Tichys Einblick
Nachfolgedebatte um Klaus Schwab

Quo vadis, Davos? – Der verblassende Stern des Weltwirtschaftsforums

Im Zuge der Corona-Pandemie und der Pläne Klaus Schwabs für einen „Great Reset“ (auch der Name seines Buchs) geriet das WEF in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Doch vielen Teilnehmern könnte die Aufmerksamkeit rund um den exzentrischen WEF-Chef langsam zu viel werden.

IMAGO

Eine weitere Ausgabe des World Economic Forums (WEF) ist zu Ende gegangen, die Flotte an Privatjets hat ihre Kurzstreckenflüge in die Heimat wieder angetreten und die Eliten dieser Welt sind der globalen Machtübernahme (von sich selbst?) wieder einen Schritt näher gekommen. Doch anders als in den Vorjahren trüben mediale Gewitterwolken den Himmel der Davosianer.

Seit das Weltwirtschaftsforum vor einigen Jahren die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit – vor allem im Zuge der gleichzeitig mit der Corona-Pandemie veröffentlichten Pläne zu einem „Great Reset“ – auf sich zog, wurde der Gründer des WEF, Klaus Schwab, mit seinem Auftreten im Stil eines Bond-Bösewichts zum Synonym für die konspirativen Bestrebungen der Reichen und Mächtigen, um den bereits stattfindenden technokratischen Umbau unserer Gesellschaft zu beschleunigen und zu vollenden.

Bemerkenswert war dabei die mediale Rückendeckung, die das WEF von weiten Teilen der Medienöffentlichkeit erhielt und – im Fall des nibelungentreuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks – bis heute erhält. Doch gerade an der Berichterstattung über das WEF hat sich heuer so einiges geändert.

Eine schier endlose Reihe medialer Hiobsbotschaften

Bereits im Vorfeld rumorte es. Die Nachrichten über den massiven Import von Prostituierten, um den Bedarf an weiblicher Begleitung beim WEF zu decken, warf einen medialen Schatten auf eine Veranstaltung, die noch in den Jahren zuvor als philanthropische Zusammenkunft zwecks Weltverbesserung in den Himmel gelobt wurde. Dabei gibt es wenig Grund davon auszugehen, dass die technokratischen Eliten in der Vergangenheit während ihres Besuches am Zauberberg an Einsamkeit litten, nur wurde damals nicht darüber berichtet. Das ist insofern nicht unbedeutend, als dass sich trotz der allseits propagierten sexuellen Offenheit in unserer Gesellschaft die Nutzung der Dienste des horizontalen Gewerbes noch immer nicht als Sinnbild der Weltverbesserung durchgesetzt hat. Im Gegenteil, es bestätigt den Eindruck, es handle sich um einen dekadenten und konspirativen Haufen, der sich da in Davos trifft. Von der vielzitierten „gerechteren Welt“ kann da keine Rede sein.

In dieser enttäuschenden Tonart ging es weiter. Die Teilnehmerliste des WEF 2023 mag zwar auf den ersten Blick noch immer eine Reihe bedeutender Politiker und Wirtschaftsbosse aufweisen, bleibt aber hinter dem propagierten Eigenanspruch der Vorjahre zurück. Kein Bill Gates, kein Elon Musk (der bereits seit Jahren nicht mehr willkommen ist), kein US-Präsident, kein Xi Jinping, kein Wladimir Putin, ja nicht einmal Emmanuel Macron. Gilt man nun schon als Nestbeschmutzer, wenn man Ursula von der Leyen und Olaf Scholz als Aushängeschilder der diesjährigen Veranstaltung als veritablen Rückschritt für das WEF interpretiert?

Doch auch während der Veranstaltung selbst drangen immer mehr Stimmen an die Öffentlichkeit, die es wohl in ähnlicher Form bereits in der Vergangenheit gab, die aber gefühlt erstmals von Medien aufgegriffen wurden. Der Schweizer Blick berichtete zum Beispiel sowohl von einem durch das WEF verursachten Verkehrschaos in Davos als auch von unzufriedenen Gastronomen, die mehr Frust als Lust an den unzuverlässigen Delegationen des WEF empfanden. Dass eine Gruppe von Managern zu spät oder gar nicht zu ihrem reservierten Tisch im Restaurant erscheint, dürfte aber ebenso wenig ein Novum des Jahres 2023 sein wie der Ärger der Gastronomen über diese Tatsache.

