Tichys Einblick
Angriff auf Online-Portale

Rumänien: Bahnbrecher für betreute Politik in Europa

Bei den rumänischen Präsidentschaftswahlen sehen die etablierten Parteien alt aus. Radikale Systemkritiker führen die Umfragen an. Drakonische Online-Regeln sollen den Mainstream retten.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexandru Dobre

Man kann Rumäniens Mainstream-Managern wirklich nicht vorwerfen, sie hätten irgendetwas versäumt, um das alterschwache Gebäude der Macht vor dem Zusammenbruch zu retten. In diesem Gebäude gab es bislang Platz für drei Parteien, die darin mal mit Ausblick wohnten, mal auf der weniger sonnigen Oppositionsseite: Die Konservativen (PNL), die Sozialisten (PSD) und als Zünglein an der Waage die Partei der ungarischen Minderheit, die UDMR (ungarische Abkürzung: RMDSZ). Diese drei – mal mit anderen, kleineren, mal ohne – waren seit der Wende abwechselnd, aber verlässlich Teil jeder Regierung.

Meinungsfreiheit unter Beschuss
Rumänien nimmt vor Neuwahlen „illegale Online-Inhalte“ ins Visier
In diese schöne Welt brach vor zehn Jahren eine vehemente Antikorruptionsbewegung ein, aus der eine liberale Partei hervorging (die heutige USR), die die etablierten Parteien aufs schärfste kritisierte. Deren Mitbegründer Nicusor Dan trat 2017 wieder aus, wurde dann aber 2020 Bukarester Bürgermeister (mit Unterstützung der PNL) und könnte den Umfragen zufolge Rumäniens nächster Staatschef werden.

Wenn nicht er, dann wohl George Simion, Chef der extrem rechten AUR. Ihn sehen die Umfragen als wahrscheinlichen Gewinner der ersten Wahlrunde, mit rund 30 Prozent der Wahlabsichten. Crin Antonescu, der gemeinsame Kandidat der Altparteien PSD, PNL und UDMR, dürfte es den aktuellen Umfragen zufolge nicht einmal in die Stichwahl schaffen.

Eigentlich müsste das Land längst einen neuen Staatschef haben, aber weil auf die Wähler kein Verlass war, wurde am 6. Dezember des vergangenen Jahres die komplette Wahl storniert. Der rechte, formal unabhängige, aber von der AUR unterstützte Kandidat Calin Georgescu, hatte die erste Runde mit fast 23 Prozent der Stimmen gewonnen und auch in der Stichwahl konnte er sich Chancen ausrechnen.

Da wurde die Wahl vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt, wegen „russischer Beeinflussung” via Tiktok. Eine als Beweis genannte Tiktok-Kampagne erwies sich bei nährem Hinsehen jedoch als von der PNL bestellt.

Kandidat Călin Georgescu
Will Rumänien die Demokratie vor den Wählern retten?
Für die Neuauflage der Wahl (am 4. und 18. Mai) präsentierte sich Georgescu erneut, mit dem Unterschied, dass er nun bereits bei 41 Prozent in den Umfragen lag. Wahlkommission und Verfassungsgericht schmetterten seine Bewerbung ab, weil er „Grundprinzipien der Demokratie” missachte, was man schon daran erkennen könne, dass wegen ihm die vorangegangene Wahl für ungültig erklärt worden wäre.

Daraufhin stimmten sich die drei rechten Parteien AUR, POT und SOS mit Georgescu ab, und beschlossen, dass AUR-Chef Simion und POT-Chefin Gavriela statt Georgescu kandidieren würden. Beide wurden, fast schon überraschend, auch als Kandidaten zugelassen, obwohl besonders Simion sich sehr viel radikaler als Georgescu etwa zur ungarischen Minderheit geäußert hat, was im Sinne der Verfassung als „ethnische Diskriminierung” gewertet werden kann.

