Tichys Einblick
Golden Globes

Ricky Gervais an Hollywood-Gemeinde: »Ihr wisst nichts über die reale Welt«

Bei der diesjährigen Verleihung der Golden Globes hat der britische Comedian Ricky Gervais, selbst Gewinner zahlreicher Preise, der versammelten Hollywood-Gemeinde die Meinung gesagt: Hört auf zu predigen, auch ihr seid nicht besser als andere.

Paul Drinkwater/NBCUniversal Media, LLC via Getty Images

Es sind die kleinen Oscars, die alljährlich zu Jahresbeginn an die Film- und Fernsehschaffenden der Vereinigten Staaten verliehen werden. Bei der 77. Verleihungszeremonie der Golden Globes wurden die Stars nun zu Zeugen eines Schauspiels der besonderen Art.

Ricky Gervais, der die Verleihung zum fünften und letzten Mal präsentierte, hatte sich für seinen Abschied offenbar etwas ganz Besonderes vorgenommen. Das süffisante Mienenspiel des Comedians, die perfekt einstudierten Dialoge mit imaginären Gesprächspartnern, alles wurde Teil eines ziemlich zornigen, manchmal auch zotigen Monologs, in dem Gervais den anwesenden Filmgrößen genüsslich ihr Fett mitgab und vor allem die absurden Wendungen ihrer politischen Posen zwischen Inklusion und Hypermoral nachzeichnete. Gleich zu Beginn gab er zu Protokoll: »Eigentlich wollten wir an die Verstorbenen des Jahres erinnern. Aber als ich die Liste derer sah, die gestorben waren … das war einfach nicht divers genug, fast nur Weiße. Und ich dachte so, nee, nicht mit mir!« Dann mit einem Lächeln: »Mal sehen, wie es nächstes Jahr aussieht.«

Als er die Show aufmacht mit: »Lassen Sie uns mit einem Knall starten, lassen Sie uns auf Ihre Kosten lachen. Denken Sie daran, es sind nur Witze. Wir werden alle bald sterben – und es gibt keine Fortsetzung, also denkt dran!« musste jedem Anwesenden klar sein: Das hier wird kein Safe Space wie die Oscars.

Wenn das noch eine bloße Fußnote zu sein schien, dann ging Gervais bald schon in die vollen und spießte das Komplizentum der Hollywood-Gemeinde in Sachen sexueller Nötigung auf. »Unsere nächste Preisverleiherin (Sandra Bullock) ist Star in Netflix‘ „Bird Box“, einem Film, in dem Menschen überleben, in dem sie vorgeben, nichts zu sehen. Also in etwa so, wie für Harvey Weinstein zu arbeiten.« Gervais spricht das anwesende Publikum an: »Talking of all you perverts.« In diesem Raum hätten praktisch alle Grund, sich vor Ronan Farrow zu fürchten, der einst den Weinstein-Skandal ins Rollen brachte: »Er ist hinter euch her.« Denn genau wie in einem der ausgezeichneten Filme hätten auch bei Weinstein offenbar sehr viele Leute weggesehen und so getan, als ob gewisse Dinge nicht passiert seien.

Dass dieses Lied noch längst nicht ausgesungen ist, deutete er mit einigen treffsicheren Bemerkungen an. So verglich der Brite scherzhaft, dass eine Serie („After Life“, deren Drehbuchautor und Hauptdarsteller Gervais ist), in der ein Mann über den Krebstod seiner Frau so verzweifelt sei und darüber Selbstmord begehen wolle, fröhlicher sei, als sich die nächsten Stunden Golden Globes anzusehen. Staffel 2 sei in der Mache, so – Spoiler Alarm – er tötet sich ganz offensichtlich nicht. Überleitung zum nächsten Gag: »So wie Jeffrey Epstein« – und provoziert abermals eine teilweise entgeisterte Reaktion des Publikums: »Shut up. Ich weiß, er ist euer Freund, aber das ist mir egal.«

Der Witz über Judy Denchs intime Beziehung zu ihrer Rolle in »Cats« (»die Rolle meines Lebens«) – der eher süffiger, jedenfalls nicht spezifisch feministischer Natur war – kann hier nicht wiedergegeben werden. »Sie ist von der alten Schule!«, rief ein selbst in Gelächter ausbrechender Gervais verzweifelt aus. Daneben kamen auch Martin Scorsese (Körpergröße) und Leonardo Di Caprio (junges Alter seiner Freundinnen) an die Reihe. Das so geehrte Publikum musste sich entscheiden, ob es echt oder gespielt, lauthals oder etwas vorsichtiger lachen sollte. Gar nicht mehr aus einem naserümpfenden Staunen kam Tom Hanks heraus.

»Wenn ISIS einen Streaming-Dienst gründet, ruft ihr euren Agenten an, oder etwa nicht?«

Die schmerzhafteste Wahrheit des Abends waren aber Gervais’ Ausführungen zur hochfliegenden Moral der versammelten Hollywood-Stars, die sich nicht immer ganz mit dem eigenen Handeln deckt – wie eben schon die verspäteten Aussagen zur Weinstein-Affäre zeigten. 2019 ist nun der Technologie-Gigant Apple mit der Streaming-Serie »The Morning Show«, einer Satire über das Fernsehnachrichten-Geschäft, erfolgreich ins TV-Geschäft eingestiegen. »Ein herausragendes Drama«, so Gervais, »über Würde und das richtige Handeln – produziert von einem Unternehmen, das ausbeuterische Fabriken in China betreibt.« Aber das war erst der Anfang seiner Philippika: »Ihr behauptet aufgeklärt zu sein, aber wenn das die Firmen sind, für die ihr arbeitet … unglaublich! Apple, Amazon, Disney – wenn ISIS einen Streaming-Dienst gründet, ruft ihr euren Agenten an, oder etwa nicht?«

Mit einiger Verve bat er alle Anwesenden, ihre Dankesreden nicht für politische Predigten zu nutzen (woran sich allerdings wenige hielten): »Ihr habt kein Recht, das Publikum zu belehren, über nichts. Ihr wisst nichts über die reale Welt. Die meisten von euch haben weniger Zeit in der Schule verbracht als Greta Thunberg.«

»You’re in no position to lecture the public about anything, you know nothing about the real world. Most of you spent less time in school than Greta Thunberg. So, if you win, come up, accept your little award, thank your agent and your God – and f*ck off. OK?«

Seine Preise möge man mit Demut annehmen, seinem Agenten und seinem Gott danken und … sich verziehen. Der englische Ausdruck ist im offiziellen Video nicht zu hören. Tom Hanks presste seine Lippen fest aufeinander und blinzelte in ein unter ihm liegendes Nichts.

In der Ankündigung der ersten Preisvergabe kam dann noch einmal Gervais’ Kritik an der vollständigen Selbstbezüglichkeit des versammelten Hollywood-Zirkels zum Ausdruck: »Den Preis für den besten Schauspieler präsentieren … na ja, ein paar Schauspieler eben, aus dem Fernsehen. Was soll man dazu sagen?« Nichts mehr, da praktisch alles gesagt ist.

Es kam, wie es kommen musste, wann immer die Melange aus Medien und Politik keine Antworten auf die klassische old school Satire nach oben haben: Ricky Gervais muss ein Rechter sein.


Das gesamte Transkript des Ricky Gervais Golden Globes Monologues finden Sie hier.

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