Als bei einer Veranstaltung dann die iranische Menschenrechtlerin Masih Alinejad auf der Bühne zusammenbrach und kein Offizieller zugegen war, um ihr Hilfestellung zu leisten, gab später ein Sicherheitsverantwortlicher des WEF zu, dass kein Mitarbeiter des Sicherheitsteams zugegen war. Die Reduktion des Personals um ein Drittel im Zuge der Pandemie wurde nie wieder rückgängig gemacht, doch die Zahl der Delegierten wuchs wieder an. Ebenso berichtete der Sicherheitsmann von einem Austausch des Personals. Statt erfahrener Mitarbeiter aus der Vergangenheit wurde nun auf jüngeres, unerfahrenes Personal gesetzt. Eine Sparmaßnahme beim WEF? Das hätte sich ein Blofeld nie erlaubt!

World Economic Forum
Auf nach Davos! – Deutschland beim WEF stark vertreten
Diese Offenheit des Sicherheitspersonals fällt umso mehr auf, da die strenge Verschwiegenheitspolitik des WEF wohlbekannt ist. Mitarbeiter weigerten sich früher, selbst anonym Interna an die Presse weiterzugeben, aus Angst vor dem langen Arm Klaus Schwabs, der ihrer Karriere beträchtlichen Schaden zufügen konnte. Doch diese Mauer des Schweigens bekommt nun Risse, zumal jene finanziellen Kräfte, die hinter dem WEF stehen, keineswegs von den Ängsten getrieben werden, die Mitarbeitern den Schlaf rauben.
Die Nachfolgedebatte um Klaus Schwab

In den Tagen seit dem Ende des diesjährigen WEFs beschäftigt deshalb die Frage nach der ungeklärten Nachfolge des beinahe 85-jährigen Schwab die mediale Öffentlichkeit. Nachdem Politico das Thema einige Tage lang aufkochte, fand sich sogar der Guardian ein, um die dubiosen Führungsstrukturen des WEF zu beleuchten. Immer wieder ist die Rede von Sonderrechten für die Familienmitglieder von Schwab und von einer Reihe designierter Nachfolger, die im Laufe der Jahre kamen und wieder gingen, wenn Schwab ihrer überdrüssig wurde. Der neueste Aspirant dürfte der britische Ex-Premier Tony Blair sein, der sich mit seinem Plädoyer für eine „digitale Infrastruktur“ zur Überwachung des Impfstatus zumindest ideologisch einen Platz im Herzen von Klaus Schwab gesichert haben dürfte.

Für die Glaubwürdigkeit des WEF, das ja immerhin die Wirtschaft im Namen trägt, dürfte Blair aber nur schwer zumutbar sein. Ungeachtet seiner Rolle im völkerrechtswidrigen Krieg im Irak, für den viele ihn bis heute eher vor ein Gericht zitieren würden als an die Spitze internationaler Organisationen, war seine ökonomische Bilanz als britischer Regierungschef desaströs. Die Tatsache, dass seine Regierung darin fehlschlug, die Komplexität des Finanzsektors zu erkennen, gab er nach Ende seiner Amtszeit sogar selbst zu. Da tut sich selbst der linke Guardian dabei schwer, die mögliche Ernennung von Tony Blair als oberstem Weltwirtschaftler mit mehr als nur einer beiläufigen Erwähnung zu honorieren.

Da Klaus Schwab aber offen damit kokettiert, sein Amt noch viele Jahre auszuüben, kann es durchaus sein, dass noch viele Tony Blairs kommen und gehen bevor das Schwab’sche Zepter endlich übergeben wird. Doch der Druck von innen, wie auch von außen, nimmt zu. Der Guardian zitiert dabei eine Gruppe gegenwärtiger und ehemaliger WEF-Mitarbeiter, die sich aus Sorge über die strategische Zukunft der Organisation an die Zeitung gewendet haben. In ihrem Schreiben bestätigen sie die Unzufriedenheit der Investoren des WEF über den Mangel einer Nachfolgestrategie.

WEF in Davos
Tony Blair mit Forderung nach „digitaler Infrastruktur“ für Impfungen
Die unzufriedenen WEFler bezeichnen außerdem das höhere Management rund um Schwab als eine „Schlangengrube“, die „sobald der alte Mann stirbt“ sich gegenseitig an den Hals gehen würde. Die anonymen Autoren beklagen dabei den Mangel an qualifizierten Führungskräften, da Schwab sich mit einer Gruppe von „Niemanden“ umgeben hat, die weder innerhalb noch außerhalb der Organisation ernst genommen werden könnten.

