„Sendeschluss im Propaganda-TV“; „Tusk entreißt PiS das öffentliche Fernsehen TVP“, betiteln die SZ und die FAZ ihre Berichterstattung zu den ungeheuerlichen Ereignissen, die sich gestern in Warschau abspielten – mit bezeichnendem Wohlwollen, ja geradezu Häme. Man kann sich kaum vorstellen, welche Headlines wir hätten lesen müssen, falls vor acht Jahren die PiS-Regierung damit begonnen hätte, in einer Nachtaktion den gesamten Führungsstab der polnischen Presseagentur, des polnischen Fernsehens und des polnischen Radios fristlos zu kündigen, am nächsten Tag aus seinen Büros zu zerren, das Gebäude mit Polizei abriegeln zu lassen und jegliche Übertragung manu militari abzubrechen – ein unerhörtes Vorgehen in einer westlichen Demokratie:
Aber „Quod licet Iovi, non licet bovi“ gilt leider wohl auch hier: Geschehen in einem Staat Reformen, welche einem konservativen Weltbild entspringen, wird in den linksliberalen Leitmedien von einem „rechtsextremen“ und „antidemokratischen“ Umsturz gesprochen, entsprechen sie aber einem linken Weltbild, wimmelt es nur so von Lobsprüchen auf „Freiheit“, „Diversität“ und „Toleranz“. Als die konservative Regierung von Giorgia Meloni ihrerseits die RAI umbesetzte, hieß es in den deutschen Schlagzeilen: „Giorgia Meloni im Kontrollwahn“ (RND), „In den Klauen der Politik“ (Tagesschau) und „‚Tele Meloni‘ – ist Italiens Mediensystem in Gefahr?“ (BR).
Worüber gestern bezeichnenderweise wenig gesprochen wurde, ist die Rechtslage. Die polnischen wie europäischen Leitmedien haben sich hier bezeichnenderweise bedeckt gehalten: Im Generellen beklagte man nur den in 8 Jahren PiS-Regierung in der Tat immer weiter fortgeschrittenen Einfluss konservativer Positionen auf die öffentlich-rechtliche mediale Berichterstattung (als sei deren westeuropäisches Äquivalent nicht in noch erheblich größerem Maße linksgrün geprägt) und leitete daraus irgendwie die „Notwendigkeit“ einer „Richtigstellung“ der Situation ab.
Dass es für so etwas in einer Demokratie Regeln gibt und nicht jedes politische Bauchgefühl gleich das Recht auf gewaltsame Besetzung und Schließung einer staatlichen Fernsehstation gibt, wurde kaum angesprochen – auch dies bezeichnend seitens einer politischen und medialen Elite, die acht Jahre lang den angeblichen „Abbau“ des polnischen Rechtsstaats rügte, nun aber einen quasi-diktatorischen Coup mit gierigem Enthusiasmus begrüßt und somit das bisschen Glaubwürdigkeit, das sie noch gehabt haben mag, vollends verspielt – und das unter dem dröhnenden Schweigen der EU (siehe den TE-Artikel hier):
Wie sieht nun also die Rechtslage aus? TVP-World, eine Tochtergesellschaft von TVP, die sich in den letzten Jahren zunehmend mit englischsprachigen Qualitätssendungen zur Weltlage einen Namen gemacht hat, veröffentlichte gestern eine klare und erstaunlich unaufgeregte Stellungnahme, bedenkt man, dass im selben Gebäude nur wenige Türen weiter tumultartige Szenen tobten, bei denen selbst der ebenfalls anwesende Ex-Premierminister Morawiecki physisch bedroht wurde, während draußen Polizeikordons das gesamte Gebäude gegen Demonstranten absichern mussten.
