Tichys Einblick
Frankreich und UK

Islam: Radikale Gruppen stellen Forderungen und gewinnen Einfluss

In England feierte ein Stadtrat seinen Wahlsieg auf pakistanische Art. Nun ist ein Manifest mit 18 muslimischen Forderungen an den Labour-Vorsitzenden Keir Starmer aufgetaucht. In Frankreich startet die Regierung eine Mission zu Einfluss und internationaler Vernetzung der Muslimbrüder.

IMAGO / SOPA Images

In Paris gab es vor kurzem eine Parade der Kamele und Dromedare im herangekarrten Sand, rund um das Schloss von Vincennes, aus Anlass des Internationalen Jahres der Kamele. Verantwortlich dafür war der französische Verband für die Entwicklung von „Kameliden“ in Frankreich und Europa. Der Verbandspräsident Christian Schoettl lallte (pardon, aber so ist es) etwas von einem wichtigen Beitrag für Frieden und Völkerfreundschaft. Ein „Friedensdromedar“ werde „die Parade anführen, an der 34 Länder teilnehmen werden. Es gibt Schiiten, Sunniten, Katholiken und Protestanten. In der heutigen Zeit ist das ziemlich interessant.“

Die Kritik kam von unerwarteter Seite und dann doch nicht. Denn Tierschützer sind nun einmal unberechenbar. Ein junger Franzose und EU-Kandidat der Tierschutzpartei (Parti animaliste) argumentierte ganz konkret und terrainbezogen. Er will in Frankreich nicht die künftige Heimat für eine Milch- oder Fleischproduktion sehen, die dem Land historisch fremd ist. Man denkt an den Erfolg der Slow-Food-Bewegung, die einst in Italien gegründet wurde und sich allmählich ausgebreitet hat.

Herr Schoettl bemerkte darauf einen leichten „Rassismus“ in der Diskussion, wo Dromedare mit der arabo-muslimischen Welt assoziiert würden. Aber der Verbandspräsident hat wohl eher selbst mit seinen klischeehaften Aussagen zu der Politisierung des Kamel-Aufmarsches beigetragen. Und so wurde sicher auch für manchen Zuschauer eine invasive Art aufs Pariser Pflaster gebracht, die mit der muslimischen Welt assoziiert wird und eben deshalb abzulehnen ist.

Das koloniale Verhältnis beginnt sich zu drehen

So wird sogar die Natur schuldig, weil sie zuvor „für den Frieden“ und die Gleichheit der Religionen instrumentalisiert wurde. Fern sind die Zeiten der Weltausstellungen, die ein Kaleidoskop aller Weltteile vereinten und dabei eine harmlose Abwechslung in europäische Metropolen brachten. Heute weiß man freilich vor allem, dass die Großausstellungen und ihr Exotismus irgendwie mit der kolonialen Expansion zu tun hatten, die dann später – mit angeblich zwingender Konsequenz – zur Durchdringung der westlichen Welt durch die einst Kolonisierten führte.

Das Verhältnis von „Kolonisatoren“ (früher eindeutig weiß) und „Kolonisierten“ (früher eindeutig nicht-weiß) kehrt sich aktuell um. Das konnte man nun ebenfalls in theaterreifer Ausführung bestaunen, so etwa in England, wo die Lokalwahlen viel Anlass zu lokalem Brauchtum gaben, das zwar am Ort vorhanden ist, aber mit dessen älterer Geschichte nicht mehr viel zu tun hat – zum Beispiel auch Allahu-akbar-Rufer und Palästina-Flaggen. So feierte nun ein neugewählter Stadtrat im – für einige – No-Go-Areal Queensgate in Burnley in Nordengland seinen Wahlsieg im traditionell-pakistanischen Kostüm mit exotischen Instrumenten und hoch zu Pferde. Charakteristisch scheint, dass die neuen „Einheimischen“ (gleich ob sie nun Ali Ahmed oder Waqas Ali heißen) die Gegend als „vollkommen sicher“ beschreiben.