Wenn alles nach Plan geht, wird Gavriela zu Simions Gunsten von ihrer Kandidatur absehen. Er dürfte dann in der ersten Runde mehr als die jetzt prognostizierten 30 Prozent erhalten. Insgesamt enspricht das Stimmenpotential des rechten Lagers aber kaum mehr als den 41 Prozent, die Georgescu selbst in den Umfragen zuletzt erreichte. Das dürfte nicht reichen.

Nun ist guter Rat teuer. Wie kann man den rechten Kandidaten von einem Wahlerfolg abhalten? Da offensichtlich im digitalen Zeitalter die Wähler wankelmütig sind, hat Rumänien drakonische neue Regeln erlassen, um Online-Inhalte politisch unter Kontrolle zu halten. Das Bildungsministerium gab dazu einen Leitfaden für Lehrer, Schüler und Eltern heraus, in dem erläutert wird, wie sie illegale Online-Inhalte erkennen und melden können, damit sie entfernt werden.

Natürlich gilt die Meinungsfreiheit, sagte Bildungsminister Daniel David, aber nicht für „illegale Inhalte”, also solche, die gegen Gesetze verstoßen. Fake News sind illegal, und auch Inhalte, die einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht standhalten.
„Romania targets ‘illegal online content ahead of re-run elections.“

Beim CPAC
US-Vizepräsident Vance kritisiert Annullierung der Wahlen in Rumänien als Gefahr für westliche Werte
Zu Zeiten der Covid-Epidemie hätte das also bedeutet, dass Inhalte, die die Impfflicht kritisieren, oder die Meinung vertreten, das Covid-Virus sei in einem Labor entstanden, illegal gewesen wären, hätte es diese Regeln damals schon gegeben. Beides hat sich inzwischen zwar als wahr erwiesen – unsinnige Impfpflicht, Labor-Ursprung – aber nach diesen Regeln wären solche Behauptungen damals unwahr und illegal gewesen.

Da hätten dann – nach den neuen Bestimmungen – mindestens vier staatliche Stellen deren Löschung beantragen können: Der Geheimdienst, die Armee, der Medienrat und – für die kommenden Wahlen entscheidend – die Wahlkommission.
Online-Plattformen müssen den Regeln zufolge unter Androhung schwerer Strafen solche Inhalte binnen 15 Minuten löschen. Das geht nur unter Einsatz künstlicher Intelligenz und dürfte von den Tech-Firmen in der ganzen EU-angewendet werden, um nicht nach zweierlei Maßstab messen zu müssen (das kostet Zeit und Geld).

Die rumänischen Online-Regeln sind an den Digital Services Act der EU angelehnt, verschärfen dessen Bestimmungen aber (etwa die 15-Minuten-Frist).

Die künftigen Verfassungsfeinde
„Klimaneutralität” ins Grundgesetz? – Welche machtpolitischen Absichten dahinter stecken könnten
Falls dies explizit oder implizit auf Deutschland überschwappt, könnte das hier beispielsweise zum Löschen von kritischen Inhalten zur Klimapolitik oder zur „Klimaneutralität” führen, ein Begriff, der neuerdings ins Grundgesetz hinangeschrieben werden soll. Kritik daran könnte als „unwissenschaftlich” gebrandmarkt werden.

Rumänien hat schon Demokratiegeschichte geschrieben, als es als erstes Land der EU eine bereits erfolgte und auch validierte Präsidentschaftswahl (zumindest deren erste Runde im vergangenen Jahr) rückgängig machte, ohne dass dies rechtsstaaliche Bedenken erweckt hätte bei den EU-Institutionen.

Nun könnte das Land erneut eine Vorreiterrolle spielen, diesmal bei der Einengung des Online erlaubten Meinungs- und Faktenspektrums. Die Regierung hat die neuen Regeln, die weit über den DSA hinausgehen, erklärtermaßen mit Brüssel abgesprochen.

Dies sind Präzedenzfälle, die das künftige politische Spielfeld in Europa neu abstecken sollen.

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