Wir bringen in Folge den Hauptteil aus diesem Text, der in den deutschen Medien so gut wie keine Beachtung fand, obwohl (oder gerade: weil) er keinen Zweifel an der völligen Illegalität der Vorgänge lässt – der Volltext kann in englischer Sprache hier konsultiert werden:
Seit zwei Jahren ist TVP World eine Plattform, die sich dem freien Fluss von Informationen verschrieben hat. Wir haben seit Tag 1 ausführlich über die russische Invasion in der Ukraine berichtet. Wir empfangen Experten aus der ganzen Welt, um die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen in der Weltpolitik zu diskutieren.
TVP World ist ein unparteiischer Sender, der das Bewusstsein für die Gefahren autoritärer Regime wie Russland, China und Iran schärfen will. Dennoch haben uns die jüngsten Ereignisse, die von der neu gewählten polnischen Regierung durchgeführt wurden, um illegal die Kontrolle über TVP zu übernehmen, sprachlos gemacht. Unser Sender und seine Website wurden ohne Angabe von Gründen abgeschaltet, und unsere Arbeit liegt auf Eis. Da viele Menschen nach der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der neuen Regierung fragen, möchten wir Ihnen ein paar Fakten nennen.
Am späten Vormittag des 20. Dezember wurde das Sendesignal vieler TVP-Kanäle abgeschaltet und ihre Websites wurden außer Betrieb gesetzt. Dazu gehören der Nachrichtensender TVP Info, der englischsprachige Nachrichtensender TVP World sowie die regionalen Sender.
Damit wurde gegen eine Entscheidung des Verfassungsgerichts verstoßen, das angeordnet hatte, dass keine Änderungen an den nationalen Sendern vorgenommen werden dürfen, ohne ein ordnungsgemäßes rechtliches Verfahren einzuhalten.
Eine der Ideen der derzeitigen Regierungskoalition, den Wandel in den öffentlichen Medien schnell voranzutreiben, bestand darin, die Medienunternehmen aufzulösen, um sie dann neu zu gründen, neues Personal einzustellen und Journalisten, die der neuen Regierung kritisch gegenüberstehen, loszuwerden. Außerdem wäre die Liquidierung von TVP ein Verstoß gegen das Gesetz und würde dem elementaren Prinzip der Rechtsstaatlichkeit widersprechen. Das polnische Recht schreibt vor, dass der öffentliche Rundfunk erhalten bleiben muss. Die Rechtsgrundlage für die Liquidation nationaler Rundfunkanstalten beruht auf den Bestimmungen des „Gesetzes über Handelsgesellschaften“, das dem Liquidator nur sehr begrenzte Befugnisse einräumt, was bedeutendere Veränderungen bei den öffentlichen Medien verhindern könnte. Er kann zwar mit der Liquidation eines bestimmten Programms beauftragt werden, aber damit das Gesetz eingehalten wird, muss auch der vom Gericht bestellte Kurator anwesend sein. Es gibt auch Zweifel daran, ob das „Gesetz über Handelsgesellschaften“ in dieser Situation anwendbar ist.
Der Verband Polnischer Journalisten (SDP) hat die Maßnahmen der Regierung vom 20. Dezember in einem am Mittwoch veröffentlichten Protest scharf verurteilt und sie als „barbarischen Angriff auf die Redefreiheit und die journalistische Unabhängigkeit“ bezeichnet. In dem Protest verwies die SDP auf die Entscheidung von Sienkiewicz [a.d.R. dem neuen polnischen Kulturminister], die Leiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Polnischen Presseagentur zu entlassen, was das Vorrecht des „Nationalen Medienrats“ ist, das illegale Eindringen in ihre Büros durch angeheuerte Sicherheitsfirmen sowie das Abschalten der Sendeanlagen von TVP Info, TVP World und der Website von TVP Info.
„Nach geltendem polnischem Recht können Änderungen in den öffentlich-rechtlichen Medien nur auf der Grundlage eines vom Sejm und dem Senat verabschiedeten und vom Präsidenten der Republik Polen unterzeichneten Gesetzes [und nicht nur einer Resolution; Anm. von TVP World] vorgenommen werden“, erklärt die SDP.
