Tichys Einblick
Heute Polen, morgen EU-Europa

Die volle Macht im linksliberalen „Rechtsstaat“: Gefängnisstrafen für Priester

Nachdem in Polen Donald Tusk das Ruder übernommen hat, häufen sich Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Menschen werden unter fabrizierten Anschuldigungen ins Gefängnis geworfen und leiden unter Repressalien. Berlin und Brüssel schweigen, wenn sie nicht gar applaudieren.

picture alliance / NurPhoto | Jakub Porzycki

Heute Polen, morgen Europa: Weil seine Stiftung (angeblich) nicht die adäquaten Statuten besaß, um ein von der konservativen Vorgängerregierung finanziertes Zentrum für Verbrechensopfer zu betreuen, wird in Polen ein Priester seit über sechs Monaten in Untersuchungshaft gehalten. Als sich dieser Grund als unzulässig erwies, erklärte man kurzerhand das gesamte ausgehende Justizministerium zur kriminellen Organisation – und Vater Olszewski zum Komplizen. Was steckt dahinter?

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Nachdem in Polen Donald Tusk das Ruder übernommen hat, häufen sich im Wochentakt Skandale und eklatante Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, die er selbst unter Verweis auf das „höhere Ziel“ der angeblichen Restitution der Demokratie auch durchaus zugibt. Berlin und Brüssel schweigen, wenn sie nicht gar applaudieren: Im „Kampf gegen Rechts“ ist jede Waffe willkommen, wenn es nur schnell und nachhaltig geht.

Die neueste Eskalationsstufe: Das „demokratische“ Polen wirft nicht nur regelmäßig Minister und andere hohe Mandatsträger ins Gefängnis; auch Menschen, die mit der früheren Regierung nur zusammengearbeitet und Finanzhilfen beantragt haben, geraten unter angeblichem Korruptionsverdacht hinter Gittern – manchmal bis über ein halbes Jahr, wie der heißdiskutierte Fall des Priesters Michał Olszewski beweist, des wohl ersten Menschen, der seit dem Ende des Kommunismus unter dem bloßen Verdacht eines gewaltfreien „Verbrechens“ so lange hinter Gittern gehalten wird.

Vater Olszewski, Mitglied der Herz-Jesu-Priestervereinigung, die für ihre Nähe zur katholischen Soziallehre bekannt ist, wurde am 26. März 2024, also am Gründonnerstag, „abgeholt“ und in Untersuchungshaft gesperrt, aus der er bis heute nicht entlassen wurde. Seine Haftbedingungen entsprechen allem anderen als den von Donald Tusk beschworenen „europäischen Werten“: Er wurde daran gehindert, seinen Rechtsbeistand zu kontaktieren, über 60 Stunden lang wurde ihm Essen verweigert, das seine Zöliakie berücksichtigte, und selbst der Gang zur Toilette wurde ihm zeitweise verboten.

Sein Vergehen? Er hatte als Vorsitzender der Stiftung „Profeto“ von der vorherigen Regierung eine Finanzhilfe von 100 Millionen Złoty (25 Millionen Euro) beantragt und 66 Millionen (umgerechnet ca. 17 Millionen Euro) erhalten für den Bau eines großen Zentrums für die Opfer von physischer, psychischer, geistiger oder wirtschaftlicher Gewalt – das größte bislang von der Herz-Jesu-Priestervereinigung realisierte Zentrum dieser Art in Polen (und vielleicht sogar in Europa). Geber des Geldes war das Justizministerium, dem unter der Vorgängerregierung ein umfangreicher Sozialfonds für solche karitativen Zwecke zugewiesen worden war.

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Was wird Olszewski nun vorgeworfen? Zunächst wurde die Untersuchungshaft legitimiert mit der Behauptung, dass die Statuten seiner Stiftung nicht die entsprechenden Voraussetzungen zur Betreuung eines solchen Projekts geboten hätten, was dann auch zur Begründung dafür herhalten musste, dass zwei Sachbearbeiterinnen des Justizministeriums als angebliche „Komplizinnen“ ebenfalls in Untersuchungshaft gesteckt wurden und dort bis heute unter ähnlich erniedrigenden Bedingungen ihr Dasein fristen – getrennt von Familie und Kind. Nachfragen der Verteidigung sollten zeigen, dass diese Begründung völlig unzulässig ist, da auch der neue Justizminister Stiftungen, die dieselbe juristische Struktur wie die inkriminierte „Profeta“ aufweisen, analoge Finanzierungen zukommen lässt.

Als dann das gesetzliche Maximum von sechs Monaten erreicht war, fügte die von Donald Tusk und dem neuen Justizminister Bodnar ohne (eigentlich notwendige) Bestätigung des Präsidenten personell komplett umbesetzte Landesstaatsanwaltschaft einen neuen Anklagepunkt hinzu, um die Untersuchungshaft verlängern zu können. Die gesamte Leitung des früheren Justizministeriums soll nun offiziell als „kriminelle Organisation“ eingestuft werden, sodass alle Personen und Institutionen, die mit dieser Einrichtung zusammengearbeitet haben oder Geld beantragt bzw. erhalten haben, theoretisch als „Komplizen“ eines organisierten Verbrechens gelten könnten. Dieser Vorwurf geht übrigens unmittelbar von Premierminister Donald Tusk aus, der bereits im Mai den „Skandal“ um Vater Olszewski nutzte, das scheidende Justizministerium kurzerhand zur „kriminellen Organisation“ zu erklären:

Es würde hier zu weit gehen, das komplette, ebenso surreale wie haarsträubende Dossier aufzuarbeiten, doch sei der Leser nachdrücklich auf folgendes, mit deutschen Untertiteln versehene Interview mit Krzysztof Wąsowski verwiesen, dem Anwalt von Pater Olszewski.

Was liegt also in Wirklichkeit hinter den absurden Vorwürfen?

Die neue Regierung zeichnet sich vor allem durch ihre linksliberale und kirchenfeindliche Haltung aus, hat man doch (korrekterweise) die katholische Kirche als letztes und wichtigstes Bollwerk der Tradition und des Konservatismus in Polen erkannt. Vater Olszewski ist ein junger, kämpferischer und traditionalistischer Gottesmann, der vor allem bei der polnischen Jugend überaus beliebt ist, und dem es in den letzten zehn Jahren gelungen ist, ein erfolgreiches, vor allem auf Youtube aktives Medienportal zu schaffen (https://profeto.pl/), das einem der größten Desiderate des polnischen Konservatismus begegnet: der demographischen Falle der +60-Wählerschaft zu entgehen und junge Leute anzusprechen. Dazu kommt eine ganz offensichtliche wechselseitige Sympathie mit der Vorgängerregierung.

Nachdem Olszewskis Projekt bewilligt wurde, entwickelte sich ein engerer Kontakt mit dem früheren Justizminister Ziobro, dessen Kind Olszewski auch die Taufe spendete. Schon seit dem Machtantritt bemüht sich Tusk nach Kräften, alle Kommunikationskanäle der Konservativen zu kappen: Zunächst wurden sämtliche öffentliche Medien von konservativen Mitarbeitern und Journalisten gesäubert, dann begann der Versuch, die Finanzierung der christlichen Sender und Zeitungen massiv zu beschneiden, und schließlich wurden sonstige „rechte“ NGOs ganz gezielt und koordiniert unter Beschuss genommen, wie die „Schwarze Liste“ beweist, die im Januar vom Kulturministerium veröffentlicht wurde: Sie empfahl die Überprüfung von Finanzhilfen ausschließlich für Organisationen, die dem christlich-konservativen Spektrum zuzurechnen sind.

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Wieso sollte dieser Fall nun einen Deutschen oder Franzosen interessieren? Die Antwort ist einfach: Polen ist gegenwärtig – einmal mehr in seiner Geschichte – das Versuchsfeld für ein umfassendes soziales Experiment geworden. Diesmal handelt es sich um die ebenso blitzartige wie radikale Ausmerzung einer jeden konservativen Rückzugsstellung mit dem Ziel, den Staat an der Weichsel von einem Bollwerk des christlich-sozialen abendländischen Patriotismus in ein linksliberales Musterland zu verwandeln, und zwar notfalls auch unter bewusstem und offen zugegebenem Bruch der Verfassung. Wie TE bereits früher schrieb, wird in Polen das Konzept der „Übergangsjustiz“ erprobt, welches im Wesentlichen darauf beruht, den politischen Feind ideologisch zu kriminalisieren und entsprechend sämtliche seiner Amtshandlungen als zwar nicht formal illegal, aber moralisch illegitim zu erklären, um in einem zweiten Schritt im Dienst der „guten Sache“ alle formalen Hemmnisse beiseite zu räumen, denn „der Zweck heiligt die Mittel“.

Man mag der früheren PiS-Regierung nun in der Tat vorwerfen, sich bei ihrer eigenen Rechtsreform teilweise verheddert zu haben und in die Falle gelockt worden zu sein, da der Auslöser der Vorgänge die vorgezogene, also illegale Ernennung von Verfassungsrichtern durch Tusks eigene Vorgängerregierung gewesen war, und der innere Boykott des weitgehend linksliberal dominierten Justizwesens eine weitere Komplexitätstufe hinzufügte. Doch niemals wurde bei diesen Reformen der polnische Rechtsstaat bewusst, explizit und in aller Öffentlichkeit als „irrelevant“ erklärt, sondern ganz im Gegenteil bediente die PiS-Regierung sich immer genau der Kompetenzen, die ihre Mehrheit ihr auch an die Hand gegeben hatte. Tusk aber, gestützt durch Berlin und Brüssel, treibt die selbstherrliche Moralisierung von Politik und Rechtsstaat einen entscheidenden Schritt weiter – jenen Schritt über die Grenze des Legalen hinaus, der keinen Rückzug mehr erlaubt.

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Man kann ziemlich sicher sein, dass nicht nur die Regierungen im Westen, sondern auch im Osten ganz genau beobachten, wie inner- und außerhalb Polens die Reaktionen auf jene „demokratische“ Gleichschaltung ausfallen, um hieraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Und wie die Sache aussieht, werden diese Lektionen bedenklich ausfallen: Die polnische Bevölkerung reagiert mit Lethargie, die konservative Opposition steht immer noch unter Schockstarre, alle Gegengewichte in Medien, Verwaltung, Universitäten und Politik sind brutal zum Schweigen gebracht worden, und das Ausland richtet seine Blicke pointiert auf andere Themen – oder applaudiert. Polen, das ist morgen die Blaupause für die Liberalisierung Ungarns und übermorgen vielleicht das Vorbild für einen weitreichenden Schlag gegen die deutsche oder französische Rechte – auch und gerade unter Bruch der Verfassung, denn es geht doch um den „Schutz der Demokratie“ vor dem drohenden „Faschismus“.

Doch wie immer ist eine solche Absage an demokratische Prinzipien zweischneidig: Wer heute nicht im Namen eben jener Prinzipien, die Polen bis vor wenigen Monaten schmerzliche Sanktionen eingebracht haben, die Regierung Tusk an den Pranger stellt, weil er es morgen im eigenen Land ebenso treiben will – der darf sich nicht wundern, wenn es ihm übermorgen wiederum ebenso ergehen wird.


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