18 Forderungen an Keir Starmer

Daneben gibt es auch noch andere Auftritte, wie etwa diesen hier: In völlig entspannter Stimmung fordert ein britischer Muslim eine Kehrtwende des Labour-Vorsitzenden Keir Starmer in Sachen Gaza und Islampolitik. Es ist aber nicht irgendein Muslim, sondern Muhammad Jalal – eigentlich Jalaluddin Patel –, heute pro-palästinensischer Aktivist und laut eigenem Bekunden „Autor, Politikwissenschaftler und Pädagoge“, von 2000 bis 2005 aber laut Daily Mail Anführer der auch im Vereinigten Königreich verbotenen Hizb ut-Tahrir.

Hinter dem Forderungskatalog steht der Islam, und das in einer besonders radikalen Auslegung. Insgesamt gibt es 18 Forderungen der Gruppe „Muslim Vote“ an Starmer. Nicht alle gehen uns in Deutschland gleichermaßen etwas an, andere schon. Die Liste wurde veröffentlicht, nachdem übers ganze Land hinweg dutzende Pro-Gaza-Muslime als Ratsmitglieder gewählt wurden. Sollten die Forderungen nicht erfüllt werden, dann wollen die Aktivisten aus der Gruppe ihre Stimmen der Labour-Partei vorenthalten.

Sanktionen gegen Israel – Gebetsräume an britischen Schulen

Unter den Forderungen ist auch die, Starmer solle als neugewählter Premierminister jegliche militärische Unterstützung oder Exporte an Israel einstellen. Er soll sich zuallererst für sein (vermeintliches) „Durchwinken eines Genozids“ entschuldigen und dafür, nicht schon früher für einen Waffenstillstand gewesen zu sein. Starmer wird auch angegriffen, weil er mit einer jüdischen Frau verheiratet ist und deshalb als nicht unabhängig in seinem Urteil gilt.

Unternehmen, die im von Israel besetzten Westjordanland operieren, sollen laut „Muslim Vote“ sanktioniert werden, ebenso israelische Siedler. Alle israelischen Politiker, die den aktuellen Krieg unterstützen, sollen ein Einreiseverbot nach Großbritannien erhalten.

Nach dem Gaza-Außenpolitik-Block geht es in der Innenpolitik weiter: Muslimen soll erlaubt werden, in Schulen zu beten. Die neue Extremismusdefinition, die Communities-Minister Michael Gove eingeführt hat, soll abgeschafft werden. Laut der neuen Definition wird Extremismus als „Förderung oder Verbreitung einer auf Gewalt, Hass oder Intoleranz beruhenden Ideologie“ verstanden, einer Ideologie, die „darauf abzielt, die Grundrechte und -freiheiten anderer zu negieren oder zu zerstören; oder das System der liberalen parlamentarischen Demokratie und der demokratischen Rechte des Vereinigten Königreichs zu untergraben, umzustoßen oder zu ersetzen“.

Das wäre also die Einführung der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ in Großbritannien – etwas, das es in den vergangenen 200 Jahren nie brauchte, um die parlamentarische Demokratie zu etablieren und zu bewahren. Gove hat im März sogleich drei Gruppen mit „islamistischer Orientierung“ ins Visier genommen, daneben zwei angeblich „neo-nazistische“ Gruppen.

Begriff „Islamophobie“ als Mittel zur Durchsetzung von Interessen

Doch die Forderungen sind noch nicht zu Ende. Die Forderung nach der Zustimmung zu einer Definition von „Islamophobie“ ist auch aus Deutschland bekannt. Der Begriff „Islamophobie“ dient hier wie dort oft als Argument für die Durchsetzung muslimischer Interessen gegenüber der Gesellschaft insgesamt. Doch nicht jede Kritik beruht auf „Angst“ vor dem Islam oder seiner grundsätzlichen Ablehnung. In eine ähnliche Richtung zielt die nächste Forderung: Die „Gleichheit“ im öffentlichen Dienst soll sichergestellt werden.

