Carles Puigdemont kann zufrieden sein. Er hat viel erreicht seit seiner Festnahme in Deutschland vor zwei Wochen: Der katalanische Unabhängigkeitsverfechter konnte nicht nur viele deutsche Politiker für seine Sache gewinnen, sondern hat auch aus dem Gefängnis Premier Mariano Rajoy eine ordentliche Ohrfeige verabreichen können. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein erkennt Teile des europäischen Haftbefehls nicht an: Rebellion wird als Grund für die Auslieferung von Puigdemont an Spanien nicht akzeptiert, weil die dafür notwendige Waffengewalt nicht gegeben ist. Und auch bei der Veruntreuung von öffentlichen Mitteln haben die Juristen ihre Zweifel.
Der Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung in Spanien, Wilhelm Hofmeister, zeigt sich entsetzt: „Die Europäische Union fußt unter anderem auf der Idee, dass sie eine Gemeinschaft freiheitlicher und rechtsstaatlicher Demokratien ist. Diese Idee wird in Deutschland momentan ernsthaft in Frage gestellt. Nicht nur durch den Spruch des Oberlandesgerichts von Schleswig-Holstein, das die vorläufige Freilassung des Separatistenführers Carles Puigdemont verfügte, sondern auch durch die Reaktion von Politikern und Medien, die Spaniens Regierung und Justiz die Kompetenz absprechen, über die Separatisten in angemessener rechtsstaatlicher Weise zu urteilen“.
Die Erklärung des deutschen Landesgerichts, die für viele spanische Regierungspolitiker überraschend schnell kam, ist ziemlich detailliert und klar. Zusammenfassend stellt sie die harte und allein auf gerichtliche Verfahren ausgerichtete Haltung der spanischen Regierung gegenüber dem katalanischen Unabhängigkeitsprozess in Frage. Das Landesgericht muss jetzt entscheiden, ob Puigdemont trotzdem an Spanien ausgeliefert wird oder nicht. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert spielt den Ball wieder zurück: „Spanien muss diesen Konflikt intern lösen“.
Polemik um Katarina Barley
Katalonien hat nach den Wahlen am 21. Dezember immer noch keinen Regierungschef, weil viele der Kandidaten der separatistischen Mehrheit im Parlament in Untersuchungshaft sitzen. In dieser desolaten Situation schlug die Äuβerung der deutschen Justizministerin am vergangenen Freitag, die sie „Off the record“ vor Journalisten machte, wie eine Bombe ein: Sie habe mit dem Urteil gerechnet und die spanische Regierung müsse den Konflikt politisch lösen. Rajoy kocht. In spanischen Regierungskreisen spricht man von einem „diplomatischen Gewitter“.
Die Donner wurden noch heftiger durch Meinungsartikel wie der in der spanischen Tageszeitung El Mundo, „Alemania, fuera de Europa“ (Deutschland raus aus Europa) in dem der rechtspopulistische Journalist Federico Jiménez Losantos Barley als „Nazi-Progre“ bezeichnet. Seit Tagen wetterte der ehemalige Kommunist auf seinem eigenen Radiosender gegen die Deutschen und fordert sogar zum Terror gegen sie auf. Die spanische Regierung lud am vergangenen Dienstag die deutschen Journalisten in Madrid ein, um das aufgeheizte Klima zu verbessern. „Aber das Porzelan ist bereits kaputt“, sagt Unternehmensberater und Autor Ignacio Sánchez-Leon, der lange in Deutschland gelebt hat: „Diplomatie und Außenpolitik war noch nie ein spanische politische Stärke“.
Puigdemont hat einflussreiche Freunde in Deutschland
Was viele in Spanien lebende deutsche Korrespondenten und auch Hofmeister überrascht, ist die Unterstützung, die Puigdemont von Seiten einiger deutschen Medienjournalisten und Politikern aus den Reihen der AfD und den Linken bekommt. Dass die ebenfalls auf Unabhängigkeit hoffende Bayernpartei auf ihrer Webseite die Entscheidung des Oberlandesgerichtes begrüβt, scheint nicht überraschend.
Vorsitzender Florian Weber bringt jedoch den Konflikt auf den Punkt: „Diese Gerichtsentscheidung ist schon eine mittelschwere Ohrfeige für die zentralspanische Politik und Justiz. Sie bekräftigt aber unsere Auffassung: Der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung darf nicht strafbar sein. Friedliche Abspaltungsbestrebungen sind eine politische, keine juristische Frage. Nach dieser Gerichtsentscheidung ist es höchste Zeit, dass die EU ihre Nibelungentreue zu bestehenden Staatsgebilden überdenkt und endlich als Vermittler tätig wird.“ Aber genau das will weder Spanien noch Deutschland, weil sie fürchten, dass dann alles auseinander bricht.
Europas Rechtstraum wird auf eine harte Probe gestellt
Egal, wie die Entscheidung bezüglich der Auslieferung von Puigdemont letzendlich ausfällt, „der ganze Fall macht klar, dass die Harmonisierung der europäischen Justiz nicht vollzogen ist und dass auch immer noch viel Misstrauen zwischen den Ländern vorherrscht bezüglich der Unabhängigkeit der Gerichte“, sagt Donato Fernández, spanischer Uni-Professor und EU-Experte. Fernández glaubt, dass zu einem gemeinsamen Europa mehr gehört als nur Regulierungen und Normen: „Wir brauchen eine gemeinsame Werte-Grundlage, gerade im Bereich separatistischer Bewegungen.“
Für den deutsch-spanischen Unternehmer Matthias Meindel muss jetzt auch der europäische Haftbefehl überdacht werden: „Was bringt ein solches Instrument, wenn es zwar zur Festnahme kommt, aber nicht zur Auslieferung“. Auch der deutsche Unternehmer Karl Jacobi, der seit 35 Jahren in Katalonien lebt, kann seine Enttäuschung über die Freilassung auf Kaution nicht zurückhalten: „Ich schäme mich Deutscher zu sein“. Er war in den spanischen Medien als Held gefeiert worden, weil er vor zwei Monaten in einer Veranstaltung mit katalanischen Separatisten in Barcelona gefordert hatte, dass diese alle „ins Gefängnis wandern sollten“. Mit Entsetzen muss er feststellen: „Deutschland hat überhaupt keine Ahnung, was hier in Katalonien passiert“.