Tichys Einblick
Glucksmann im Glück

Raphaël Glucksmann: Macrons sozial-ökologischer Thronfolger?

Die französischen Linksradikalen um Jean-Luc Mélenchon gelten als Israelhasser, EU-Skeptiker und Russlandversteher. Doch ein Vertreter stellt das genaue Gegenteil dar – und wäre anschlussfähig für das Establishment. Er wäre der perfekte Anti-Le-Pen-Kandidat.

picture alliance/dpa/MAXPPP | Sylvain Rostaing / Le Pictorium

Den Namen Raphaël Glucksmann muss man sich merken. Er ist die Scharnierstelle zwischen französischen Linksradikalen und Establishment. Womöglich wird er noch zu Höherem berufen. Denn Glucksmann ist ein „Liberaler Sozialist“ in den Reihen jener linksradikalen Volksfront, die am Sonntag die Wahlen in Frankreich gewonnen hat.

Bereits bei der Bündnisgründung musste klar sein, dass die unterschiedlichen Linksparteien kaum zusammengehen konnten. Dass man sich zähneknirschend darauf einigte, in der Ukraine-Frage auf Kiew umzuschwenken, war auch jenen einflussreichen Zentristen wie Glucksmann zu verdanken, die sich im Gegensatz zu Jean-Luc Mélenchon eine gewisse Andockbarkeit ans juste milieu bewahren wollten.

In vielen Punkten stellt Glucksmann das genaue Gegenteil zur Truppe der radikalen Linken dar. Glucksmann ist putinfeindlich eingestellt, im Gegensatz zu vielen Palästinensertuchträgern fraternisiert sich der 44-jährige Nachfahre aschkenasischer Juden mit Israel. Als Mitglied der Spinelli Group verfolgt er eher eine Föderalisierung der Europäischen Union, während viele linke Mitstreiter mit Brüssel fremdeln. Er gilt als Anwalt des Klimaschutzes.

Aber nicht nur dieses zum Establishment konforme Profil macht Glucksmann interessant. Sein Vater André Glucksmann galt als linker Essayist, der jedoch mit dem Alter auf neokonservative Positionen umschwenkte – und etwa den Nato-Einsatz gegen Serbien 1999 oder den Irak-Krieg der USA im Jahr 2003 begrüßte. Er war Unterstützer eines unabhängigen tschetschenischen Staates.

Raphaël Glucksmann war von 2008 bis 2012 Berater des georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili, dem die „Rosenrevolution“ den Weg geebnet hatte. Er heiratete die georgische Innenministerin Eka Zgouladze (von der er mittlerweile geschieden ist), die 2014 die ukrainische Staatsbürgerschaft erlangte und bis 2016 als stellvertretende Innenministerin fungierte.
Freundlich ausgedrückt: Glucksmann ist „westorientiert“.

Als Regisseur, als NGO-Mitglied und politischer Berater bedient Glucksmann das Bild des Aktivisten, wie es Blätter vom Schlage des Standards lieben: authentisch, ein Politneuling, ein Journalist, ein Menschenrechtsverteidiger. Dass die obigen biografischen Fakten dem widersprechen – die Proteste in Georgien 2007 ließ sein Pate Saakaschwili gewaltsam bekämpfen, ihm wird die Verprügelung eines Oppositionspolitikers angelastet –, überschaut man wie so häufig in den Massenmedien.

Seine Partei Place publique definiert sich als links, pro-europäisch und ökologisch. Sie setzt sich für ein soziales und ökologisches Europa ein. Kommt einem dieses Programm bekannt vor?

Die EU-Wahl war demnach eine Testwahl für Glucksmann – die er bravourös gemeistert hat. Die Parlamentswahlen haben vorerst die Kommunarden in den Vordergrund gestellt, doch Leute wie Glucksmann werden größere Ambitionen haben als reine Blockadepolitik. In vielen Belangen steht der Sozialist, der lieber von „Sozialdemokraten“ spricht, wenn er seine Parteigefährten meint, dem Staatspräsidenten Emmanuel Macron deutlich näher als vielen Alliierten. Er wäre aus Sicht der Eliten in Paris, Brüssel und Washington der geeignete Kandidat. Jetzt muss er nur noch schmackhaft gemacht werden.

Wie weit die Anti-Le-Pen-Koalition dafür bereit ist zu gehen, das hat sie am letzten Sonntag gezeigt. Womöglich hat Macron, der selbst unter dem Sozialisten François Hollande begann – letzterer heute im linksradikalen Bündnis untergekommen –, einen Kronprinzen gefunden.

Anzeige
Die mobile Version verlassen