Tichys Einblick
Real existierender Sozialismus:

Die Not treibt die Kubaner auf die Straßen

Kuba ist ein harter kommunistischer Polizeistaat. Die wirtschaftliche Not in Verbindung mit der Corona-Pandemie hat dennoch tausende Kubaner zu Protesten auf die Straßen getrieben. Das Regime ging mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vor. - Von Michael Leh

Police scuffle and detain an anti-government demonstrator during a protest in Havana, Cuba, Sunday July 11, 2021

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ramon Espinosa

Kubas kommunistischer Staats- und Parteichef Miguel Diaz-Canel hatte im Fernsehen erklärt: „Wenn sie die Revolution bezwingen wollen, müssen sie über unsere Leichen gehen“. Zugleich rief er die „Revolutionäre“, seine Genossen und Helfershelfer, dazu auf, das kommunistische System auf den Straßen zu verteidigen. Die Zahl der Opfer – Verhaftete und Verletzte – kann bislang nur geschätzt werden. Es sind mutmaßlich mehrere hundert Menschen. Auch nach Angaben des kubanischen Innenministeriums kam mindestens ein Mann ums Leben, der 36-jährige Diubis Laurencio Tejeda. Nach Angaben der neuen Protestbewegung von Künstlern und Intellektuellen „San Isidro“ (benannt nach einem Arbeiterviertel in Havanna) wurden 144 Personen festgenommmen oder sind vermisst.

Wie die Catholic News Agency (CNA) meldete, wurde auch der Priester Castor Alvarez in Camagüey von Sicherheitskräften geschlagen und zunächst festgenommen, weil er junge Demonstranten verteidigt hatte. Pater Rolando Montes de Oca von der Erzdiözese Camagüey erklärte laut CNA: „Wir sind mitten in der Corona-Krise. Wir hören dauernd von Menschen, die sterben, von Menschen, die keine medizinische Versorgung erhalten. Krankenhäuser sind praktisch am Boden. Wir sehen Bilder von kranken Menschen in Fluren, sogar auf Bahren auf dem nackten Fußboden.“

Schlägertrupps gingen hart gegen die Demonstranten vor

Exklusives Video aus Kuba
Freiheitsdemonstration in der Stadt des sozialistischen Heiligen
Berichten zufolge wurden Regimekritiker auch in ihren Wohnungen verhaftet. Die kubanische YouTube-Aktivistin Dina Stars wurde in Havanna während eines Live-Interviews mit dem spanischen Fernsehsender Cuatro festgenommen. Sie hatte ein Video von einer Demonstration in Havanna und Bilder von Pro-Regierungs-Schlägertrupps mit Schlagstöcken geteilt. Im Interview hatte sie erklärt: „Die Leute in Kuba sterben – entweder verhungern sie oder sie werden krank, weil es keine Medikamente gibt, oder sie werden bei einer Demonstration umgebracht.“ Dann konnte sie nur noch mitteilen, dass Polizei vor ihrer Tür sei: „Sie zwingen mich, mit ihnen zu gehen.“ Ein Video zeigte, wie sie mit einem Auto weggebracht wurde. Unter anderen wurden Blogger verhaftet. Von Ausnahmen abgesehen, waren die Proteste nicht organisiert und koordiniert. Tausende Kubaner hatten mit Smartphones Bilder aufgenommen und sie an Freunde und Verwandte geschickt sowie Online veröffentlicht. Am 13.Juli blockierten die Behörden dann unter anderem Facebook, Whatsapp, Instagram und Telegram.

Bereits vor den aktuellen Protesten waren über 150 politische (Langzeit-) Häftlinge namentlich bekannt. Das Regime hat aber schon lange auch die Methode perfektioniert, monatlich hunderte Menschen für kürzere Zeit festzunehmen. Damit können Proteste auch präventiv unterbunden werden und es fällt international kaum auf. Eine in Madrid ansässige Menschenrechtsorganisation zählte dabei im Jahr 2020 in der Zeit von Januar bis August 1.028 willkürliche Verhaftungen auf Kuba. Die Polizei beziehungsweise staatliche Sicherheitskräfte schikanieren, verprügeln und verhaften zum Beispiel seit langem immer wieder Mitglieder der „Damen in Weiß“ (Damas de Blanco). Diese Menschenrechtsgruppe hatten Ehefrauen, Mütter und Töchter politischer Gefangener gegründet.

