Aktualisierung 23.00 Uhr: Der Chef der Wagner-Truppen Prigoschin hat den Vormarsch seiner Streitkräfte auf Moskau offenbar abgebrochen (dts). „Da wir alle Verantwortung dafür tragen, dass auf keiner Seite russisches Blut vergossen wird, drehen unsere Kolonnen um und brechen in die entgegengesetzte Richtung zu den Feldlagern auf, wie es der Plan vorsieht“, sagte Prigoschin in einer Audiobotschaft, die über seinen eigenen Telegram-Kanal verbreitet wurde.
Nach Medienberichten hat der weißrussische Machthaber Lukaschenko zuvor zwischen Putin und Prigoschin vermittelt und dabei Sicherheitsgarantien für die Wagner-Truppen erhalten. „Derzeit liegt eine absolut profitable und akzeptable Option zur Lösung der Situation auf dem Tisch, mit Sicherheitsgarantien für die Wagner-PMC-Kämpfer“, wird der Pressedienst Lukaschenkos von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria zitiert.
Prigoschin ist wohl aus Rostow mit Ziel Minsk abgereist. Anschließend war wieder russische Polizei in den Straßen der Stadt zu sehen. Erstaunlich großzügig sind die Zugeständnisse des Kremls an die Wagner-Gruppe – sofern sie halten. Zwar blieb das große Blutvergießen aus, doch haben Prigoschins Söldner der russischen Armee Verluste zugefügt und offen revoltiert. Ob man da wirklich so einfach zur Tagesordnung übergehen wird? Und Prigoschin wiederum gibt sich mit ein paar Umbesetzungen im Verteidigungsapparat und der Absetzung des Verteidigungsministers zufrieden? Schwer zu glauben.
Einer unserer Kommentatoren bringt es auf den Punkt: „Nach allen Regeln der Logik ist Prigoschin jetzt ein toter Mann. Er hat glasklar bewiesen, dass er Putin in die Knie zwingen will und meint, Putin lässt es jetzt einfach dabei bewenden. Vertrauen wird Prigoschin nie mehr irgendjemand, weder Freund noch Feind – allein deshalb ist er erledigt.“ Die Vorstellung, dass Prigoschin über das Arsenal an Massenvernichtungsmitteln der früheren Sowjetunion verfügen könnte, war auch nicht gerade beruhigend.
Klar ist: Nichts ist klar nach so einer operettenhaften Lage. Russland ist tief gespalten, Putin angeschlagen, die Militärführung offenkundig uneins. Auch wenn aktuell ein heißer Bürgerkrieg vermieden wurde – es ist kein Zeichen von Führungsstärke. Nach unbestätigten Meldungen verhaften in Russland die Geheimdienste Familienmitglieder von Wagner-Offizieren und Söldnern. Umgekehrt war es unter Soldaten der russischen Verbände zu Verbrüderungsszenen mit Prigoschin gekommen. Es wurden viele Schwächen der russischen Militärs aufgedeckt; dass in Moskau die Verkehrsachsen mit Müllautos blockiert wurden, zeigt, dass offensichtlich keine militärischen Reserven mehr vorhanden sind.
Die gespaltene Politik Russlands
Im Putin-freundlichen Twitter-account @ZentraleV, den ich schon mal nannte, ist ein Fünfteiler platziert, aus dem ich zitiere:
- Was passiert hier gerade? Die Antwort ist ganz einfach: Ein Putsch, aka Staatsstreich, Russen kämpfen gegen Russen, aka Bürgerkrieg. Ich hatte gehofft, dass der Konflikt, der bereits seit Wochen schwelte, gelöscht werden kann.
- Es war aber kein Konflikt, sondern der Prolog eines Putsches, ein Werben um Zustimmung in der russischen Bevölkerung. Und genau darum geht es: Prigoschin kann auch mit 50.000 Mann nicht das Land besetzen und seinen Willen aufzwingen. Die Russen müssen mitmachen.
- Ohne Nachschub wird er sein Ziel nicht erreichen. Er wird den Putsch vorbereitet und Reserven angelegt haben, aber auch die werden aufgebraucht. Entscheidend sind die kommenden Stunden. Solidarisiert sich die russische Bevölkerung nicht, scheitert Prigoschins Putsch.
Der Pro-Ukraine-Twitter-account @BrennpunktUA will Zulauf für Prigoschin von russischer Seite ausmachen:
Zwischen diesen Polen finden sich unzählige Meldungen und Gerüchte, wie das jeder Beobachter von Anfang an wusste: Solche über eine Verlegung von Regierungsstellen aus Moskau nach Sankt Petersburg fehlen nicht, auch nicht Berichte über die Errichtung von Verteidigungsstellungen rund um Moskau, Militärbewegungen auf Moskaus Straßen, die Vorbereitung von Brückensprengungen südlich der Hauptstadt, und so weiter und so fort.
Der Ukrainer @Gerashchenko_en twittert, das Akhmat Bataillon (Kadyrow) mache sich dran, Prigoschin aus Rostow zu vertreiben:
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) June 24, 2023