Trotz des Verlassens Kataloniens durch mehr als 1.200 Unternehmen und der heutigen Ankündigung der spanischen Regierung, den Artikel 155 anzuwenden, bleibt der regionale Noch-Regierungschef Carles Puigdemont bei seinem Plan, eine unabhängige Republik auszurufen. Das Spiel zwischen Madrid und Barcelona erinnerte die letzten Wochen an ein Kinderspiel, bei dem einer infantiler und feiger handelte als der andere. „Dabei geht es hier um alles,“ warnt Albert Rivera, Chef der spanischen liberalen Partei Ciudadanos, die ihren Ursprung in Katalonien hat.
Seine Partei und die PSOE haben jetzt dem seit seinem Amtsantritt 2011 schwachen spanischen Premier Mariano Rajoy unter die Arme gegriffen. Einer packte links und der andere rechts an, damit der konservative Politiker heute das verkündete, worauf das ganze Land gewartet hat: die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung. Die Regierung in Katalonien wird desaktiviert; Wahlen werden in Aussicht gestellt, wahrscheinlich in sechs Monaten. Allerdings wird die Umsetzung in die Tat des Artikels 155 erst Ende Oktober Realität, da am 27. Oktober darüber im Senat abgegestimmt werden muss. So sieht es die spanische Verfassung vor. Bis dahin kann jedoch noch viel passieren: „Es ist klar, wenn jetzt von einem Tag auf den anderen die Regierung enthebelt wird in Katalonien, dann kann es zu einer Gewaltexplosion kommen, das wollen wir vermeiden,“ wie es aus Regierungskreisen heiβt.
Propaganda, Manipulation und Feigheit
Wer die Redner auf der einen oder anderen Seite beobachtet, ihnen genau zuhört, muss feststellen: auf beiden Seiten wird manipuliert. Bedeutungsschwere Worte wie „Demokratie“, „Verfassung“ und „Rechtsstaat“ werden missbraucht, um das eigene Handeln zu rechtfertigen. Im Namen der Demokratie wurden von Separatisten Gesetze gebrochen und Massen auf sehr undemokratische Weise manipuliert. Zur Verteidigung des Rechtstaates wiederum wurde in Barcelona am Tag des illegalen Referendums zu stark von der spanischen Polizei eingegriffen.
Mit Steuergeldern wird Propaganda gemacht
Zu weit fortgeschritten ist der Konflikt. Schon Anfang September rief die katalanische separatistische Organisation ANC, die sich als „katalonische Versammlung“ bezeichnet, zum Volksaufstand auf. Am 11. September, der „Diada“, dem katalanischen Feiertag, bekommen die ausländischen Korrespondenten diese Pressemitteilung, wie immer in Englisch:
Sànchez: „Catalonia now only obeys Catalan legality“
The President of the Catalan national Assembly (ANC) Jordi Sànchez, who organised the rally, (Catalan National Assembly) thanked Catalonia’s parliament and government, especially for their actions in the past week, making possible the referendum to be held. He appealed to the people to turn out massively to vote in the referendum. Sànchez firmly condemned the threats made by the Spanish government, the public prosecutors and the role of the Constitutional Court. He reminded them that Catalonia now only obeys Catalan legality.
Hier wird bereits ganz klar zur Ungehorsam gegenüber den spanischen Gesetzen aufgerufen. „Rajoy hätte viel eher durchgreifen müssen. Aber es ist immer diese galizische Art, die er hat: ja oder lieber nein,“ sagt der spanische Wirtschaftsprofessor Roberto Centeno, der in den vergangenen Wochen immer wieder vor den wirtschaftlichen Folgen des Konflikts für Spanien gewarnt hat: „Wir geben ein jämmerliches Bild ab vor internationalen Investoren. Hunderte von Firmen fliehen vor den Separatisten.“ Der spanische Aktienindex Ibex 35 rutschte in drei Monaten in einem vollen Aufwärtstrend von 10.800 auf 10.200 Punkte herunter und auch die Aufwertung des Länderrisikos läβt auf sich warten. Trotz guter Wachstumszahlen bleibt Spanien bei einer eher schlechten Kreditwürdigkeit von Baa2.
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Spaniens Wirtschaft kurz vor der Aufwertung ausgebremst
Moody’s Länderbewertung Langzeit-Risiko
- Spanien Baa2
- Deutschland Aaa
- Groβbritannien Aa2
- Frankreich Aa2
- Italien Baa2
- Portugal Ba1
Quelle: Moody’s
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Die Unternehmensflucht reisst nicht ab, stündlich gehen 33 Firmen
Kein Wunder, dass die internationalen Ratingagenturen zögern, Spanien aufzuwerten: Eine aktuelle Umfrage der internationalen Kommunikationsagentur Kreab hat ergeben, dass 55 Prozent der befragten Investoren, Katalonien als Investitionsstandort nicht mehr berücksichtigen. Das trifft das ganze Land, da diese Region die industriell stärkste Spaniens ist, auch bei Tourismus und Export sind die Katalanen vorne.
Die letzten groβen katalanischen Unternehmen, die ihren Umzug in einen anderen Teil Spaniens angekündigt haben, sind der gröβte spanische Verlag Planeta und der auch in Deutschland bekannte Traditions-Schaumweinhersteller Codorniu. Für den katalanischen Journalisten Lluís Bassets sind die negativen Konsequenzen dieses Abenteuers von allen unterschätzt worden. Er vergleicht die wachsende Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien mit dem Referendum zum Ausstieg aus der EU in Groβbritannien und dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA: „Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen für die von diesem destruktiven Populismus betroffenen Länder sind gravierend.“ Basset glaubt, dass es radikale Populisten wie Puigdemont und sein politischer Partner CUP, samt Anhang ANC und Omnium Cultural nur dank der sozialen Medien geschafft haben, „das Volk mit Dummheiten und „fake news“ zu verführen.“ Heute mobilisierten die Massen, um für die Freilassung ihrer „Führer“ zu protestieren.
Spanische Sozialdemokratie bekommt Aufwind durch die Krise
An einem dramatischen Tag für Spanien zeigt ein Politiker heute Gröβe, von dem bisher wenige etwas gehalten haben: Pedro Sánchez, der Vorsitzende der spanische Sozialdemokraten (PSOE). Nach monatelangen, teilweise agressiven Auseinandersetzungen mit Mariano Rajoy, steht er heute an seiner Seite und wächst über ihn hinaus. Der jugendliche Sánchez redet nicht nur ohne Vorlage, sondern inzwischen auch frei von Komplexen – anders als Rajoy. In der eigenen Partei hat er aufgeräumt. Sie war Anfang des Jahres fast am Ende, jetzt hat die PSOE wieder ein Chance und Spanien hat mit ihr und den Sozialdemokraten in Katalonien wieder eine Chance. Sánchez bringt in einer langen und nervenaufreibenden Konfrontation zwischen Barcelona und Madrid neuen Wind in die ranzige spanische Politik: „Wir waren die Architekten der Verfassung von 1978, welche das Land in die Demokratie geführt hat und wir wollen auch jetzt dazubeitragen, den destruktiven Konflikt zwischen Katalonien und Spanien zu beenden.“
Stefanie Claudia Müller ist Korrespondentin für Deutsche Medien in Madrid und Autorin des Buches „Menorca, die Insel des Gleichgewichts“.