Die politische und wirtschaftiche Lage in Kuba ist erschütternd

Revolution in Kuba?
Kuba am Ende – Das Land des Zuckerrohrs kann sich nicht mehr mit Zucker versorgen
Schon im März hatte in einer Videokonferenz mit der in Frankfurt ansässigen Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) die aus Kuba zugeschaltete Sprecherin der „Damen in Weiß“ Berta Soler erklärt: „In Kuba geht die Verfolgung weiter und sie wird sogar noch schlimmer. Zur Zeit sieht man überall auf den Straßen Militär, das verhindern soll, dass es aufgrund des gravierenden Lebensmittelmangels zu Protesten kommt.“ Sie fügte hinzu: „Eine der Damen in Weiß, Aymara Nieto Munoz, ist seit mehr als zweieinhalb Jahren im Gefängnis. Sie hat zwei Töchter im Alter von zwölf und sieben Jahren, die sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hat.“

Der ebenfalls aus Havanna zugeschaltete Regimekritiker René Gomez, der selbst mehrere Jahre in Haft war, erklärte: „Die derzeitige politische und wirtschaftliche Situation in Kuba ist erschütternd. Dieses Jahr begann das Regime, eine der beiden Währungen auf Kuba zu beseitigen. Die Preise stiegen dabei viel höher als die Gehälter und Renten. Die Inflation hat das Einkommen der Kubaner erheblich vermindert.“ Auf die Proteste habe das Regime mit noch mehr Repressionen reagiert.

Die im Exil in Berlin lebende Regisseurin María del Carmen Ares-Marrero wies darauf hin, wie die Machtelite in Kuba in Saus und Praus lebt, während das Volk darbt: „Sie haben Millionen Dollar zur Verfügung. Kürzlich hat ein Enkel Fidel Castros in einem Video mit seinem Mercedes angegeben. Die Bevölkerung muss dabei für eine Packung Eier 500 Pesos bezahlen.“

Am 29. Mai auf dem Potsdamer Platz in Berlin: Kubaner demonstrieren für „Patria y vida“ – „Vaterland und Leben“ – statt für Fidel Castros „Patria o muerte“ © Michael Leh

Annalena Baerbock zitierte munter Che Guevara

Der ebenfalls im Berliner Exil lebende Schriftsteller Amir Valle erklärte: „Oppositionelle Schriftsteller können in Kuba nicht arbeiten. Sie müssen von der Hilfe ihrer Familie, von Freunden oder Unterstützung aus anderen Ländern leben: Ángel Santiesteban, Rafael Vilches Proenza, Rafael Almanza, Gabriel Pérez, Katherine Bisquet, Camila Lobón und viele andere.“ Eine „neue Strategie“ sei es, auch die „Kubaner zu kontrollieren, die außerhalb der Insel leben und die Regierung im Internet kritisieren“. Es gebe bereits etwa 200 Fälle von Kubanern, die ihre Familien in Kuba nicht besuchen könnten, weil die Regierung sie an der Einreise hindere, erklärte Valle, der selbst seit 2005 nicht mehr nach Kuba zurückkehren darf.

Das kubanische Regime hat in Deutschland eine starke linksextreme Unterstützerszene, insbesondere in der Partei „Die Linke“. Erst jüngst wurde auch ein Video-Interview mit der Grünen Annalena Baerbock aus 2018 bekannter, in dem sie munter den kubanischen Killer Che Guevara zitierte („Solidarität ist die Zärtlichkeit unter den Völkern“). Der Kubaner Felipe Fundora aus Dresden schrieb dazu am 1. Juni an Baerbock: „Für mich als deutscher Kubaner, der bereits unter der kommunistischen Diktatur Kubas leiden musste, ist es völlig inakzeptabel, dass Frau Baerbock ausgerechnet Guevara zitierte, der für den Tod so vieler Kubaner verantwortlich war. Che Guevara war ein Mörder. So sollte er auch dargestellt werden und nicht als die romantische Ikone des Widerstands, als die er oft gesehen wird. Wer für den Tod so vieler Menschen verantwortlich ist sollte ganz einfach nicht als ,Ratgeber´ fungieren.“

