Steckt auch der Vizepräsident der EU-Kommission, der Grieche Margaritis Schinas, mit in der Affäre um Schmiergelder aus Katar? Darauf deuten neue Recherchen der französischen Website Mediapart zusammen mit dem Verbund European Investigative Collaborations (EIC) hin. Aus Prozessdokumenten – darunter die SMS-Nachrichten von Eva Kaili – geht demnach hervor, dass es eine „Greek Connection“ in Sachen Katar gab. Der Kaili-Ehemann Francesco Giorgi soll den Katarern sogar gesagt haben, dass, wo es um Visa-Erleichterungen für das Emirat ging, vor allem Griechen in der EU „in Schlüsselpositionen sitzen“.
Laut Giorgi, der in den neuen Berichten als Weisungsgeber von Kaili geschildert wird, ging es darum, den Katarern noch vor der Fußballweltmeisterschaft des Jahres 2022 den visafreien Zugang zur EU zu geben. Erste katarische Eingaben oder Anweisungen an den damaligen EU-Abgeordneten Pier Antonio Panzeri, geschrieben vom damaligen Menschenrechtsaktivisten und späteren Arbeitsminister Ali Al Marri, stammen anscheinend von Ende 2018. Im Jahr 2020 entwarf die Panzeri-Gruppe einen „Handlungsplan“.
Dahinter standen offenbar Geschäftsinteressen der katarischen Elite, die so zu Freizügigkeit im Schengenraum kommen wollte. Das misslang nur durch den aufgedeckten Schmiergeldskandal. Man könnte nun daran erinnern, dass Katar verschiedenen Hamas-Anführern den Aufenthalt in Hotels und Luxusvillen in ihrem Land zugesteht. Das Land gehört zusammen mit Erdogans Türkei zur Muslimbruder-Connection. Die sehr spezielle „Greek Connection“ an den EU-Trögen ist insofern nur eine der äußeren Matrjoschka-Puppen, genauso wie das italienische „Zwillingspaar“ Panzeri und Giorgi. In beiden steckt die katarische Muslimbrüder-Connection als kleinere Matrjoschka, in der sich die Energie gleichsam konzentriert.
Hatte auch die Fifa ihre Hände im Spiel?
Mit jenen Griechen in der EU, von denen Giorgi sprach, konnte indes nur seine Frau Eva Kaili gemeint sein, die im EU-Parlament die Fäden zog, aber mindestens genauso sehr deren Landsmann Margaritis Schinas, der in der Kommission für eben diesen Bereich verantwortlich ist.
Nur eine Woche nach Kailis Bittbrief stimmte die Kommission der Visa-Freiheit für die beiden mächtigen Golfstaaten zu. Ende Juni 2022 folgte die Zustimmung des EU-Parlaments, die die Parlamentarier im Dezember – quasi erschrocken über sich selbst – zurückzogen. Im November reiste Kaili nach Katar zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft – natürlich nicht auf eigene Kosten. Angeblich war sie ein „persönlicher“ Gast des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino, was die Fifa bestätigte. Hatte auch die Fifa ihre Hände mit in diesem Spiel? Die persönlichen SMS-Nachrichten von Eva Kaili sollen die problematische Rolle von Fifa-Chef Gianni Infantino und hochrangigen EU-Politikern belegen.
Schinas wollte eine Visa-Bedingung streichen
Auch Schinas war am 20. November in Doha, und laut den neuen Presseberichten sprach er dort erneut über die Visa-Frage mit Kaili, sicher auch mit lokalen Vertretern. Es ging nun um den Umstand, dass die Visafreiheit erst eintreten sollte, sobald das elektronische Verarbeitungssystem Etias in Benutzung wäre. EU-Innenkommissarin Johansson soll sich an dieser Stelle unerwartet schwergetan haben, weshalb die Katar-Connection um den italienischen Ex-Abgeordneten Pier Antonio Panzeri vorschlug, dass sich Schinas – übrigens Johanssons direkter Vorgesetzter – um das Thema kümmerte. Francesco Giorgi schrieb an die Katarer, dass „nur Margaritis Schinas dem Druck des Rates in Sachen Etias standhalten kann“. Schinas ersetzte die eigentlich zuständige Johansson in den Beratungen über die Visa und Etias. Angeblich hatten Panzeri und Giorgi ihn schon 2020 und 2021 in drei Gesprächen für das Thema „sensibilisieren“ können, auch durch „vertrauliche Ratschläge“. Schinas bestreitet, Panzeri oder Giorgi jemals getroffen zu haben.
