Tichys Einblick
Es grünt so grün: Die Kulturpolitik der Ampel

Preußen wird abgeschafft, damit Benin leben kann

In Benin und Abuja feierten die Kulturbeauftragte Roth und Außenministerin Baerbock ihr neues Verständnis von Deutschland. In innenpolitischen Kulturdebatten ist das Gesicht der Grünen weniger freundlich: Die eigenen Traditionsbestände wollen sie am liebsten schleifen. Preußen könnte nur der Anfang sein.

Claudia Roth und Annalena Baerbock mit Geoffrey Onyeama, Außenminister von Nigeria, und Lai Mohammed, Minister für Information und Kultur in Nigeria, bei der Zeremonie zur Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria in Abuja, 20.12.2022

IMAGO / photothek

Am Flughafen von Benin-Stadt in Südwestnigeria ließ sich Claudia Roth von traditionellen Tänzern und Tänzerinnen empfangen. Man könnte es kulturelle Aneignung nennen, wenn man solch eine Kulisse für seinen offiziellen Besuch nutzt und medial weiterverbreiten lässt. Wie überhaupt die ganze Reise eine einzige Aneignung der berühmten Benin-Bronzen zu politischen Zwecken war, inszeniert unter der afrikanischen Sonne, alles zum höheren Ruhm der grünen Parteibonzen.

Roth hatte also einen Extra-Abstecher mit einem an sich zu verurteilenden CO2-Erzeuger gemacht, um sich mit der von ihr geschätzten kulturellen Identität zu verbinden. Das Königreich Benin gibt es freilich schon seit 120 Jahren nicht mehr. Aber angeblich haben die acht Millionen Einwohner des alten Königreichs, also des heutigen Bundesstaats Edo, ihre kulturellen Wurzeln bis heute bewahrt. Das fasziniert die grünen Regierenden.

Dabei gibt es längst Zweifel an dieser Geschichte: So setzt sich die in New York sitzende Restitution Study Group dagegen ein, dass Benin-Bronzen aus aller Welt an Nigeria zurückgegeben werden. Die Gruppe setzt sich mit der Geschichte der Sklaverei auseinander und verfolgt dabei die Idee der Gerechtigkeit – ein Vorhaben, das auf den ersten Blick im Sinne der Grünen zu sein scheint. Doch die Einwände der Gruppe wurden ignoriert: Denn auch „das Königreich von Benin war am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt“. Ja, Himmel Herrgott noch einmal.

In Abuja, der nigerianischen Hauptstadt im fernen Binnenland des Staates, stieß Außenministerin Annalena Baerbock dazu. Sie war irgendwie beim Trampolinspringen und bei Zirkusnummern hängen geblieben und sagte laut Spiegel, dass die Bronzen „nicht nur Kunststücke (!) sind, nicht nur kulturelles Erbe, sondern auch ein Stück von (!) Identität“. Also mehr als Kunstwerke, vielmehr das Erbe der aus der Staatengeschichte verschwundenen Beniner, ein Stück von deren Identität oder „ein Stück Identität“, die als Grundstoff dem staatenlosen Kontinuum zugrunde zu liegen scheint – das sind zwei Theorien über Baerbocks Formulierungskünste, vielleicht zwei zu viel.

Man begehe keinen Fehler: Baerbock sprach hier eben nicht von einem kulturellen Vermächtnis, sondern von lebendigem Erbe, das noch heute etwas mit der Identität der an der Bucht von Benin siedelnden Nigerianer zu tun habe. Wie sich vielleicht auch an den Ehrentänzen für Roth zeigte? Das jedenfalls wäre wohl der grüne Idealzustand.

Und in der Tat: So einfühlsam konnte die grüne Außenministerin und konnte die Bundeskulturbeauftragte von diesem fremden, vielleicht vergangenen Volk sprechen. Und nun kann man durchaus der Meinung sein, dass die Eroberung des Restkönigreichs durch die Briten im Jahr 1897 ein historischer Fehler, mindestens kein schöner Zug war, auch wenn sie zuvor einen Freihandelsvertrag mit dem König geschlossen hatten, den dieser missachtete. Vielleicht war es der exemplarische Fall eines diplomatischen Missverständnisses: Woher sollte auch der afrikanische Stammeskönig die Bedeutung von Freihandelsverträgen kennen?

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Die deutschen Museen machten sich, wenn überhaupt, nur sekundär schuldig, indem sie rund 1.100 Stücke dieser Skulpturkunst erwarben und sie bis heute verwahrten. Nun sollen sie wohl alle nacheinander zurückgegeben werden (oder nicht?), auch wenn Roth und Baerbock nur rund 20 Exemplare zu ihrem Besuch mitgebracht hatten. Auch in anderer Hinsicht wäre die Rückgabe keine sichere Bank: Nigeria ist ein von Krisen und Boko Haram geschütteltes Land, das keinen Museumsbau für die Bronzen vorhält oder versprochen hätte, wie der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Dr. Marc Jongen, einwendet. Was mit den Bronzen nach der Rückgabe geschehe, sei unklar.