Ein bestehendes Gesetz, das es religiösen Anführern untersagt, ihre Gemeinde auf einen bestimmten Kandidaten bei einer Wahl einzuschwören, soll abgeschafft werden, wenn es nach der Gruppe „Muslim Vote“ geht. Sieben Prozent der öffentlichen Rentenkassen sollen in „ethische und islamische Fonds“ investiert werden. Starmer habe sicherzustellen, dass es „mit der Scharia konforme“ Pensionen für alle Arbeitsplätze gibt. Ein Drittel der Muslime seien derzeit ohne einen Rentenplan – angeblich aus diesem Grund. Zudem soll Starmer auch die Versicherungsraten für Menschen mit dem Vornamen „Muhammad“ senken. Das steht wohl pars pro toto für alle muslimisch klingenden Namen.

Abseits der theatralischen Forderungen an Oppositionsführer Starmer, den derzeit ohnehin alle Umfragen am Jahresende in Downing Street sehen, hat die Gruppe angekündigt, Kandidaten, die ihre Sache (also derzeit die Sache von Gaza und der Hamas) unterstützen, bei den Wahlen abzustrafen. Diese Forderung ist die Entsprechung der wöchentlichen Demonstrationen im Zentrum Londons mit tausendfachem Zulauf. Der Aufruf dürfte also in vielen Wahlbezirken, in denen schon heute Muslime in der Mehrheit oder nahe daran sind, Auswirkungen haben.

Ist der Labour-Chef schon auf dem Weg?

Starmer hat bereits angekündigt, Wähler zurückgewinnen zu wollen, die Labour bei den jüngsten Lokalwahlen den Rücken gekehrt haben – oft zu Gunsten radikal-islamischer oder Pro-Gaza-Kandidaten. Dagegen meinten manche, schon innerhalb weniger Stunden einen Sinneswandel beim Oppositionsführer festzustellen. Jedenfalls hat Starmer von der Offensive auf Rafah abgeraten und fordert nun: einen Waffenstillstand.

Am Donnerstag erregte ein anderer Schachzug die britische Aufmerksamkeit: Starmer konnte die konservative Abgeordnete Natalie Elphicke für die Labour-Partei gewinnen. Das erstaunte vor allem, weil Elphicke relativ starke Ansichten zur Immigration hat und dabei auch Labour nicht schonte. Starmer spannt seinen „Regenschirm“ angeblich besonders breit auf, und Elphicke ist nie durch besonders eigensinniges Betragen aufgefallen.

Derweil wird die Liste der konservativen Abgeordneten, die bei der kommenden Wahl nicht mehr antreten wollen, länger. Die Gründe scheinen luzide: Die Wahlchancen für sie sinken und anderswo bieten sich lukrative Möglichkeiten des Überlebens. Auf der Liste stehen durchaus bekannte Namen wie der von Ex-Justizminister Dominic Raab, die ehemalige Premierministerin Theresa May, die einstigen Schatzkanzler Sajid Javid und Kwasi Kwarteng und nun auch der ehemalige Bildungsminister und kurzzeitige Schatzkanzler Nadhim Zahawi, einst auch ein möglicher Anwärter auf den Parteivorsitz.

Frankreich: Regierung startet Untersuchung zu Muslimbrüdern

Blickt man nun noch einmal nach Frankreich, dann sieht man, dass es dort ein viel klareres Bild des im Lande ansässigen Islam gibt. Hier mag eine Rolle spielen, dass Frankreich schon im 19. Jahrhundert Erfahrungen mit muslimischen Staatsbürgern sammeln konnte – vor allem in jenem Teil des Mutterlandes, der in Algerien lag. Die Nachkommen der nach dem Algerienkrieg importierten damaligen „Hilfskräfte“ haben sich leider zum Teil in Feinde der Republik verwandelt. So viel zur Versöhnung der einstigen Feinde.

