Mariano Rajoy ist kein Charismatiker. Er ist Galizier und das bedeutet für die Spanier: Er zögert. Und das ist, was den spanischen Premier während seiner sechs Jahre im Amt auch hauptsächlich charakterisiert – ein vielleicht. Es ist auch die gröβte Kritik an ihm von seiten der Opposition und vieler Wähler seiner Partei, dem Partido Popular (PP). Einige Konservative sind bereits zu der etwas moderneren Version „Ciudadanos“ und dem Klartext redenden Albert Rivera übergewechselt. Und auch in diesem zuspitzenden Konflikt mit Katalonien zeichnet Rajoy sich vor allem durch Abwarten aus: Ja, aber nein. Im Parlament hat er sich bisher noch nicht mit den Fragen der Opposition auseinandergesetzt und auch sein Team zeigt sich vor allem bockig. Aber gerade der katalanische Sympathieträger Albert Rivera fordert Handlung, er will Neuwahlen in Katalonien. Rajoy sagt ihm erstmal „nein“.
Abwarten und Tee trinken
Für viele hat Rajoy schon viel zu lange gewartet, in all den Jahren, in denen er sich nicht eingemischt hat in den radikalen Separatismus in Katalonien und in ihre linguistisch einseitige Erziehungspolitik. Und auch jetzt ist er wieder zögerlich und wirft den Ball erst einmal dem Regionalchef Carles Puigdemont zu, der gestern erst die Unabhängigkeit im katalonischen Parlament deklariert und dann wieder suspendiert hat. Auβerhalb des Regionalparlaments wurde jedoch ein Dokument von verschiedenen separatistischen Parteien unterschrieben, in dem Puigdemont das Mandat zur Unabhängigkeit gegeben wird, womit nicht klar ist, was der überzeugte Separatist eigentlich will: „Wir werden verschiedene Maβnahmen einleiten, die Reaktion auf diese entscheiden unsere nächsten Schritte,“ sagt Rajoy in einer Stellungnahme von seinem Amtssitz am heutigen Mittag.
Aber seine kurze Ansprache war genauso unverständlich wie das gestrige Handeln von Puigdemont, von dem er nun erst einmal verlangt, dass er klar äuβert, wie er zu Unabhängigkeit Kataloniens steht und ob er sie nun gestern deklariert hat oder nicht. Einige spanische Medien interpretieren, dass Rajoy den roten Knopf der spanischen Verfassung, den Artikel 155 aktiviert hat, aber noch nicht angewendet. Puigdemont bleibt also erstmal im Amt und wird nicht ins Gefängnis geschickt, wie es sich viele Spanier gewünscht hätten.
Wirtschaftlichen Folgen sind für Spanien katastrophal
Derweil wird aus Kreisen der katalanischen Banken bekannt, dass Tausende von Kunden, auch nach der Verlegung der Geschäftsstellen wie im Fall von Caixabank und Banco Sabadell, ihr Geld aus Katalonien rausschaffen. „Der soziale Konflikt und der wirtschaftliche Schaden ist da und wird uns leider noch viele Monate beschäftigen,“ sagt die katalanische Unternehmerin Cristina Sorli. Während es gestern weder in Barcleona noch in Madrid zu Gewaltausschreitungen kam, werden für den kommenden 12. Oktober, den spanischen Nationalfeiertag, mit dem die Entdeckung Lateinamerikas durch Kolumbus gefeiert wird, Mobilisierungen von seiten der Separatisten in Katalonien erwartet.
Spanien treibt auf eine Verfassungsreform zu
Die gröβte Oppositionspartei im spanischen Parlament PSOE könnte von dieser institutionellen Krise profitieren. Miguel Iceta, Chef der katalanischen PSOE, lieβ gestern bereits durchblicken, dass auch er jetzt Dialog mit Katalonien fordert. „Die pure Anwendung der Gesetze ist nicht die Lösung,“ stellt auch PSOE-Chef, Pedro Sánchez, heute in einer Presseerklärung fest. Der junge und moderne Sánchez hat sich immer offen gezeigt, die aktuelle spanische Verfassung zu reformieren und dort auch die besonderen Eigenheiten der Katalanen festzuhalten. Aus Kreisen von spanischen Regierungs-Journalisten ist auch zu hören, dass nun auch der störrische Rajoy über diesen Weg nachdenkt, vor allem, um nicht sein eigenes Grab zu schaufeln. Das würde zunächst bedeuten, dass Puigdemont nicht festgenommen oder verurteilt wird, was viele gestern erwartet hatten.
Das Land hat ein Kommunikationsproblem und lernt aus Fehlern nicht
Der Umgang mit dieser Krise und mit vielen anderen macht ein grundsätzliches Problem der spanischen Gesellschaft deutlich: Wahrheit ist relativ. Das erklärt das absurde Auftreten Puigdemonts gestern und auch das Rajoys. Niemand legt die Karten offen auf den Tisch, es wird gemauschelt und hinter dem Rücken geredet. Es wird immer um den heiβen Brei geredet, schon in den Familien. Auch die Kommunikationsabteilungen der spanischen Firmen funktionieren so: Alles tun, aber bloβ keine Info rausgeben.
Das historische Missverständis bedauern vor allem die vielen katalanischen Unternehmer, die jetzt unter dem Boykott katalanischer Produkte leiden wie die Kosmetikerin-Schule Cristina Sorli in Barcelona. Die gleichnamige Gründerin hält nicht nur den Konflikt für sinnlos, weil zugespìtzt und polarisiert, sondern fürchtet die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkung einer fehlerhaften Kommunikation: „Die Entscheidungen der aktuellen Regierung in Katalonien und Spanien schaden dem Image unseres Wirtschaftsstandorts enorm.“ Die 73jährige fordert deswegen auch zum Dialog auf: „Ansonsten wird dieser sinnlose Kampf, der Hass der einen gegen alles, was Spanisch ist, sich komplett gegen uns Katalanen wenden.“
Stefanie Claudia Müller ist Korrespondentin für Deutsche Medien in Madrid und Autorin des Buches „Menorca, die Insel des Gleichgewichts“.