Baerbock blieb an dieser Stelle allerdings etwas im Ungefähren: „Es sind ja viele, viele Bronzen, die gestohlen worden sind. Deswegen werden auch viele Bronzen zurückkommen.“ Schwierigkeiten des grün-idealistischen Regierungshandelns. Wer kennt sie nicht. Ob alle Museumsleiter den Worten von Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit dem Ohr an den Lippen der Mächtigen, zustimmen werden, dass die Rückgabe der schuldbefleckten Skulpturen „eine Art Königsweg“ sei, ist unbekannt. Jedenfalls öffnet auch Parzinger schon eine gewaltige Falltür. Denn die Benin-Bronzen sollen auch künftig „weltweit zu sehen sein“, nun eben als Leihgaben. Das war sogar schon vor der PR-Tour der grünen Ministerinnen nach Benin-Abuja so geregelt. Es wussten nur weniger Menschen.

Großer Kolonialbußgottesdienst, vom öffentlichen Rundfunk vervielfältigt

Doch dann kam der Baerbock-Satz, der schon bald viel Kritik auf sich zog: Deutschland arbeite mit der Rückgabe „auch eines unserer dunkelsten Kapitel auf, nämlich unsere eigene koloniale Vergangenheit“. Viele haben das Geschick, das in dieser Position steckt, übersehen: Anstatt echte eigene Untaten wiedergutzumachen, brillieren grüne Regierende vielmehr darin, die britischen Plünderungen am Knie von Afrika zu geißeln. Das ist auch etwas bequemer als die andere mögliche Variante. Aber auch dazu werden die grünen Regierenden wohl noch kommen. Claudia Roth wies bereits darauf hin, dass wir die heikle Kolonialgeschichte zu sehr den anderen überlassen, den Briten, Franzosen, Spaniern, Portugiesen, Belgiern, Niederländern und den Portugiesen. Das „koloniale Unrecht“ betrifft Deutschland in diesem Fall sekundär, weil man Diebesgut anderer Kolonialmächte angekauft hat.

Tatsächlich schlüpft Roth aber so in eine neue Super-Gruppen-Identität der unguten Kolonialmächte, zu denen auch Deutschland gehören soll. Man gebe heute zurück, „was uns“ – offenbar dem schuldigen Europa als ganzem – „nie gehört hat“. Großer Kolonialbußgottesdienst der Kulturbeauftragten, vervielfältigt vom ARD-Bericht aus Berlin.

An anderer Stelle schlug die hier vergangenheitsselige Roth dann wieder ganz andere, aber nicht weniger rothische Töne an. Roth, die Reformerin, die an alles mögliche „ran“ will, weil es in dem von ihr erdachten Deutschland nicht mehr zeitgemäß sei. Nach der Krise als Naturverhängnis (Corona, Finanzen, CO2) folgt die menschengemachte Krise der Institutionen. In Großbritannien will der Labour-Chef nach einem Wahlsieg das House of Lords oder Herrenhaus abschaffen. Die 700 Jahre alte Institution sei „unhaltbar“, unverzeihlich, nicht zu verteidigen (indefensible) und soll durch einen gewählten Regionalrat ersetzt werden. Kritiker vermuten, dass für Sir Keir insgeheim auch die Monarchie nicht haltbar ist. Aber das sind böse Gerüchte.

Was suchen Raffael in Dresden, Turner in Washington?

In Deutschland führen die Grünen eine entsprechende Bewegung der kreativen Entrümpelung an. Ja, sie unterhalten sich gewissermaßen mit sich selbst darüber. Viele Wohlmeinende, die in den Institutionen selbst sitzen, nicken eifrig. Nun geht es Roth um die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, einem der letzten Überreste neben einigen Sportvereinen. Die Stiftung soll umgemodelt werden und so angeblich effizienter und in ihren Teilen autonomer werden. Daneben geht es aber wieder einmal um „fortschrittliche“ Symbolpolitik, sozusagen der Grünen Liebstes.

So fragt Roth ebenso naiv wie öffentlichkeitswirksam: „Was haben Andy Warhol und Joseph Beuys mit Preußen zu tun?“ Gegenfrage: Was hat Raffael mit Dresden zu tun? Eine Menge und doch eigentlich nichts. Mehr als zweihundert Jahre nach dem Tod des Meisters von Urbino kam seine „Sixtinische Madonna“ in den Dresdner Zwinger, wo sie bis heute trotz neuerer Klebe-Attacken leidlich gut erhalten wurde. Nun hatte der Madonnen-Transfer von 1754, von Piacenza nach Dresden, zweifellos etwas mit der Sammelleidenschaft der sächsischen Kurfürsten, in diesem Fall Augusts III., des Sohns von August dem Starken, zu tun. Weitere Fragen wären: Was machen die Werke eines William Turner in der National Gallery in Washington? Und was haben die Elgin Marbles mit dem British Museum zu tun? Es geht jeweils um Faszination, aber nicht so sehr für etwas ganz Fremdes wie die Kultur von Edo-Benin, sondern eine weitere Facette des Eigenen, gewissermaßen der westlichen Kultur, die diese Orte und Kunstwerke miteinander verbindet.

