Tichys Einblick
Wahljahr 2025

Vor der Präsidentschaftswahl: Polens Parteien begeben sich auf Kandidatensuche

Bis zu den Präsidentschaftswahlen in Polen sind es noch zehn Monate. Schon jetzt wird jedoch in allen politischen Lagern händeringend nach geeigneten Kandidaten gesucht. Wer wird Andrzej Duda beerben?

Präsident Andrzej Duda, Warschau, Polen, 13. Mai 2024

picture alliance / PAP | Leszek Szymañski

Während Polens Präsident mit den anderen Staatschefs am dreitägigen Nato-Jubiläumsgipfel in Washington teilnahm, wurde daheim bereits über seine möglichen Nachfolgekandidaten spekuliert. Andrzej Duda selbst kann schon jetzt zufrieden sein. Er hat etwas geschafft, was nicht allen seinen Vorgängern zuteilwurde: Vor vier Jahren wurde er für eine zweite Amtszeit bestätigt. Außer ihm kann dies nur noch Aleksander Kwaśniewski von sich behaupten.

Nach der jüngsten Europawahl blicken die Polen also gespannt auf zwei Sonntage im Frühling 2025. Die Regierenden peilen zwei Termine im Mai an. Dann wird ein neues Staatsoberhaupt gewählt und zwei Monate später vereidigt. Duda bleibt folglich noch über ein Jahr im Amt. Wen die Parteien PO uns PiS ins Rennen um die Präsidentschaft schicken, steht wohl offiziell erst im Spätherbst dieses Jahres fest. Trotzdem deutet vieles auf ein Duell zwischen dem amtierenden Stadtpräsidenten von Warschau Rafał Trzaskowski (PO) und dem ehemaligen Regierungschef Mateusz Morawiecki (PiS) hin. Beide wollen selbstverständlich noch nichts davon wissen, denn die Entscheidung liegt ohnehin bei den Parteichefs. Die Startschüsse für die Kandidatenküren geben Donald Tusk und Jarosław Kaczyński ab.

Brüssel als Shangri-La?
Polens Politiker zieht es ins Parlament der EU
Andrzej Duda kann zweifellos als „Kronzeuge“ für die politischen Absichten der PiS dienen. Der inzwischen 52-jährige Politiker war einst Kanzleichef des Staatspräsidenten Lech Kaczyński und gehörte damit zum innersten Machtzirkel der „Zwillingsrepublik“. Nicht nur gemäß der Darstellung zahlreicher konservativer Politiker, sondern nachweislich auch in vielen Reden von Duda selbst, betrachtete die PiS dessen Wahlsieg vom Mai 2015 nicht lediglich als eine regelmäßige „Abwahl“ eines linksliberalen Präsidenten, sondern als den längst überfälligen „Sturz des alten Systems“. Erst jetzt – so Jarosław Kaczyński damals – können die Solidarność-Bewegung von 1980 sowie der Systemwechsel von 1989 vollendet werden. Im Jahr 2005 habe sich seine siegreiche Partei mit einem bloßen Wechsel der Regierungsmacht begnügt, was Polen nicht unbedingt geholfen hätte. Die vorgezogenen Parlamentswahlen von 2007 gewann Donald Tusks Bürgerplattform, die sich acht Jahre an der Macht zu halten vermochte. Bei seiner Vereidigung im August 2015 betonte Duda daher, man müsse nun den damals versäumten, grundsätzlichen Wechsel versuchen, der „bleibende Wirkungen“ nach sich zöge.

Die anschließenden Siege der PiS bei den Parlamentswahlen von 2015 und 2019 erleichterten den Plan, Polen in seinem Sinn zu erneuern. Schnell leitete die konservative Regierungspartei die bisher verschleppte bzw. als neu erforderlich erachtete Justizreform ein. Die wohl wichtigste Antriebskraft dieser überaus zügigen und tatkräftigen Umgestaltung des polnischen Gerichtswesens war die Einschätzung seitens der PiS-Führung, dass nach 1989 der Kommunismus zwar dessen politische Macht verloren hatte, sein über die Jahrzehnte aufgebauter Einfluss auf die Bereiche der Kultur, Wirtschaft und Medien aber ungebrochen war. Mehr noch: Nun machten sich dessen Seilschaften nicht nur in Polen, sondern gleichfalls in Brüssel bemerkbar.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war die PiS im Konflikt mit der EU. Die polnischen Reformversuche stießen auf direkte Maßnahmen der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs, die zu Sanktionen und dem Einfrieren von EU-Mitteln führten. Kritik wurde auch von der Venedig-Kommission des Europarats und internationalen Gremien wie den Vereinten Nationen sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geäußert. Die Wahlniederlage der PiS im Oktober 2023 bereitete dem tatkräftigen Umgestaltungsprozess wieder einmal ein jähes Ende. Seit über einem halben Jahr wird Polens Politik erneut an den Vorgaben des linksliberalen Zeitgeists ausgerichtet. Die von Grabenkämpfen durchgerüttelte PiS kann sich seitdem nicht sammeln und man gewinnt geradezu den Eindruck, dass ihre Situation immer schwieriger wird. Die Europawahl im Mai verlor Kaczyńskis Partei knapp. Es waren für ihn die ersten Wahlen seit zehn Jahren, bei denen er das Nachsehen hatte.

