Tichys Einblick
Kuba, real und nicht geschönt

Polizeistaat Kuba: Verhör in Havanna

In manchen ausländischen Botschaften können Oppositionelle etwas in freiem Internet surfen: wie in der schwedischen und vor allem der US-Botschaft - nicht in der deutschen Botschaft. Für Oppositionelle in Kuba hat Heiko Maas wohl nicht so viel übrig.

© Michael Leh

„Von den Fehlern der Katze“, zitiert René Gomez Manzano ein spanisches Sprichwort, „profitieren die Mäuse“. Mit der Katze meint Gomez, der erfahrene kubanische Dissident, den 86-jährigen Raul Castro. Mit dem Fehler die geplante kubanische Verfassungsreform. „Sie soll sein Vermächtnis sein, hat Castro sich gedacht. Etwas, das unter seiner Führung entstanden sei. Es soll dabei so aussehen, als habe das Volk diese neue Verfassung geschaffen“, sagt Gomez. Was natürlich nicht zutreffe. Alles werde weiter von oben gesteuert. Der Partido Comunista, die kommunistische Partei, bleibt weiter festgeschrieben in Artikel 5 der Verfassung als einzige zugelassene Partei, die laut Text „marxistisch-leninistische Avantgarde“ der kubanischen Nation. „Aber“, sagt Gomez, „bei der Entscheidung über das Referendum am 26. Februar 2019 soll man mit Ja oder Nein stimmen können. Das ist Castros Fehler.“

Gomez hofft auf möglichst viele Nein-Stimmen. In den Verfassungsentwurf habe man mancherlei Zweitrangiges aufgenommen, damit der Eindruck entstünde, als gäbe es viel Neues. An der Abstimmung werde er jedenfalls teilnehmen, betont Gomez, und dann mit Nein stimmen. Um seine Ablehnung der gesamten Farce kundzutun. Er hofft, dass es ihm möglichst viele Kubaner gleichtun.

Kuba – neben Nordkora die letzte stalinistische Diktatur

Dafür zu werben ist freilich schwierig. Im Polizeistaat Kuba hat die kommunistische Partei weiter alle Machtmittel in der Hand. Natürlich auch das Fernsehen, die Radiostationen, die Zeitungen. Auch Internet und Telekommunikation werden bestmöglich kontrolliert. An der Fassade des Ministeriums für Telekommunikation in Havanna prangt heute noch unter dem stilisierten riesigen Konterfei des kubanischen Revolutionärs Camilo Cienfuegos dessen Satz: „Vas bien Fidel“ – du machst es richtig, Fidel.

Gegen Andersdenkende wird raffiniert abgestuft vorgegangen, zugleich aber auch mit eiserner Hand. Die Betonköpfe haben weiter das Sagen. Die Ära Castro ist noch keineswegs endgültig vorüber. Vielmehr ist der Vier-Sterne-General Raul Castro, Fidels Bruder, als Erster Sekretär der Kommunistischen Partei und Vorsitzender des Politbüros weiter der mächtigste Mann im Hintergrund. Der seit April 2018 neue Staatspräsident Miguel Diaz-Canel kam nur durch Castros Protektion in sein Amt, er ist kein charismatischer Führer und verfügt über keine eigene Hausmacht. Wie Gomez sagt, hat Castro über seinen Zögling auch erklärt: „Wenn Diaz-Canel sich bewährt, bin ich sicher, dass er auch zum Ersten Sekretär der Partei bestimmt werden wird.“ Dieses Amt hat Castro selbst noch bis 2021 inne.

Noch heute müssen die Kinder in Kindergärten und Schulen jeden Morgen nach dem Absingen der Nationalhymne rufen „Seremos como el Che! – Wir werden sein wie Che!“ Der absurd verklärte Killer Che Guevara war in Wahrheit Henker der ersten Stunde der kubanischen Revolution. Ein Revolutionär müsse eine „kaltblütige Tötungsmaschine“ sein, hatte er erklärt, und so verfuhr er auch eigenhändig.