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Vielleicht hat ja sogar die Existenz von Kunstwerken von Andy Warhol oder Joseph Beuys in der Preußen-Stiftung etwas mit dem fortdauernden, sich entwickelnden Geist dieser Weltgegend und dieses Menschenstammes zu tun. Aber das ist eben entschieden zu hoch für eine Claudia Roth. Auch handelt es sich keineswegs, wie Roths Kommentierung unterstellt („Deutschland ist viel mehr“), um eine Deutschland-Stiftung, auch wenn Bund und Länder von Anfang über sie bestimmten, allerdings nicht gleichberechtigt. Die Stimmen im Stiftungsrat spiegeln bis heute wider, wie groß der jeweilige Anteil am preußischen Erbe ist.

Roths Einwände sind also im Wesentlichen unhistorisch und grenzen – wie fast immer bei ihr und anderen Grünen – an naive Wortklauberei. Nebenher sollen also „die einzelnen Einrichtungen der Stiftung … mehr Autonomie und Eigenverantwortung erhalten“ und doch fachliche und administrative Aufgaben gebündelt werden, wie ein Kabinettsbeschluss vom 5. Dezember die beste aller administrativen Welten ausmalt. Dass beides zugleich funktionieren wird, scheint unsicher. Vermutlich läuft es auf die Entmachtung der Stiftung und ihre Nutzung zu dekorativen Zwecken hinaus: blaue Blume am Revers der Parteioberen.

Auf der Seite der Stiftung heißt es noch ganz unberührt von solchen Vorgaben einer Kulturbeauftragten: „In ihrem Namen trägt die Stiftung das ihr anvertraute kulturelle Erbe. Sie wurde 1957 gegründet, um nach der Auflösung des preußischen Staates dessen Sammlungen als gesamtdeutsches Erbe zu erhalten. Seitdem entfaltet der preußische Kulturbesitz eine umfassende, über die Grenzen Deutschlands hinaus wirkende Anziehungskraft.“ Warum eigentlich nicht? Man muss doch in sich selbst verwurzelt sein, um nach außen wirken zu können. Aber nun will Roth offenbar an die Preußen-Stiftung „ran“, genauso wie sie vorher an den christlichen Kuppelspruch des Berliner Schlosses „ran wollte“. Die angeblich zeitweilige Überblendung durch eine Lichtinstallation erinnert fatal an das Verhängen der christlichen Mosaike in der Hagia Sophia, nachdem Erdogan die im sechsten Jahrhundert errichtete Großkirche erneut zur Moschee machte.

Das vermutlich unbedachte Ideal-Ende grüner Kulturpolitik

Derweil ging Annalena Baerbock an den Bismarck-Saal des Auswärtigen Amtes „ran“ (wahrscheinlich auch zu preußisch), während ihre untergebenen Mitarbeiter an ein Holzkreuz aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges „rangingen“, das wohl nicht auf Photos mit der grünen Außenministerin gehörte. All das sind Zeichen der erschreckenden Geschichtsfremdheit der Grünen, eines beinahe schon ikonoklastischen Wahns, der sie die Zeugnisse der eigenen Kultur vernachlässigen lässt, was von Verachtung spricht, während dem „Erbe“ der außereuropäischen Kulturen nunmehr auch in Deutschland die volle Ehre erwiesen werden soll – und wenn es um den Preis der Abwesenheit ist. Schämen kann man sich ja auch so.

Die „koloniale Vergangenheit“ soll „Teil unserer Erinnerungskultur“ werden, so Roth, und zwar in aller Allgemeinheit, ohne genaue Kenntnisse der Geschehnisse, ihrer Gründe oder des deutschen Anteils daran. Hier gilt ein Satz: Wir sind alle Kolonialisten (gewesen) und sollten uns heute an das (Gott sei Dank) „vergangene Unrecht“ erinnern und uns so innerlich auf eine „gerechtere Gegenwart“ einstellen. Ein neues Mahnmal für die toten Hereros als grün-deutsche Staatsraison lugt schon um die Ecke.

Am Ende laufen die kulturellen Pläne der Grünen – von den anderen beiden Koalitionspartnern ist nun wirklich nichts zu diesen Themen zu vernehmen – auf eine Selbstgeißelung Deutschlands und Europas hinaus, die sicherlich der weiteren Zuwanderung, der Akzeptanz und „Integration“ von Außereuropäern zuträglich sein soll. Ob es so kommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Denn zum einen kann man nichts Fremdes schätzen, wo man das Eigene vernachlässigt, ja gar nicht mehr kennt. Zum zweiten werden auch die Zuwanderer irgendwann gar nicht mehr wissen, in welches Deutschland sie sich überhaupt integrieren sollen, was nun ihre neue Heimat sein soll. Das wäre dann der Ideal-Endzustand grüner Kulturinnen- und -außenpolitik. Aber das haben Roth und Konsorten vermutlich nicht einmal selbst zu Ende gedacht.

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