Eine wichtige Rolle spielt daneben die geistige Durchdringung des Problems, die durch funktionierende Universitäten und die Forschung begünstigt wird. Relativ frisch am Markt ist die gründliche Untersuchung der Anthropologin Florence Bergeaud-Blackler zum Einfluss der Muslimbruderschaft in Frankreich und Westeuropa (erschienen 2023). Die Forscherin steht seit dem Erscheinen unter Polizeischutz. Nun hat das Innenministerium eine „Mission hoher Beamter“ angekündigt, um den „politischen Islamismus“ und die „Bewegung der Muslimbruderschaft“ zu untersuchen. François Gouyette, ehemals Botschafter in verschiedenen arabischen Ländern (zuletzt Saudi-Arabien und Algerien), und der „Chancen-Präfekt“ Pascal Courtade aus dem Banlieue-Département Yvelines sollen die französischen Muslimbrüder untersuchen und im Herbst darüber berichten, insbesondere auch über spezifische „Einflussorte“ des politischen Islams in Frankreich und Beziehungen in andere europäische Länder.

Wichtig daran ist: Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen sieht die französische Regierung schon heute als „Kampf gegen den Separatismus“, und dieser Begriff geht eben einen Schritt weiter als jener der Parallelgesellschaft (auf Französisch „communautarisme“). Separatismus bedeutet, dass sich die bestehenden Parallelgesellschaften als autonome, fast unabhängige Körperschaften definieren, dass sie die Autorität des französischen Staates nicht mehr anerkennen, vor allem nicht die von Polizei und Gendarmerie. Es ist dieser Punkt, an dem das Phänomen für die Regierenden besonders brisant wird. Das ist klar. Daher kommen sie hier ins Handeln, in Frankreich früher als anderswo. Das hängt aber auch mit der parteipolitischen Landschaft zusammen: Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen dürfte das Rassemblement national (RN) gute Chancen auf den Sieg haben.

Darmanin: Politischer Islam zielt auf Gegengesellschaft ab

Innenminister Gérald Darmanin hat klargestellt, dass die Muslimbrüder in Frankreich „alle Gesellschaftsbereiche angreifen und sich dabei vernetzen: Sport, Bildung, Medizin, Justiz, Studenten- und Gewerkschaftsorganisationen, NGOs, das politische, Vereins- und Kulturleben“. Weiters geben sie laut Darmanin Wahlanweisungen, unterstützen eine eigene „Parallelwirtschaft“ mit eigenen Läden und Gewerben. Sie „verwenden eine antifranzösische Rhetorik, starten Petitionen, bewegen sich im Umfeld lokaler Politiker, unterzeichnen Wirtschaftspartnerschaften mit großen Marken“ und offenbar noch vieles mehr. Daneben gebe es auch noch die, die mit den Muslimbrüdern kooperierten, manchmal „ohne es zu wissen“.

Für Darmanin ist der „islamistische Separatismus“ ein Projekt, das „durch wiederkehrende Abweichungen von den Grundsätzen der Republik gekennzeichnet ist und auf den Aufbau einer Gegengesellschaft abzielt“, eigentlich fast eines ‚Gegenstaats‘. Und so richtig das ist, hat auch die französische Politik das Phänomen viel zu lange köcheln lassen, hat zu wenig gegen die „Verstärkung“ der muslimischen Gemeinschaften durch immer weitere Einwanderung getan und die Antwort von Staat und Justiz an die muslimischen Netzwerke verzögert und verschleppt – all das aus einer Mischung aus Naivität (wie auch Darmanin andeutet), Wegschauen, Sich-in-sein-Schicksal-Fügen („Unterwerfung“), aus Akzeptieren der Drogenkartelle und der mit ihnen verbundenen schieren Gewalt, die sich am Ende auch gegen den Staat als ganzen richtet.


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