Der 74-jährige René Gomez hat eine beeindruckende innere Unabhängigkeit, internationale Erfahrung und große moralische Urteilskraft. Zuletzt saß der Rechtsanwalt von 2005 bis 2007 im Gefängnis. Zuvor war er von 1997 bis 2000 inhaftiert, zusammen mit Felix Bonne, Martha Roque und Vladimiro Roca, dem Sohn des früheren Kommunistenführers und langjährigen Gefährten von Fidel Castro, Blas Roca. Die Vier hatten gemeinsam den regimekritischen Text „Das Heimatland gehört uns allen“ veröffentlicht. Die Verurteilung der Regimekritiker sorgte weltweit für Schlagzeilen. Mehrere EU-Staaten froren damals die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba ein. Bereits 1995 war Gomez, der als Rechtsanwalt auch auch mehrere politische Gefangene verteidigt hatte, aus der staatlich vorgeschriebenen Organisation für Rechtsanwälte ausgeschlossen worden. Gomez erhielt unter anderem den Preis für Pressefreiheit der Interamerikanischen Presse-Vereinigung und den Internationalen Menschenrechtspreis der Amerikanischen Rechtsanwaltsvereinigung, den er allerdings nicht in Empfang nehmen konnte.

Wir sitzen an diesem 3. Dezember in Havanna-Miramar auf dem Balkon einer kleinen Ferienwohnung und schauen auf das nur 100 Meter entfernte Meer. Es ist fast spiegelglatt an diesem Tag. Sogar ein Standup-Paddler ist zu sehen. Hinter dem Horizont liegt Florida. Nur etwa 170 km sind es von Havanna bis Key West. Dort war er als Junge vor der Revolution mit seinen Eltern noch im Urlaub, erzählt Gomez. Sein Vater habe die Revolution unterstützt. Er selbst hatte in den 60er Jahren in Moskau ausländisches Recht studiert, während der Kuba-Raketenkrise, und auch noch ein Rechtsdiplom an der Universität Havanna erworben.

Hamburger Menetekel
„Rechts ist die Hölle – links ist der Himmel – in der Mitte ist nichts“
In der kubanischen Hauptstadt arbeitete er lange als Rechtsberater für die dortige Verbindungsstelle zum „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (COMECON). In dieser Eigenschaft bereiste er nahezu alle Länder des früheren Ostblocks. Mitglied der kommunistischen Partei war er nie. Derzeit darf er Kuba nicht verlassen. Als er dieses Jahr nach Uruguay wollte, wurde ihm die Ausreise ohne Begründung verweigert. „Willst du es später noch einmal versuchen?“ frage ich Gomez. „Eher nicht“, antwortet er, „ich will mich nicht zum Affen machen lassen“.

Gomez ist in Kuba Vorsitzender einer kleinen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Diese wurde in Deutschland gegründet, sie ist in Frankfurt/Main ansässig. „Die IGFM macht eine gute Arbeit für Kuba“, lobt Gomez, „Deutschland ist dafür zu preisen, dass es eine solche Organisation beherbergt“. Der Sektion in Kuba gehören etwa 20 Personen an, sagt Gomez.

Im November hieß es in der F.A.Z., in Kuba gebe es 139 politische Gefangene. Sind es nicht viel mehr? Kuba hat immerhin elf Millionen Einwohner. „Das ist nur das Minimum“, sagt Gomez. Nicht alle Fälle von Inhaftierung aus politischen Gründen würden bekannt. Hinzu kämen insbesondere monatlich Hunderte Kurzzeit-Verhaftungen, die sich pro Jahr auf Tausende Fälle addieren. Die verbotene „Kubanische Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung“ (CCDHRN) führt darüber möglichst genau Buch und listet die Verhaftungen pro Monat auf. Im Jahr 2017 waren es demnach 5.155 Verhaftete, im Jahr 2016 sogar 9.940, im Jahr 2015 insgesamt 8.616. Dass die Zahl im Jahr 2017 niedriger war, führt die Kommission auf die Verwüstungen durch den Hurrikan „Irma“ zurück – diese hätten wohl zu einem quasi „sozialen Waffenstillstand“ beigetragen im vergangenen Jahr, so die Menschenrechtsorganisation.

