Was verbindet Olaf Scholz und Franz Josef Strauß? Ein ausgiebiger Waffenhandel mit Israel. Der kleine Unterschied: Strauß wusste, ahnte, spürte es schon vor 65 Jahren, Scholz und seine Ampel mussten zuerst die Putin-Erfahrung 2022/23 machen, bevor sie jetzt unausgesprochen eingestehen, dass die oft zitierte Redewendung der Oster-Marschierer „mehr Frieden durch weniger Waffen“ grundfalsch war und ist. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie kapierten: Eine Zusammenarbeit mit Israel ist ein Vorteil für alle Seiten. Neudeutsch: eine Win-win-Situation.
Inzwischen steht es in vielen Memoiren von und über Shimon Peres und Asher Ben-Nathan sowie in der Master-Arbeit zumindest eines Studenten der Ludwig-Maximilian-Universität zu München: Die deutsch-israelischen Beziehungen begannen Mitte der 50er Jahre in Rott am Inn, am Fuße der bayerischen Alpen, wo Marianne Strauß, die Frau des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß zu Hause war. Damals machte sich Shimon Peres, in jenen Jahren rechte Hand von Staatsgründer David Ben Gurion, von Tel Aviv aus auf den Weg nach Deutschland – eine Dekade nach Ende des Holocaust. Seine Gefühle, so ist es überliefert, musste er unterdrücken, denn Israel benötigte dringend Waffen. Der Sinai-Feldzug 1956 war noch erfolgreich, hatte aber große Lücken offenbart. Frankreich und Großbritannien waren auf der arabischen Seite. Das Öl diktierte ihr Handeln. Die USA öffneten ihre Waffenlager für Israel erst Anfang der 60er Jahre unter John F. Kennedy.
2016 lieferte der Südtiroler Geschichtsstudent Hannes Pichler nach 18-monatigen Recherchen in Israels Militär-Archiven unter dem Titel „Freundschaft der mutigen Tat – Franz Josef Strauß und der Sechs-Tage-Krieg 1967“ eine Master-Arbeit ab, in der detailliert die damaligen Waffenlieferungen aufgeführt sind: 24 Sikorsky-Hubschrauber, 34 Militärflugzeuge, 1.600 Cobra-Panzerabwehrraketen, 500 Nato-Lastwagen der Marke Ford mit 472 Anhängern sowie insgesamt 300.000 Schuss Munition. Zusätzlich wurden zwei Flak-Bataillone vollständig mit Radar ausgerüstet und 40 US-Kampfpanzer geliefert, die von der Bundeswehr umgerüstet worden waren. Damaliger Wert: fast 200 Millionen D-Mark. Es wurde nie eine Rechnung gestellt. Außer FJS’ engster Umgebung und Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte niemand eine Ahnung von den Transporten. Schon gar nicht der damalige Bundestag. Strauß wusste: Das wäre auf dem Amtsweg niemals und schon gar nicht zügig durchsetzbar gewesen.
2020 lernte der Autor dieser Zeilen Eliezer Cohen kennen, der in Israel unter dem Spitznamen „Cheetah“ bekannt ist wie ein bunter Hund. Eliezer, inzwischen 88 Jahre alt, war Kampfpilot der Israel Air Force und hat die Schiffsladung mit den 24 Sikorsky-Hubschraubern in Haifa in Empfang genommen. In einer Nacht- und Nebel-Aktion, denn auch in Israel unterlag die Lieferung doppelter Geheimhaltung. Der arabische Feind durfte davon nichts erfahren und Israel musste FJS decken. Wäre es bekannt geworden: Die Karriere des Bundesverteidigungsministers wäre längst vor der „Spiegel-Affäre“ 1962 beendet gewesen. Konrad Adenauer hätte seine Hände in Unschuld gewaschen und den tatkräftigen Bayern mit Krokodilstränen politisch geopfert.
Aber es sollte anders kommen. Israel gewann die Kriege 1967 und 1973 – auch wegen der Waffenlieferungen durch FJS, wie Eliezer Cohen bestätigt. Denn gleichzeitig wurde auch eine Generation junger israelischer Soldaten in deutschen Bundeswehr-Kasernen Ende der 50er Jahre ausgebildet. Alles unter strengstem Ausschluss der Öffentlichkeit.
Als die Israel Defence Forces (IDF) Anfang dieses Jahrhunderts damit begann, das Raketen-Abwehrsystem „Iron Dome“ zu planen, lachte die halbe Welt. Wie soll das denn gehen, Raketen zentimetergenau in Bruchteilen von Sekunden vom Himmel zu schießen? In dem kleinen, jungen Staat am Ostrand des Mittelmeeres. Heute lacht niemand mehr. Israel hat mehrfach bewiesen – zuletzt im Mai dieses Jahres –, dass es weit über 90 Prozent aller Raketen der Terror-Organisationen in Gaza unschädlich machen kann. Das System ist dabei so ausgeklügelt, dass nur Raketen abgefangen werden, die auf bewohntes Gebiet zufliegen. Das hat auch einen finanziellen Grund: Jede Abfang-Rakete kostet mindestens 50.000 US-Dollar. Die Hardware kommt aus den USA, die Software ist „made in Israel“. Gäbe es diese Technologie nicht, hätte Israel längst in Gaza einmarschieren müssen. Der Preis: Hunderte von Toten. Vom Aufschrei in der westlichen Welt ganz zu schweigen.
Es ist der technologische Fortschritt Israels, die Leistungen seiner Universitäten in enger Zusammenarbeit mit den IDF, die Forschung, die Hand-in-Hand mit der Praxis agiert, die Israel zu einer Top-Adresse für den Erwerb von Verteidigungswaffen gemacht hat. Die Putin-Gefahr hat die Zwei-Staaten-Lösung zumindest bei dem aktuellen Waffen-Deal so gut wie weggeblasen. Weder Scholz noch EU-Präsidentin von der Leyen reden davon. Es geht schließlich um nicht weniger als die Sicherheit Deutschlands und Europas, die von einem unberechenbaren Putin bedroht ist. Das ist kein Umfeld, politische Bedingungen zu stellen.
Es ist der unbändige Überlebenswille gepaart mit Mut und Intelligenz, der in Israel scheinbar Unmögliches immer wieder möglich macht. Die unübersehbaren Fakten im aktuellen politischen Umfeld haben nicht nur Olaf Scholz und Frau von der Leyen zum Umschwenken in ihrer Einstellung zu Israel gebracht.
Israels Ministerpräsident Netanyahu steht wegen seines Korruptions-Prozesses und einer leidigen Justizreform im Feuer weltweiter Kritik. Aber zur Unterzeichnung des Arrow-3-Vertrages hat er die richtigen Worte gefunden: „Heute ist ein historischer Tag. Israel hat den größten Sicherheits-Deal seiner Geschichte unterzeichnet. Es ist nicht nur ein Sicherheits-Deal. Israel verkauft sein anspruchsvolles Arrow-3 Raketen-Abwehrsystem an ein Land, in dem vor 75 Jahren Juden auf deutschem Nazi-Boden verbrannt wurden. 75 Jahre später gibt der Judenstaat einem ganz anderen Deutschland das Werkzeug sich selbst zu verteidigen. Israel kann stolz sein! Was für ein Wendepunkt!“ Ein Wendepunkt, der in Rott am Inn vor 65 Jahren seinen Anfang nahm.