Tief verwurzelte Angst der Kubaner nach jahrzehntelanger Diktatur

Kuba, real und nicht geschönt
Polizeistaat Kuba: Verhör in Havanna
Die Verhältnisse in den überbelegten Gefängnissen in Kuba sind verheerend. Folter kommt häufig vor. Ein Rechtsstaat existiert in der Inseldiktatur ohne freie Presse nur auf dem Papier. Nur die kommunistische Partei ist zugelassen. Nach den jetzigen Massenprotesten schrieb der britische BBC-Korrespondent für Kuba, Will Grant, am 12. Juli auf Twitter: „Eine tief verwurzelte Angst, die das Leben der Kubaner beherrscht, wurde kurzzeitig von vielen durch die Wut und Frustration überwunden. Die nächsten Tage sind der Schlüssel – aber diese Frustation über alles, angefangen von COVID über Versorgungsengpässe, ein überfordertes Gesundheitssystem bis hin zu US-Sanktionen wird nicht einfach verschwinden.“

Das US-Embargo verschärft zweifellos die Versorgungslage in Kuba. Doch ist es nicht der entscheidende Grund für die kubanische Misere. Dieser ist vielmehr der Kommunismus, der stets aus sich selbst heraus Mangel gebiert. „Nieder mit der Diktatur“ riefen denn auch Demonstranten und forderten „Freiheit!“ Mitglieder einer christlichen Oppositionsbewegung forderten freie Wahlen. Der Kuba-Experte des Hamburger GIGA-Instituts, Bert Hoffmann, wies in der „Tagesschau“ darauf hin, dass es den Kubanern hülfe, wenn die USA wieder Geldüberweisungen von kubanischstämmigen Verwandten nach Kuba erlaubten. Das ist richtig, zugleich ist es aber auch bezeichnend, dass man in Kuba Hilfe von Verwandten aus den vom kommunistischen Regime verketzerten USA braucht. Es haben dabei übrigens nicht alle Kubaner Verwandte in den USA – insbesondere viele ärmere Schwarze auf der Insel mit elf Millionen Einwohnern kamen auch früher nicht in den Genuss solcher Hilfen.

Stundenlanges Anstehen für Bohnen und Reis

Staats- und Parteichef Diaz-Canel, sein Außenminister Bruno Rodriguez und ihre kommunistischen Medien verbreiteten die billige Propaganda, die US-Amerikaner hätten die sozialen und politischen Proteste in Kuba angezettelt. Das wird die selbstverschuldeten Probleme der Kommunisten nicht lösen. Die New York Times schrieb am 12. Juli: „Krankenhäusern und Apotheken sind so grundlegende Medikamente wie Penicillin und Aspirin ausgegangen. Stromausfälle sind unerträglich häufig und quälend lang geworden. Kubaner, die das Glück haben, ausländische Währung zu besitzen, stehen stundenlang für Grundnahrungsmittel wie Bohnen und Reis an.“ Die Corona-Infektionszahlen sind in Kuba rasant gestiegen und noch viel zu wenige Kubaner sind geimpft.

An einer Dringlichkeitssitzung des Politbüros der Kommunistischen Partei (KP) nahm jetzt auch noch der 90-jährige frühere KP-Chef und Ex-Armeegeneral Raúl Castro teil. Der „Miami Herald“ in Florida bemerkte dazu: „Castros Anwesenheit bei dem Treffen könnte ein Hinweis darauf sein, dass es Zweifel daran gibt, dass Díaz-Canel, den Castro selbst zu seinem Nachfolger an der Spitze der Partei und als Präsident auserkoren hat, die Krise allein bewältigen kann.“


Michael Leh ist freier Journalist in Berlin und Mitglied im Vorstand der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). 2018 interviewte er Dissidenten in Havanna und wurde daraufhin von der kubanischen Polizei zweimal scharf verhört.

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