Am Nachmittag des 6. Dezember verfügte das rumänische Verfassungsgericht einstimmig, die Ergebnisse der am 24. November erfolgten ersten Runde der Präsidentschaftswahlen zu annullieren und den kompletten Wahlvorgang, samt Aufstellung der Kandidaten, zu einem späteren Zeitpunkt von vorne zu beginnen. Damit war auch die Stichwahl am 8. Dezember storniert. Zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung hatten in der Diaspora die Wahlokale bereits geöffnet, rund 40.000 Auslandsrumänen hatten ihre Stimmen bereits abgegeben. Auslöser der Gerichtsentscheidung waren mehrere Anträge, die Wahl zu annullieren.
Dabei hatte das Gericht gleich nach der ersten Wahlrunde die Stimmen neu auszählen lassen und war zu dem Schluß gelangt, dass alles regelgerecht abgelaufen war.
Und noch am 5. Dezember hatte das Gericht mitgeteilt, dass es Anträge auf Annullierung der ersten Runde vorerst nicht akzeptieren könne. Nur die beiden Kandidaten, die in die Stichwahl gelangten, könnten demnach zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang eine Überprüfung des ersten Wahlgangs beantragen. Erst nach der Stichwahl könnten auch andere beantragen, die Rechtmäßigkeit der Umstände in der ersten Runde zu überprüfen.
Aber weder der Favorit, Calin Georgescu, noch seine Gegenspielerin, die liberale Elena Lasconi, waren dazu bereit. Beide waren davon überzeugt, das sie die Stichwahl gewinnen würden.
Begründung der Verfassungsrichter wenig stichhaltig
Die – später nachgelieferte – Begründung der Verfassungsrichter für ihren Sinneswandel bezieht sich auf Geheimdienstdokumente, die zuvor am 4. Dezember entklassifiziert worden waren, sie unterlagen also nicht mehr der Geheimhaltung. Unter Bezug auf diese Dokumente listeten die neun Verfassungsrichter eine ganze Litanei von Problemen auf, die „jeden Aspekt” der Wahl so verzerrt hätten, dass das Ergebnis nicht mehr als Ausdruck des tatsächlichen Wählerwillens gelten könnte. Bei näherem Hinsehen scheinen aber nur zwei oder drei Punkte wirklich justiziabel.
Der erste: Indirekte und illegale Wahlkampf-Finanzierung. Der rechte unabhängige Kandidat Calin Georgescu, der die erste Runde überraschend mit 23 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, hatte behauptet, „Null Lei” (die rumänische Währung) für seinen Wahlkampf ausgegeben zu haben. Aus den Dokumenten des Geheimdienstes SRI geht aber hervor, dass ein „Geschäftsmann” namens Bogdan Peschir insgesamt eine Million Euro ausgegeben habe, um Georgescus Wahlkampf zu unterstützen.
Unter anderem soll er unter dem TikTok-Usernamen „bogpr” insgesamt 381.000 Dollar über eine App namens „FameUp” an Influencer ausgezahlt haben, damit sie Georgescus Botschaften auf TikTok amplifizieren oder für ihn werben. Laut SRI (zitiert von Aperpres) sollen diese Gelder illegaler Herkunft gewesen sein, also nicht nur die indirekte Wahlkampffinanzierung wäre zu verfolgen, sondern auch eine kriminelle Herkunft der dafür verwendeten Gelder.
Illegale Wahlkampffinanzierung?
Am 7. Dezember begann in drei Wohnungen Peschirs in Brasov (Kronstadt) eine Hausdurchsuchung, die bis in die Morgenstunden des 8. Dezember dauerte. Die Ermittler fanden den Gegenwert von sieben Millionen Dollar auf diversen Konten Peschirs. Diese Summe wurde umgehend beschlagnahmt.
In die TitTok-Transaktionen soll auch eine nicht näher genannte südafrikanische Firma verwickelt gewesen sein. Ob und wie diese mit Georgescu abgesprochen waren, ist bislang nicht bekannt.
Der zweite juristisch relevante Verdacht: Eine ausländische Macht soll die Wahlen beeinflusst haben, auch unter Verwendung finanzieller Mittel. Im Prinzip ist das in westlichen Demokratien nicht erlaubt, aber oft schwer nachzuweisen, wenn Geldmittel nicht direkt an Parteien oder Kandidaten fließen. Konkret ist in den Medien von Russland die Rede, allerdings wird im Geheimdienstbericht kein Land genannt, und der einizige erwähnte ausländische Akteur ist die südafrikanische Firma, die Influencern je 1000 Euro angeboten haben soll für das Verbreiten von Georgescu-Propaganda.
Derweil wurde am Montag ein Mann namens Horatiu Potra festgenommen, der laut Medienberichten für Georgescus Personenschutz zuständig war. Georgescu behauptet, ihn nie persönlich gesehen zu haben. Potra soll unter anderem eine Söldnertruppe in Afrika befehligt haben. Er wurde am Sonntag auf dem Weg nach Bukarest angehalten.
