Heute Polen, morgen Europa: Weil seine Stiftung (angeblich) nicht die adäquaten Statuten besaß, um ein von der konservativen Vorgängerregierung finanziertes Zentrum für Verbrechensopfer zu betreuen, wird in Polen ein Priester seit über sechs Monaten in Untersuchungshaft gehalten. Als sich dieser Grund als unzulässig erwies, erklärte man kurzerhand das gesamte ausgehende Justizministerium zur kriminellen Organisation – und Vater Olszewski zum Komplizen. Was steckt dahinter?
Die neueste Eskalationsstufe: Das „demokratische“ Polen wirft nicht nur regelmäßig Minister und andere hohe Mandatsträger ins Gefängnis; auch Menschen, die mit der früheren Regierung nur zusammengearbeitet und Finanzhilfen beantragt haben, geraten unter angeblichem Korruptionsverdacht hinter Gittern – manchmal bis über ein halbes Jahr, wie der heißdiskutierte Fall des Priesters Michał Olszewski beweist, des wohl ersten Menschen, der seit dem Ende des Kommunismus unter dem bloßen Verdacht eines gewaltfreien „Verbrechens“ so lange hinter Gittern gehalten wird.
Vater Olszewski, Mitglied der Herz-Jesu-Priestervereinigung, die für ihre Nähe zur katholischen Soziallehre bekannt ist, wurde am 26. März 2024, also am Gründonnerstag, „abgeholt“ und in Untersuchungshaft gesperrt, aus der er bis heute nicht entlassen wurde. Seine Haftbedingungen entsprechen allem anderen als den von Donald Tusk beschworenen „europäischen Werten“: Er wurde daran gehindert, seinen Rechtsbeistand zu kontaktieren, über 60 Stunden lang wurde ihm Essen verweigert, das seine Zöliakie berücksichtigte, und selbst der Gang zur Toilette wurde ihm zeitweise verboten.
Sein Vergehen? Er hatte als Vorsitzender der Stiftung „Profeto“ von der vorherigen Regierung eine Finanzhilfe von 100 Millionen Złoty (25 Millionen Euro) beantragt und 66 Millionen (umgerechnet ca. 17 Millionen Euro) erhalten für den Bau eines großen Zentrums für die Opfer von physischer, psychischer, geistiger oder wirtschaftlicher Gewalt – das größte bislang von der Herz-Jesu-Priestervereinigung realisierte Zentrum dieser Art in Polen (und vielleicht sogar in Europa). Geber des Geldes war das Justizministerium, dem unter der Vorgängerregierung ein umfangreicher Sozialfonds für solche karitativen Zwecke zugewiesen worden war.
Als dann das gesetzliche Maximum von sechs Monaten erreicht war, fügte die von Donald Tusk und dem neuen Justizminister Bodnar ohne (eigentlich notwendige) Bestätigung des Präsidenten personell komplett umbesetzte Landesstaatsanwaltschaft einen neuen Anklagepunkt hinzu, um die Untersuchungshaft verlängern zu können. Die gesamte Leitung des früheren Justizministeriums soll nun offiziell als „kriminelle Organisation“ eingestuft werden, sodass alle Personen und Institutionen, die mit dieser Einrichtung zusammengearbeitet haben oder Geld beantragt bzw. erhalten haben, theoretisch als „Komplizen“ eines organisierten Verbrechens gelten könnten. Dieser Vorwurf geht übrigens unmittelbar von Premierminister Donald Tusk aus, der bereits im Mai den „Skandal“ um Vater Olszewski nutzte, das scheidende Justizministerium kurzerhand zur „kriminellen Organisation“ zu erklären:
Es würde hier zu weit gehen, das komplette, ebenso surreale wie haarsträubende Dossier aufzuarbeiten, doch sei der Leser nachdrücklich auf folgendes, mit deutschen Untertiteln versehene Interview mit Krzysztof Wąsowski verwiesen, dem Anwalt von Pater Olszewski.
Was liegt also in Wirklichkeit hinter den absurden Vorwürfen?
Die neue Regierung zeichnet sich vor allem durch ihre linksliberale und kirchenfeindliche Haltung aus, hat man doch (korrekterweise) die katholische Kirche als letztes und wichtigstes Bollwerk der Tradition und des Konservatismus in Polen erkannt. Vater Olszewski ist ein junger, kämpferischer und traditionalistischer Gottesmann, der vor allem bei der polnischen Jugend überaus beliebt ist, und dem es in den letzten zehn Jahren gelungen ist, ein erfolgreiches, vor allem auf Youtube aktives Medienportal zu schaffen (https://profeto.pl/), das einem der größten Desiderate des polnischen Konservatismus begegnet: der demographischen Falle der +60-Wählerschaft zu entgehen und junge Leute anzusprechen. Dazu kommt eine ganz offensichtliche wechselseitige Sympathie mit der Vorgängerregierung.
Nachdem Olszewskis Projekt bewilligt wurde, entwickelte sich ein engerer Kontakt mit dem früheren Justizminister Ziobro, dessen Kind Olszewski auch die Taufe spendete. Schon seit dem Machtantritt bemüht sich Tusk nach Kräften, alle Kommunikationskanäle der Konservativen zu kappen: Zunächst wurden sämtliche öffentliche Medien von konservativen Mitarbeitern und Journalisten gesäubert, dann begann der Versuch, die Finanzierung der christlichen Sender und Zeitungen massiv zu beschneiden, und schließlich wurden sonstige „rechte“ NGOs ganz gezielt und koordiniert unter Beschuss genommen, wie die „Schwarze Liste“ beweist, die im Januar vom Kulturministerium veröffentlicht wurde: Sie empfahl die Überprüfung von Finanzhilfen ausschließlich für Organisationen, die dem christlich-konservativen Spektrum zuzurechnen sind.
Man mag der früheren PiS-Regierung nun in der Tat vorwerfen, sich bei ihrer eigenen Rechtsreform teilweise verheddert zu haben und in die Falle gelockt worden zu sein, da der Auslöser der Vorgänge die vorgezogene, also illegale Ernennung von Verfassungsrichtern durch Tusks eigene Vorgängerregierung gewesen war, und der innere Boykott des weitgehend linksliberal dominierten Justizwesens eine weitere Komplexitätstufe hinzufügte. Doch niemals wurde bei diesen Reformen der polnische Rechtsstaat bewusst, explizit und in aller Öffentlichkeit als „irrelevant“ erklärt, sondern ganz im Gegenteil bediente die PiS-Regierung sich immer genau der Kompetenzen, die ihre Mehrheit ihr auch an die Hand gegeben hatte. Tusk aber, gestützt durch Berlin und Brüssel, treibt die selbstherrliche Moralisierung von Politik und Rechtsstaat einen entscheidenden Schritt weiter – jenen Schritt über die Grenze des Legalen hinaus, der keinen Rückzug mehr erlaubt.
Doch wie immer ist eine solche Absage an demokratische Prinzipien zweischneidig: Wer heute nicht im Namen eben jener Prinzipien, die Polen bis vor wenigen Monaten schmerzliche Sanktionen eingebracht haben, die Regierung Tusk an den Pranger stellt, weil er es morgen im eigenen Land ebenso treiben will – der darf sich nicht wundern, wenn es ihm übermorgen wiederum ebenso ergehen wird.