Das wohl deftigste Zitat aus dem Brief vergleicht Schwab sogar mit dem Präsidenten Russlands: „Klaus wählt seine Führungskräfte nach denselben Kriterien aus, nach denen Putin die Abgeordneten für die Staatsduma auswählt: Loyalität, Arglist, Sexappeal. Die Qualität der Menschen an der Spitze spiegelt die Art der Menschen wider, die für den Rest der Organisation arbeiten.“

Selbstverständlich muss auch solch ein Brief mit Vorsicht genossen werden, zumal nicht bekannt ist, wer die Autoren und was deren Interessen sind. Als gegenwärtige oder ehemalige Mitarbeiter des WEF könnte ihre eigene Beurteilung von Mitarbeitern der Organisation auch auf sie selbst zutreffen. Dennoch sind auch solche Veröffentlichungen immer ein Zeichen für einen sich verändernden Zeitgeist. Noch vor ein bis zwei Jahren, als die Eliten der Welt (digital) zusammenkamen, um den Planeten vor der Pandemie zu retten, wäre diese Art von Berichterstattung wohl kaum an die Oberfläche gedrungen.

Das WEF am Scheideweg

Bedeutet das, dass die Übernahme der Weltherrschaft durch das WEF abgewendet werden konnte? Oder war alles doch nur heiße Luft? Die Wahrheit ist, wie so oft, wohl in der Mitte zu finden. Der Schweizer Journalist Roger Köppel warnte davor, das WEF in seiner Bedeutsamkeit zu überschätzen und plädierte dafür, solch öffentliche Foren stattdessen zu begrüßen, da damit die Pläne der Eliten an die Öffentlichkeit gelangen würden.

Roland Tichy hingegen berichtete noch vor einigen Tagen von seinen Erfahrungen in Davos aus der Vergangenheit. Es entstand dabei – salopp formuliert – das Bild einer luxuriösen Managersause, auf der die alte Kunst des Geschäftsabschlusses beim gemeinsamen Über-die-Stränge-Schlagen gepflogen wurde. Damit unterschied sich die Veranstaltung von ähnlichen Konferenzen, Kongressen und Foren lediglich durch seine Größenordnung.

Bin ich auch ein WEF-Verschwörer?
Die Krake von Davos oder Wie gefährlich ist das Weltwirtschaftsforum?
Das WEF ist in seiner 50-jährigen Existenz zum weltweit größten Treffen von Wirtschaftseliten und Politik geworden, da darf es nicht verwundern, wenn dieser Umstand seinem Gründer mit einem Hang zum Größenwahn ein wenig zu Kopf stieg. Wie viel Wert Klaus Schwab auf seine Netzwerke legt, wird nicht zuletzt aus seinen wiederholten Beteuerungen, welche „Young Global Leaders“ des WEF nicht wichtige Positionen einnähmen, deutlich. Für Schwab scheint es nicht genug zu sein, der Gastgeber der größten Managersause der Welt zu sein, er badet sich im Gefühl, die Spinne im Netz aller Netzwerke zu sein und überschätzt dabei seine ideologische Bedeutsamkeit. Wo Wirtschaft und Politik aus pragmatischem Interesse an Geschäften und exklusiven Callgirls nach Davos reisen, glaubt Schwab womöglich tatsächlich an die ideologischen Hirngespinste eines von ihm in die Wege geleiteten globalen Umbaus.

Es wäre naiv zu glauben, dass die am WEF getätigten Geschäfte keinen Einfluss auf unsere Welt hätten, ganz im Gegenteil. Aber während Schwab scheinbar die mediale Aufmerksamkeit für sein Projekt in den letzten Jahren genoss und damit eigene Ambitionen verknüpfte, scheint es fast, als hätten die globalen Eliten mittlerweile genug von der Aufmerksamkeit. Geschäfte an der Bar zu später Stunde mögen zwar „the name of the game“ sein, haben aber in der Presse nichts verloren. Denn mit dem öffentlichen Interesse am WEF wuchs auch die Kritik an der Veranstaltung. An solcher Aufmerksamkeit haben die globalen Eliten wahrlich kein Interesse.

Die Gerüchteküche rund um die Nachfolge von Schwab sowie die strategisch platzierten Aussagen von Insidern sind ein deutliches Signal der Wirtschaftseliten, dass sie sich am WEF wieder gerne etwas mehr Privatsphäre wünschen würden und zwar nicht unbedingt aus konspirativen Gründen (dafür gibt es ja noch die Bilderbergertreffen), sondern aus geschäftlichen. Klaus Schwab steht diesem Wunsch mit seinem Ego mittlerweile im Weg. So wird das WEF entweder das mediale Rampenlicht wieder verlassen müssen – oder es wird weiter an Bedeutung verlieren.

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