Alle Qualen sind möglich

Das kubanische Regime hat es zu einer wirksamen Methode perfektioniert, politisch Missliebige zu Hunderten für nur kurze Zeit zu inhaftieren. Zum Beispiel präventiv vor geplanten Protestkundgebungen. Während der Haft von nur einigen Tagen oder Stunden können sich die Betroffenen noch nicht durch einen Anwalt vertreten lassen. Alles fällt international nicht oder kaum auf. Wobei in Kuba grundsätzlich gegen Oppositionelle jede Willkürmaßnahme möglich ist.

Wie Gomez sagt, kann man in bestimmten ausländischen Botschaften etwas in freiem Internet surfen. Zum Beispiel in der schwedischen Botschaft und vor allem der US-Botschaft – nicht in der deutschen Botschaft, wie er hinzufügt. In der amerikanischen Botschaft gebe es dafür derzeit etwa sechzehn Computerplätze. Man müsse sich anmelden und könne sich auch auf eine Warteliste setzen lassen, falls ein Platz frei wird. Gomez selbst kann einen Internetzugang etwa eineinhalb bis drei Stunden pro Woche in der US-Botschaft nutzen. Der Empfang des hauptsächlich von Exilkubanern betriebenen Radiosenders „Radio Marti“ in Miami (benannt nach dem kubanischen Nationalhelden José Marti, der 1895 im Unabhängigkeitskampf gegen Spanien fiel und den die Kommunisten stark für sich vereinnahmen) werde in Kuba massiv gestört. Der Direktor von „Radio Marti“ habe jedoch vor zwei Monaten erklärt, es würden bald neue Wege zur Ausstrahlung des Senders genutzt, die von der kubanischen Regierung nicht mehr gestört werden könnten. „Das wäre sehr gut und sehr wichtig“, betont Gomez.

Der Molekularbiologe Ariel Ruiz (44) hat wegen regimekritischer Äußerungen
seine Professorenstelle an der Universität Havanna verloren. Auch er war
bereits inhaftiert. Er ist derzeit nur aufgrund einer Haftverschonung („licencia extrapenal“) auf freiem Fuß, die jederzeit wieder aufgehoben werden kann. Wie exilkubanische Medien melden, erhielt er jetzt für den 20. Dezember ohne Begründung eine Vorladung vom Gericht in Vinales, der er nicht Folge leisten wollte. Als wir am 3. Dezember miteinander sprechen, ruft gerade seine Schwester an. Die Professorin für Kunstgeschichte teilt ihm mit, dass soeben mehrere Studenten verhaftet wurden, die gegen das neue „Dekret 349“ zur Beschränkung der Kunstfreiheit protestiert hatten.

Ariel Ruiz macht sich für den Natur- und Umweltschutz stark. In Vinales in der
westlichen Provinz Pinar del Rio besitzt er eine Bio-Farm. Zwischen Havanna und Vinales darf er jedoch nicht legal hin- und herreisen, sondern er unterliegt einer Residenzpflicht. Während er in der Hauptstadt ist, muss sich seine 71-jährige Mutter um die Tiere auf der Farm kümmern. „Wie kommst du zurück auf die Farm?“, frage ich ihn in Havanna. „Per Autostop“, erwidert er.