Dort war es – am theoretischen Wahltag, aber die Wahl war ja gestrichen – zu Protestaktionen von Georgescu-Anhängern gekommen. Die Behörden verdächtigen Potra, dass er dabei bewaffnete Provokationen plante. In seinem Auto wurden eine Pistole und mehrere Messer, sowie rund 10.000 Euro in verschiedenen Währungen gefunden. Am Montag wurde sein Haus durchsucht.
Potra und sein Umkreis gelten als extrem rechts, und es ist dieses Umfeld, das oft herangezogen wird, um auch Georgescu als rechtsextrem zu bezeichnen.
Soziale Medien: Was ist legitime, was unrechtmäßige Beeinflussung?
Aber nicht seine Gesinnung wurde wurde Georgescu vom Verfassungsgericht zur Last gelegt, sondern es wurde eine so umfassende Manipulation der Wahl behauptet, dass nur die komplette Annulierung der Wahl Abhilfe schaffen könne. Die Richter führten in ihrer ausführlichen Begründung auf 10 Seiten 23 Argumente auf, von denen die meisten aber nicht sehr ausführlich waren, wenig Konkretes enthielten und mehr Fragen aufwarfen, als sie beantworteten.
Auf einen Nenner gebracht befanden die Richter, dass die Wähler nur dann demokratisch entscheiden können, wenn sie „korrekt” informiert werden. „Genauer gesagt, die Freiheit der Wähler, sich eine Meinung zu bilden, setzt ein Recht auf korrekte Information über die Kandidaten voraus (…) auch online, sowie Schutz gegen ungerechtfertigte Beeinflussung”.
Das aber sei nicht möglich gewesen, da in den sozialen Medien ein Kandidat massiv bevorteilt worden sei, teilweise durch illegale verdeckte Finanzierung.
Halten wir fest: Ein Wahlkampf fand statt, in dem Soziale Medien als Wahlkampfmittel benutzt wurden, teilweise offenbar mit verdeckter Finanzierung. Das Verfassungsgericht vermutet ausländische Geldgeber dahinter.
Nichts davon ist in einem ordentlichen Gerichtsverfahren bewiesen, die einzige Grundlage sind Geheimdienstdokumente, die wenig Beweise liefern. Man hofft natürlich, dass Rumäniens SRI alles genau durchschaut hat, aber es soll in der Geschichte der Geheimdienste dieser Welt zuweilen vorgekommen sein, dass sie Geschichten in die Welt setzten, die so nicht genau stimmen. Denken wir an den Irak-Krieg und Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen.
So kann jede Wahl im digitalen Zeitalter auf den Prüfstand kommen
Was bleibt, ist, dass mit solchen Argumenten jede moderne Wahl im digitalen Zeitalter annulliert werden könnte. Immer versuchen die Parteien und Kandidaten online die Wähler zu erreichen, sprich, sie zu beeinflussen, nie sind ihre Informationen vollständig korrekt und objektiv, immer versuchen sie, den Gegner schlecht zu machen und sich selbst in vorteilhaftem Licht zu zeigen.
Streng genommen war dies auch schon früher so: Komplette Chancengleichheit für alle im medialen Raum hat es noch nie gegeben.
Versuchen wir ein Gedankenspiel: Bei den Wahlen in Ungarn 2018 wurde die linke Opposition gegen Ministerpräsident Viktor Orbán indirekt mit Geldern einer amerikanischen NGO unterstützt. Hätte man deswegen die Wahl wiederholen sollen? Derzeit beherrscht ein neuer Herausforderer Orbáns die Sozialen Medien in Ungarn. Zieht da irgendjemand die Fäden? Was, wenn nach den Wahlen 2026 die Wahlkommission entscheidet, die Wahl deswegen wiederholen zu lassen?
Das ist natürlich undemokratischer Unsinn. Sollte es in einem Wahlkampf zu strafrechtlich relevanten Vergehen kommen, etwa illegale Wahlkampffinanzierung, dann ist das normalerweise eine Sache für die Staatsanwaltschaft. Die entscheidende Frage, die niemand stellt, ist folgende: Hätte das Verfassungsgericht Alternativen gehabt? Ja, natürlich. Es hätte die Wahl nach deren Abschluss überprüfen können. Es hätte Kandidaten, die die Regeln verletzten, disqualifizieren können.
Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis, dessen Amtszeit am 20. Dezember endet, der aber nun sicher für weitere drei Monate im Amt bleibt, telefonierte am Wochenende mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie seien völlig einverstanden gewesen, dass zum Schutz der Bürger die „Integrität der Sozialen Medien gestärkt werden müsse”.
Nicht auszudenken, wozu die Wahlbürger imstande wären, wenn man sie nicht davor schützt, nachdenken zu müssen.