Und noch ein Grieche gerät durch die neuen Dokument weiter ins Zwielicht. Der frühere Innenkommissar und Vorgänger von Ylva Johansson, Dimitris Avramopoulos (wie Schinas ND), war schon am Ende seiner Amtszeit im Jahr 2019 in der Sache aktiv geworden. Und die Dokumente scheinen wiederum zu zeigen, dass er das nicht aus eigener Veranlassung tat. Im März und September 2019 traf er sich erst mit dem Menschenrechtsfunktionär Al Marri (der kurz darauf Arbeitsminister wurde), dann mit Außenminister Mohammed Al Thani. Wenige Wochen später wurde – laut der Aussage von Francesco Giorgi – Katar von der schwarzen Liste der EU gestrichen. Der Golfstaat hatte sich auf der Liste wiedergefunden, weil die Lage der Menschenrechte nicht als zufriedenstellend galt. Für Nancy „Armbinde“ Faeser hatte sich daran bekanntlich auch während der WM noch nichts Wesentliches geändert. Die heutige Kommission bestreitet in einer Antwort an den Rechercheverbund EIC, dass es so etwas wie „schwarze Listen“ in Sachen EU-Visa gäbe.
Avramopoulos bearbeitete seine Nachfolgerin Johansson
Sei das, wie es will, für Avramopoulous hatten die zwei Treffen und der mögliche Einsatz für Katar positive Folgen: Schon Anfang 2020 berief ihn Panzeri in seine NGO „Fight Impunity“, die nicht viel mehr war als ein Schein-Organismus, um Schmiergeld-Geschäfte des Zirkels zu tarnen. Im Februar 2020 reiste die gesamte Bagage – Panzeri und sein treuer Paladin Giorgi, dessen Ehefrau Kaili, der Ex-Kommissar Avramopoulos und der EU-Abgeordnete Tarabella – in die katarische Hauptstadt Doha, wo sie angeblich einen Kongress besuchten. Hier soll die Zusammenarbeit mit Avramopoulos feste Formen angenommen haben, und gleich nach der Reise soll der Ex-Kommissar begonnen haben, seine Nachfolgerin in Sachen Katar-Visa zu bearbeiten.
Johansson beschrieb das Ganze als reines „Höflichkeitstreffen“. Kein Wunder: EU-Kommissaren ist jede Lobbytätigkeit für zwei Jahre nach dem Ausscheiden verboten. Dennoch erhielt Avramopoulos im Februar 2021 eine Ausnahmegenehmigung von der Kommission, wurde in den Beirat der NGO „Fight Impunity“ berufen und erhielt als einziger Berater der NGO ein monatliches Gehalt von 5.000 Euro vor Steuern, auch wenn er angeblich „nicht viel tat“, wie der NGO-Sekretär ausgesagt hat.
Das Paar Giorgi-Kaili hatte derweil so viel Geld, dass es nicht recht damit umgehen konnte. So bezahlten die beiden eine Brüsseler Wohnung teils mit Bargeld, was in Belgien verboten ist. 700.000 Euro in bar schaffte Kaili am 9. Dezember 2022 aus ihrer Wohnung und in das Hotelzimmer ihres Vaters. Dort fand die Polizei den Koffer. In der Wohnung Kailis weitere 150.000 Euro. Insgesamt soll der Staat Katar der Panzeri-Gruppe 4,5 Millionen Euro zugesagt haben, die bis 2024 ausbezahlt hätten werden sollen. Hinzu kamen kleinere Beträge aus Marokko und Mauretanien (zehntausende Euro), für die wiederum kleinere Dienste im EU-Parlament fällig wurden. Eva Kaili will nur nach einem Freispruch in die Politik zurückkehren.