Ruiz hatte per DNA-Analysen herausgefunden, dass Meeresschildkröten, welche die kubanische Regierung wegen ihrer wertvollen Schildpatt-Panzer nach Japan verkaufen wollte, überwiegend in den Gewässern Mexikos und Puerto Ricos zur Welt kommen. Überfischung nennt Ruiz das größte Problem. Zugleich verweist er auf die Verschmutzung des Meeres durch ungeklärte Abwässer. Auf ganz Kuba gibt es nur elf Kläranlagen. Auch auf illegale Jagd weist Ruiz hin, etwa auf die mit den Stachelschweinen verwandten „Baumratten“ (Capromyidae), eine auf den karibischen Inseln endemische und bedrohte Tierart. „Sie haben ein exzellent schmeckendes Fleisch, das auch an Touristen verkauft wird“, erklärt Ruiz. Im Jahr 2012 hat er sechs Monate an der Berliner Humboldt-Universität und am Naturkundemuseum an einem Forschungsprojekt gearbeitet. Jetzt darf er nicht mehr aus Kuba ausreisen.

Jaqueline Heredias Morales ist eine der „Damen in Weiß“ (Las Damas de Blanco). Die 38-jährige alleinerziehende schwarze Mutter zweier Kinder war bereits in Haft. Die „Damen in Weiß“ engagieren sich seit 2003 für die Freilassung politischer Gefangener. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung zur Lage der Menschenrechte in Kuba vom 18. November ausdrücklich erwähnt, dass „im Oktober 2018 die Damen in Weiß zum wiederholten Male die Hauptopfer politischer Unterdrückung waren“.

Die kubanische Stasi lädt zum Verhör

Gerade hat mir Jacqueline gesagt, dass sie derzeit ständig die Polizei vor dem Haus habe, da taucht auch schon die kubanische Stasi auf. In Zivil stehen sie zu zweit unter dem Balkon auf der Straße, einer im grünen T-Shirt, sie rufen Jaqueline auf dem Handy an und unterbinden unser weiteres Gespräch. Am nächsten Morgen erhalte ich für 10 Uhr eine schriftliche Vorladung („Citation Oficial“) zur Polizei, unterzeichnet von Capitano Yoandris.

Richtungswechsel überall?
Lateinamerika ist nicht mehr links
Eineinhalb Stunden werde ich scharf verhört, ein gerahmtes Bild von Fidel Castro hängt an der Wand. Das Verhör führt auf Englisch ein etwa 30-jähriger mit Vornamen Oscar, neben dem Hauptmann sitzt links von mir noch ein junges Bürschlein am Tisch. Wieso ich mich mit Oppositionellen treffe? Diese würden angeblich alle von den Amerikanern bezahlt. Ich hätte nur ein Touristenvisum, würde aber wie ein Journalist arbeiten, das verstoße gegen kubanisches Recht, ich hätte Interviews geführt. Ob ich das Tonband und die Kamera dabei hätte? Angeblich hätte ich Jaqueline ein Notebook übergeben (was nicht stimmt). Woher ich die Kontakte hätte?

Alles wird genau notiert. Zu Ruiz fiel mir ein zu sagen, den Kontakt hätte ich „von einer Frau im Naturkundemuseum Berlin, wo er gearbeitet hatte.“ Wie heißt die Frau, bohrt Oscar wie immer nach. „Eva Müller“, sage ich und überlegte noch eine Zehntelsekunde, ob ich der erfundenen Dame noch einen Doktortitel verpassen sollte. Aber es reicht ja auch so. „Eva Müller“ notiert Oscar. „We are no nuts“, hatte er zuvor einmal nach einer meiner Antworten erklärt, „wir sind keine Deppen“. Zwei Tage später am Flughafen werde ich nochmal verhört und danach noch zweimal aus der Warteschlange vor der Passkontrolle herausgeholt, ohne Begründung. Mein Handgepäck wird zum Glück nicht nochmal gefilzt. Von den Fehlern der Katze profitieren die Mäuse.


Michael Leh studierte Geschichte und Politik in München und arbeitet heute als freier Journalist in Berlin. Von 1994 bis 2010 war er Mitglied im Hörfunkrat und Programmausschuss des Deutschlandradios für den Bund der Vertriebenen (BdV).

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