

Zuerst sparten die neugewählten Minister bei den eigenen Diäten und Pensionen ein. Auch die Wirtschaft und die Unterstützung von prekär Lebenden waren Stellschrauben, die Luigi Di Maios Partei gleich mit veränderte.

Conte war neulich in Brüssel und bekam auch gleich einen Brief ausgehändigt: eine Art Mahnung mit der Forderung einer Strafzahlung an die EU, weil Italien sein Defizit eigenhändig nach oben geschraubt habe. Von zwei bis drei Milliarden Euro ist die Rede.

Salvini schüttelte solche Fragen bei der Pressekonferenz einfach ab, selbstbewusst sprach er in die zahlreichen Mikrophone: „Entschuldigung, wir haben ein absolut hervorragendes Ergebnis erzielt. Ich denke, die EU hat andere Probleme, als uns zu bestrafen …“, wo doch die Regierung gerade dabei sei, mit entsprechenden Maßnahmen die Jugendarbeitslosigkeit in Italien abzubauen. Salvini sagte, es könne nicht sein, dass die eigene Jugend mangels Perspektiven abwandere. Auch die Industrie solle wieder wachsen, und ein paar wenige Prozentpunkte zeigten vor der EU-Wahl sogar noch oben. „Die Steuern sollen endlich gesenkt werden“, und gleichzeitig hat die Regierung vor, endlich eine einfachere „Flattax“ zu implementieren: ein vereinfachtes und flexibles Steuermodell. Die Bürger Italiens sollen einheitlich entlastet werden, genauso Familienbetriebe und kleinere Manufakturen, die dann je nach Größe und Umsatz gestaffelt würden.

Laut Salvini käme die Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke TAV Turin-Lyon auf „alle Fälle“. Sechs Monate wurden die Arbeiten unterbrochen. Die Cinque Stelle waren einst dagegen. Doch die Aufträge waren längst vergeben und etliche Arbeitsplätze hängen an diesem Projekt, das viele mit einer Art Stuttgart21 bei uns vergleichen.

Die Strecke Turin-Lyon wäre eine wichtige Teilverbindung der Ost-West-Linie Lissabon-Kiew. Da könne es doch nicht sein, dass aufgerechnet die Großregion um Turin nahe der französischen Grenze und der Alpen, von der Waren-Wirtschaftswelt innerhalb Europas abgeschnitten würde, bei „allem Respekt“ vor den Gegnern und Umweltaktivisten.

Der Nutzen des Projekts sei weit größer. Und EU-Fördergelder seien auch schon genehmigt. Deshalb, so Salvini in Richtung EU und Giuseppe Conte, mache es insgesamt gar keinen Sinn, Italien eine Strafe aufzubrummen. Wer Arbeitsplätze schaffe, müsse vielmehr belohnt werden. Nun steht Contes Ultimatum im Raum.

Viele beschworen bereits Neuwahlen herauf, einer Prognose, der Matteo Salvini momentan gelassen entgegen sieht. Aber so weit muss es gar nicht kommen. Salvini und Di Maio reden miteinander statt übereinander. Ein Treffen zum gemeinsamen Gespräch und Mittagessen wurde sogleich vereinbart. Italien, wie es leibt und lebt.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist, ist seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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