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Hintergrund der Migrationskrise?

Russland und die Türkei verhandeln über kurdische Milizen in Syrien

Nordsyrien soll nach Vorstellungen Moskaus und Ankaras neu geordnet werden. Dabei steht das Schicksal der kurdischen Milizen und Dschihadisten im Vordergrund. Womöglich gibt es einen Zusammenhang zur Migrationskrise an der EU-Außengrenze.

Erdogan und Putin bei einem Treffen Ende September in Sochi, Russland

IMAGO / ITAR-TASS

Fast unbeobachtet von der europäischen Berichterstattung laufen seit Wochen Gespräche zwischen Russland und der Türkei über die Zukunft Nordsyriens. Dort sind immer noch türkische Truppen stationiert, die nach Darstellung aus Ankara die Region stabilisieren, nach russischer Auffassung dagegen die Islamisten in Idlib unterstützen, die Moskau und Damaskus als Terrorgruppen charakterisieren. Die türkische „Stabilisierung“ dürfte vor allem den Sicherheitsbedürfnissen Ankaras in der Kurdenfrage geschuldet sein.

Es besteht die Furcht, dass die kurdischen Milizen in der Region zu unabhängig werden könnten und damit als Vorbild für separatistische Strömungen auf türkischem Territorium dienen – oder aktiv von den de facto autonomen Kurden in Syrien angestachelt werden könnten. Die „Kurdenfrage“ – also das Problem eines auf mehrere Nationalstaaten verteilten Volkes ohne eigenen Nationalstaat – bleibt virulent. Und sie stellt weiterhin die Integrität des türkischen Nationalstaates infrage, auf dessen ostanatolischem Buckel die Landsleute Sultan Saladins die Mehrheit der Bevölkerung stellen.

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Die Milizen der Kurden hatten in den Jahren des Islamischen Staates (IS) eine bedeutende Rolle als Alliierte gegen den Gottesstaat von Abu Bakr al-Baghdadi gespielt und strategischen Boden gutgemacht. Damals galten die USA als ihre Unterstützer. Allerdings konnte Washington diese Unterstützung nicht offener und nachhaltiger ausweiten, um den Clinch mit dem NATO-Partner Türkei nicht größer werden zu lassen, als er sowieso schon war.

Unvergessen die Schlacht um Kobane (Ain al-Arab) im Jahr 2014, als in der nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernten Stadt Kurden und Dschihadisten sich erbittert bekriegten, indes die türkische Armee aus sicherer Entfernung zuschaute. Den US-Waffenabwurf für kurdische Kämpfer schätzte Erdogan damals als „falsch“ ein. Erst 2019 marschierten die Türken dann doch in Syrien ein – als der IS bereits am Boden lag, nicht zuletzt aufgrund der kurdischen Vorarbeit. Danach waren die Kurden größtenteils auf sich allein gestellt. Diesmal nicht gegen den IS, sondern gegen Erdogans Truppen.

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Aus russischer Perspektive hatten die Kurden lange Zeit ihre Funktion als IS-Gegner – und damit als informelle Verbündete des Regimes von Baschar Al-Assad – erfüllt. In einer Region, in der das Konzept dominiert, dass der Feind eines Feindes ein Freund ist, kamen die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) den Russen als willkommenes Instrument entgegen. Trotz anderslautender Ankündigungen hatte Moskau daher 2019 auch kein Interesse daran, die kurdischen Milizen aus Nordsyrien zu entfernen. Sie bildeten eine nützliche Bastion gegen den türkischen Vormarsch. Die offizielle syrische Armee und russische Streitkräfte halten seit 2019 Kobane, haben die kurdischen Milizen dort jedoch nicht vertrieben.

Zwei Jahre nach dem türkischen Einmarsch sind die Fronten so gut wie unverändert. Die russisch-syrische Fraktion kontrolliert den Großteil des Landes, die Kurden den Nordwesten, die Türken einen schmalen Streifen im Nordosten, daneben halten sich örtlich noch Rebellen aus der Syrischen Nationalen Armee (SNA) und Dschihadisten. Von Letzteren sticht Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) heraus, das die Gegend um Idlib kontrolliert und teils gemeinsame Aktionen mit der SNA ausgeführt hat. Letzteres warf in der Vergangenheit Spekulationen auf, dass das sogenannte „Komitee zur Befreiung der Levante“ zumindest indirekt mit der Türkei verbündet sein könnte.

Noch immer ist die Situation demnach unübersichtlich und die Zukunft Syriens nicht besiegelt. Mittlerweile sind die Fronten jedoch insofern geklärt, als dass der Konflikt zu einer vor allem russisch-türkischen Angelegenheit geworden ist, bei der die Russen und ihre Verbündeten einen strategischen Vorteil haben.

Überraschend ist, dass sich seit einigen Wochen die Gegner annähern, wie die Nachrichtenagentur Middle East Eye berichtet. Grund dafür ist auch ein Interessenausgleich im Kaukasus, wo Russen und Türken ihre Interessengebiete neu abstecken – dort gelten Armenien und Aserbaidschan als Stellvertreter der Großmächte. Die virulente Schwäche der USA macht es möglich, dass beide Widersacher ungestört verhandeln können.

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Offenbar ist Russland bereit, den Türken zumindest eine gewisse Einflusssphäre im Norden Syriens zuzugestehen. Ankara steht auf dem Standpunkt, dass es seine Truppen nicht aus Syrien abziehen könne, solange kurdische Milizen so nahe am eigenen Territorium operieren. Neuerlich gerät die Stadt Kobane in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Moskau soll angeboten haben, die kurdischen Milizen aus der Stadt zu entfernen, wenn die Türken dafür Konzessionen in Idblib machen und sich aus Syrien zurückziehen. Strittige Gebiete könnten von einer gemeinsamen russisch-türkischen Wache patrouilliert werden. Russland hat dabei mit neuen Militärschlägen auf Rebellen und Dschihadisten deutlich gemacht, dass es eine militärische der politischen Lösung vorziehen könnte, sollte die Türkei nicht auf das Angebot eingehen.

Sicher ist, dass vor allem die Kurden die Verlierer eines solchen russisch-türkischen Deals wären. Auch der Verbleib der Dschihadisten und säkularen Rebellen wäre ein ungelöstes Problem. Da die Gespräche bereits seit Oktober im Gange sind, dürften sie den Beteiligten nicht entgangen sein. Womöglich ist es kein Zufall, dass die Migranten an der polnisch-weißrussischen Grenze vornehmlich aus kurdischen Gebieten stammen sollen. Und vermutlich ist es auch kein Zufall, dass Erdogan wie Putin aktiv bei der Verfrachtung von Migranten aus diesem Krisengebiet nachhelfen. Es wäre eine elegante Möglichkeit, das Krisenpotenzial im Nahen Osten auf den Nachbarkontinent Europa zu verfrachten und sich des Problems so zu entledigen. Zumindest erklärte dieses Szenario die ungewöhnliche Kooperation zwischen den beiden besten Feinden nördlich und südlich des Schwarzen Meeres.

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