Tichys Einblick
Sperrzone soll wieder gelten

Nach Angriff mit Lanzen will Polen seinen Grenzschutz stärken

Polen zieht die Reißleine gegen gewalttätige Migranten, die sich Zugang in die EU verschaffen wollen. An der Grenze zu Weißrussland führt die Regierung Tusk wieder eine Pufferzone ein, in der illegale Einreiseversuche zurückgewiesen werden sollen.

Kuznica, Polen, Grenze zu Weißrussland

picture alliance / AA | Artur Widak

Die polnische Regierung will die Grenze nach Weißrussland erneut mit einer 200-Meter-Sperrzone sichern, nachdem ein Grenzschützer durch eine selbstgebastelte Lanze – ein Stock mit einem daran befestigten Messer – von einem Migranten an der Schulter verletzt wurde. Man brauche eine „Pufferzone von etwa 200 Metern“ dort, wo „es für den polnischen Staat nötig ist, um effizient vorzugehen“, sagte Ministerpräsident Donald Tusk. In der Nähe des Dorfes Dubicze Cerkiewne war zuvor eine Zunahme der illegalen Grenzübertretungen festgestellt worden. Auch Steine und Äste flogen erneut durch die Lücken des soliden Stahlzauns. Andernorts, im Bereich des Grenzschutzpostens Białowieża, wurde ein Grenzbeamter von einer zerbrochenen Flasche getroffen und im Gesicht verletzt.

Die polnische Grenzpolizei hat mehrere der Lanzenwürfe im Video dokumentiert. Nach einem Schnitt sieht man einen Grenzer im Hintergrund, wie er sich offenbar getroffen am Boden krümmt. Fahrzeuge rücken an, um die Soldaten zu schützen. Wenig später fährt ein Krankenwagen ins Bild. Auf X schrieb Tusk, für den verletzten Mann und seine Familie sei „gut gesorgt“, Soldaten und Beamte riskierten jeden Tag ihr Leben an der Grenze.

— Straż Graniczna (@Straz_Graniczna) May 28, 2024

Der aus Brüssel nach Warschau zurückgegangene Donald Tusk kehrt damit – entgegen aller Wahlkampfrhetorik – zur Linie der Vorgängerregierung der PiS-Partei zurück und bekräftigt seine Absicht, illegale Einreiseversuche an der Grenze nach Weißrussland zurückzuweisen. Die PiS-Regierung hatte die Sperrzone, zu der auch Journalisten keinen freien Zutritt haben, 2021 eingeführt. Natürlich kann man so eine Zone mehr oder weniger streng handhaben. Das bleibt Tusk überlassen.

Zurückweisungen bleiben die Regel in Polen

In der Opposition war Tusks Partei, die Mitte-rechts-Partei Bürgerplattform (PO), noch strikt gegen die Sperrzone gewesen, weil Aktivitäten von NGOs dadurch behindert würden. Nun, kurz vor den EU-Wahlen, versucht der Ministerpräsident und Parteichef auf der PiS-Welle zu surfen, könnte aber daneben Tatsachen beim Grenzschutz schaffen und so auch Kontinuität zur Vorgängerregierung herstellen. Die endgültige Entscheidung soll nächste Woche fallen.

Die Zurückweisungen (englisch pushbacks) an der Außengrenze werden von der EU in diesem Fall geduldet. Von jener EU, für die auch Tusk lange genug stand und wohl immer noch steht und die doch eigentlich strikt gegen die Abweisung von Migranten ist, die an den EU-Außengrenzen „um Schutz ersuchen“. Angeblich steht so etwas im Widerspruch zum EU-Recht, heißt es dann meist. Länder wie Griechenland oder Kroatien wurden für solche Maßnahmen wiederholt gescholten. Nun zeigt sich: Das gerade erst in den Schoß der Brüsselokratie zurückgekehrte Polen macht es dauerhaft nicht anders.

Ist die Praxis einige hundert Kilometer weiter nördlich etwa eher akzeptabel? Oder vielleicht weil die polnisch-weißrussische Grenze die letzte Grenze vor der deutsch-polnischen ist? In diesem Fall fällt die weichzeichnende Exotik oder auch die Geringschätzung des europäischen Südens weg: Als ob man die EU-Regeln dort nicht gut genug kennte, als ob der Rechtsstaat irgendwie unterausgebildet wäre. Der offiziell gegebene Grund ist, dass der weißrussische Präsident Lukaschenko hier einen speziellen Destabilisierungsversuch gegen die EU unternehme.

Tusk: Das sind keine Asylbewerber

Tusk sagte nun zur Erklärung: „Wir haben es hier nicht mit Asylbewerbern zu tun, sondern mit einer koordinierten, sehr sorgfältigen Operation auf vielen Ebenen, um die polnische Grenze zu durchbrechen und zu versuchen, das Land zu destabilisieren.“ Das könnte man allerdings von fast allen Versuchen der illegalen Einreise rund um die EU sagen. Denn überall sind die Grenzübertritte von langer Hand und „sehr sorgfältig“ durch lange Reisen über Land und Wasser vorbereitet. In vielen Situationen haben Schlepper das Sagen, und die Europäer haben das Nachsehen, während viele europäische NGOs mitarbeiten.

Der libertär-konservative ehemalige EU-Abgeordnete (und EU-Gegner) Janusz Korwin-Mikke ging auf X weiter und forderte: „Erschießt jeden, der den Grenzschutz angreift und versucht, illegal nach Polen einzureisen. Ich bin sicher, dass niemand mehr so mutig sein wird.“ Eine angemessene Gegenwehr dort, wo sie angegriffen sind, wird man den polnischen Soldaten und Beamten wohl nicht verwehren können.

Die Regierung Tusk will zehn Milliarden Złoty (etwa 2,3 Milliarden Euro) für die Stärkung der Grenzen ausgeben. Da geht es offenbar nicht nur um eine Pufferzone – die sich ja letztlich gegen innere Gegner des Grenzschutzes richtet –, sondern um solide Grenzbefestigungen oder personelle Aufstockungen. Die Grenztruppen sollen über die jetzigen 5.500 Mann hinaus vergrößert werden. Tusk sagte: „Es gibt keine Ressourcengrenze, wo es um die Sicherheit Polens geht.“ Hier leistet die vermutete Bedrohung der EU durch Russland und seinen Verbündeten Weißrussland dem Regierungschef gute Dienste, um strenge Grenzschutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

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