„Diese barbarischen Aktionen sind ein Angriff auf die Redefreiheit und die journalistische Unabhängigkeit. Die ZG SDP [der Hauptvorstand der SDP] betont noch einmal, dass alle diese Aktionen illegal sind und strafrechtlich verfolgt werden. Die ZG SDP appelliert an die Regierung, sich sofort von diesen Aktionen zurückzuziehen, die die Demokratie in Polen zerstören. Die ZG SDP appelliert auch an den Präsidenten der Republik Polen, der der Garant für die Einhaltung der Verfassung und der bürgerlichen Grundrechte ist, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um eine feindliche Übernahme der öffentlichen Medien in Polen zu verhindern“, heißt es in der Erklärung.
Am Dienstag verabschiedete das Unterhaus des polnischen Parlaments (Sejm) eine Resolution, in der das Finanzministerium aufgefordert wird, „korrigierende Maßnahmen“ zu ergreifen, um das ordnungsgemäße Funktionieren des staatlichen Rundfunks (PR) und Fernsehens (TVP) sowie der Polnischen Presseagentur (PAP) sicherzustellen.
An dem Tag, an dem über die Resolution abgestimmt werden sollte, räumte Sejm-Sprecher Szymon Hołownia ein, dass es sich bei einer „Resolution“ um eine „Stellungnahme“ und nicht um einen Rechtsakt handelt. Kritiker der Resolution sagten, dass die Regierung mit der Verabschiedung einer Resolution anstelle eines Gesetzes den legalen Weg umgehen will, wie z.B. die Änderung der Zusammensetzung des Nationalen Rundfunkrates (KRRiT), die ein Gesetz des Parlaments erfordert, das durch die Unterschrift des Präsidenten der Republik Polen, Andrzej Duda, in Kraft gesetzt werden muss, der ein Veto einlegen könnte, und gegen das die derzeitige Regierungskoalition nicht genügend Abgeordnete hat, um es zu kippen.
„Ohne das Recht der parlamentarischen Mehrheit in Frage zu stellen, Änderungen im Rechtssystem einzuführen, sollte betont werden, dass das politische Ziel keine Entschuldigung für die Verletzung oder Umgehung verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Vorschriften sein darf“, argumentierte daher Duda in einem Brief an Hołownia und fügte hinzu, dass „alle öffentlichen Behörden verpflichtet sind, auf der Grundlage und innerhalb der Grenzen des Gesetzes zu handeln.“ Die Antwort von Hołownia, der dem Brief scheinbar zustimmt, deutet jedoch darauf hin, dass er die Befürworter der Resolution für im Recht hält und die Bedenken des Präsidenten zurückweist.
In den Artikeln 213 bis 214 wird KRRiT mit der Wahrung der Meinungsfreiheit und des Rechts auf Information sowie der Wahrung des öffentlichen Interesses in Bezug auf Rundfunk und Fernsehen beauftragt, wobei die Einzelheiten seiner Tätigkeit durch das Gesetz geregelt werden.
„Die Freiheit der Meinungsäußerung, der Beschaffung und der Verbreitung von Informationen ist jedermann gewährleistet“, heißt es im entsprechenden Teil von Artikel 54 der Verfassung. „Eine präventive Zensur der gesellschaftlichen Kommunikationsmittel und die Lizenzierung der Presse sind verboten.“
Seit 2016 wird das Führungsgremium von TVP vom Nationalen Medienrat (RMN) gewählt und entlassen. Zu seinen Kompetenzen gehört auch die Ernennung und Abberufung der Vorstände des polnischen Rundfunks und der PAP. Der Nationale Medienrat hat auch eine beratende Funktion bei der Verwaltung der öffentlichen Medien. In seiner Zusammensetzung sind auch Repräsentanten der Opposition garantiert vertreten.