20 Jahre EU-Osterweiterung
Polen in der EU: Zwei Jahrzehnte Überregulierung
Und nun? Wer hätte im Mai 2025 die besten Chancen auf den Einzug in den Präsidentenpalast am Krakowskie Przedmieście? Ein Blick auf die aktuellen Umfragen zeigt, dass auch dieses Rennen für die PiS recht ungünstig ausfallen könnte. Verschiedene Statistik-Portale, die diese auswerten und gewichten, sehen aktuell PO-Vize Trzaskowski vorn. Dieser kommt in nationalen Umfragen durchschnittlich auf 32 Prozent, Morawiecki dagegen auf rund 28 Prozent. Zum Zünglein an der Waage könnte im zweiten Wahlgang der (besonders bei jungen Wählern beliebte) Sławomir Mentzen werden, der mit 15 Prozent das Podium abrundet.

Bis zum Frühling 2025 könnte der Co-Vorsitzende der liberal-konservativen Oppositionspartei Konfederacja in der Popularitätsskala noch weiter steigen, was der PiS-Chefetage zunehmend Sorgen bereitet. Immer mehr junge Konservative und Unternehmer würden ihr Kreuz bei einem Kandidaten der Konföderation setzen, weil sie sich von der PO und PiS „bestohlen“ fühlen. Die hohen Sozialausgaben der aktuellen und früheren Regierungsparteien belasteten nicht nur den Staatshaushalt ins schwer Tragbare, sondern boten überdies den nach Rache dürstenden Krzysztof Bosak und Sławomir Mentzen viele hochwillkommene Anlässe, Tusk und Kaczyński in die Ecke zu treiben.

Die Konföderation erhebt den Anspruch, als das „wahrhaft konservative Lager“ Polens zu gelten. Vor einigen Tagen hat sie noch einmal den Willen signalisiert, dem unlängst von Ungarns Premier Viktor Orbán initiierten Rechtsbündnis „Patrioten für Europa“ beizutreten. Ob die Konfederacja bzw. einer ihrer Kandidaten aber künftig Konzepte und Strategien finden, um eine glaubwürdige und eigenständige politische Gestaltungskraft zu erlangen, lässt sich heute noch nicht sagen. Fest steht, dass ein Kandidat wie Mentzen – sofern er im nächsten Jahr tatsächlich zur Präsidentschaftswahl antritt – zum „Königsmacher“ werden könnte. Höchstwahrscheinlich würde er im zweiten Wahlgang weder Morawiecki noch Trzaskowski unterstützen. Beiden möglichen Kandidaten wirft er eine „blinde Liebe“ zur Europäischen Union vor.

Wie die EU Polen in die Knie zwang
Morawiecki indessen verwies zuletzt erstmals auf „eine Vielzahl programmatischer Schnittmengen“ mit der Konfederacja, die in einer „nicht allzu fernen Zukunft“ mit der PiS koalieren könnte. In der politischen Talksendung „Wieczorny Express“ betonte Bosak, der frühere Ministerpräsident müsste sich zunächst einmal für den Green Deal und andere „unzählige Fehler“ entschuldigen. Entsteht da etwa eine neue Liebe? Wohl kaum. Kaczyńskis „Partei der Greise“ widersetze sich einer Verjüngungskur und die Konfederacja werde niemals die Rolle eines Juniorpartners übernehmen, der dann – wie die Suwerenna Polska – hilflos der politischen Verzwergung ausgeliefert würde, fügte Bosak hinzu.

Eigentlich hat er nicht ganz unrecht: Der Popularitätsgewinn seiner Partei wäre nicht möglich gewesen ohne eine innen- und außenpolitisch gar nicht überzeugende Leistungsbilanz der in den Jahren 2015 bis 2023 regierenden Vereinigten Rechten. Der vormals in den Reihen der PiS angekündigte Generationswechsel bleibt nach wie vor aus. Davon abgesehen sollte der 56-jährige Mateusz Morawiecki vielleicht überlegen, ob er noch der richtige Kandidat sei, um einen solchen herbeizuführen. Es geht nicht einmal um das Alter des früheren Regierungschefs, sondern um einen gewissen „Geschmack der Vergänglichkeit“, der zu einer dauerhaften emotionalen Abkehr der Wählerschaft von ihrem Kandidaten führen kann. Das Stillschweigen zu diesem Problem kann schließlich bewirken, dass in einigen Monaten auch im Präsidentenpalast keine reformorientierte Person mehr sitzt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen