Die politische Sommerpause in den USA währte in diesem Jahr nur kurz. Mit den für August angesetzten Wahlveranstaltungen wird in beiden Lagern ein heißer Herbst eingeläutet. Nach aktuellen Umfragen würde der demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden das Rennen ums Weiße Haus knapp für sich entscheiden. Der frühere Vizepräsident führt diese mit ca. 4-9 Prozent an, doch dieser Vorsprung ist zweifelsfrei einholbar. Kurz vor den Wahlen im Herbst dürfte er in den entscheidenden „Swing States“ ohnehin noch etwas anschmelzen. Und selbst wenn Biden im Herbst weiterhin vorn liegt, kann der Amtsinhaber Donald Trump dank des Wahlmännersystems nach Bundesstaaten gewinnen.
Außerdem weiß man nie ganz recht, wie solche Umfrageergebnisse eigentlich zustande kommen; vor vier Jahren haben die gleichen Meinungsforschungsinstitute noch kurz vor der Wahl Hillary Clinton zur haushohen Favoritin erklärt. Auch ist die „Antirassismus“-Welle, die der Demokratischen Partei zuletzt zusätzliche Punkte beschert hatte, etwas abgeebbt. Eine aktuelle Umfrage des TV-Senders CNN scheint diesen Trend zu bestätigen: der Vorsprung Bidens auf seinen Kontrahenten ist inzwischen auf 4 Prozent geschrumpft.
Keine Muskelspiele
Der US-Wahlkampf wird gleichfalls in Europa aufmerksam verfolgt, denn für die Regierungen mancher EU-Länder hätten personelle Rochaden im Weißen Haus womöglich einschneidende Konsequenzen. Einige Biden-Berater, wie der ehemalige Vizeaußenminister Tony Blinken, haben bereits angekündigt, dass bei einem Regierungswechsel die US-Diplomatie eine ganz andere Ausrichtung bekäme. Zwar blieben Washingtons Verbündete und Gegner die gleichen wie bisher, doch bei einem Sieg der Demokraten dürften in Berlin, Paris, Peking und Moskau die Sektkorken fliegen (in Teheran stößt man eher mit Dugh an). Trumps feurige Drohungen gegen den Iran, Russland, China sowie die EU haben in den letzten Jahren viele in diesen Ländern vor den Kopf gestoßen und ihm den Vorwurf einer Selbstinszenierung als „Mad Man“ der internationalen Politik eingebracht.
Selbstredend ist deren Kritik am amtierenden US-Präsidenten in vielerlei Hinsicht übertrieben und eher als verzweifelte „Notwehr“ der verdutzten Eliten zu werten. In Wirklichkeit hat der 74-jährige Republikaner mit seiner Politik der Stärke in den vergangenen Jahren manch einen gordischen Knoten zerschlagen und nicht selten diplomatisch-bürokratische Zöpfe abgeschnitten, die letzten Endes fast zum Durchbruch führten (wie etwa 2018 in Nord- und Südkorea). Und auch als Trump gegenüber einigen NATO-Mitgliedern auf eine Liste von Bedingungen bestanden hatte, waren es nicht nur bitterböse „Muskelspiele“, sondern unverhohlener Pragmatismus. Er übersah keineswegs, dass manche europäische Nationen ihre Verteidigungsmuskeln erschlaffen ließen und sich nur noch auf wirtschaftliche Machtentfaltung konzentrierten.
Ein Präsident Biden würde zwar diesbezüglich die diplomatischen Lautsprecher am Weißen Haus etwas leiser einstellen, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass auch schon die Politik der Vorgängerregierungen geprägt war von einem sukzessiven Rückzug, getrieben vom Unbehagen der US-Bürger über die Weltordnungsrolle Amerikas. Donald Trump hat es lediglich auf den Punkt gebracht, was z. B. in London oder Warschau lobend anerkannt wurde.
Im Umgang mit Deutschland würde Biden unterdessen auf mehr „political correctness“ setzen, was einige Spiegel-Redakteure vermutlich sofort in die Arbeitslosigkeit stürzte. Enttäuscht von einem Regierungswechsel in den USA wären vor allem die britischen „Tories“, die in den letzten Jahren viel Zeit und Mühe investiert haben, um in den Fehden mit Brüssel Trump auf ihre Seite zu ziehen. So haben unlängst die politischen Akteure in der Downing Street dem Druck aus Washington nachgegeben und den chinesischen Technologiekonzern Huawei endgültig aus dem Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes im Vereinigten Königreich ausgeschlossen. Nun werden in London auch Rufe nach einem „TikTok“-Verbot laut, nachdem schon Trump zu einem Rundumschlag gegen die chinesische App ausgeholt hatte.
Je näher allerdings die Präsidentschaftswahlen in den USA heranrücken, desto leiser wird der britische Premier. Boris Johnson wird bis zum Herbst keine lesbaren Sympathiebekundungen mehr aussenden, um es sich mit einem möglichen demokratischen Nachfolger im Weißen Haus nicht zu verderben. Bei einem Sieg Bidens dürften sich die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien dennoch etwas abkühlen, zumal der frühere US-Vizepräsident als deklarierter Brexit-Gegner gilt.
Republikanische Polensympathie
Im Gegensatz zu den Konservativen in London, die trotz eventueller Widrigkeiten auch weiterhin auf ein traditionelles Verhältnis zu Washington hoffen dürfen, ist die derzeitige Regierung in Warschau gleichsam auf „republikanische Kontinuität“ geradezu angewiesen. Für Polen war es in der Vergangenheit generell vorteilhafter gewesen, wenn ein Konservativer im Weißen Haus saß. Unvergessen bleiben die Treffen zwischen dem polnischen Papst Johannes Paul II. und US-Staatsoberhaupt Ronald Reagan, die gemeinsam in den Jahren 1987-89 einen bedeutenden Beitrag zur Erosion des sowjetischen Systems geleistet haben.
Später war es dann George Bush senior, der sich im Pariser Klub für das in Zahlungsschwierigkeiten geratene Polen und dessen baldigen Eintritt in die NATO einsetzte. Als schließlich sein Sohn die großzügigen Räume an der Pennsylvania Avenue bezog, geriet der sog. „Raketenschild“ ins öffentliche Bewusstsein, für den insbesondere die Standorte in Polen und Tschechien eine zentrale Rolle spielten. Bei einem Treffen zwischen George W. Bush und dem polnischen Präsidenten Lech Kaczyński im Jahr 2007 in Jurata wurde das ambitionierte Rüstungsprojekt abgesegnet, bevor ein Jahr später Obama dieses wieder rasch verwarf und stattdessen eine Annäherung an Russland vorzog.
Mit seiner jüngsten Ankündigung, 12.000 der 36.000 US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen und teilweise an die Weichsel zu verlegen, hat Trump bei den Konservativen in Warschau somit neue Hoffnungen geweckt. Dabei geht es dem US-Präsidenten mitnichten nur darum, dass die BRD seit 2002 konsequent die 2-Prozent-Vereinbarung der NATO missachtet. Er stört sich u.a. an den russlandfreundlichen Tönen einiger Bundesminister sowie daran, dass Deutschland und vier weitere europäische Staaten seit dem Jahr 1976 den Geheimdienstverbund „Maximator“ unterhalten haben, in dem sie untereinander kryptologische Lösungen zur Entschlüsselung der Funk-Kommunikation anderer Länder austauschten. Trump wittert in dieser Abhörkooperation eine eindeutige Konkurrenz zu den „Five Eyes“, einem vergleichbaren Verbund angelsächsischer Partnerstaaten. Dabei kommt eine Verstärkung der Ostflanke den Wünschen der PiS-Regierung durchaus entgegen. Seit dem Beginn seiner ersten Amtszeit im Herbst 2015 träumt Polens Präsident Andrzej Duda von einer ständigen US-Militärbasis in seinem Land, die er der Not gehorchend sogar mit dem Namenschild „Fort Trump“ versehen würde.
Aber ist dieses Ziel überhaupt realistisch? US-amerikanische Medien lancierten zuletzt immer wieder die These, dass es außer einer eventuellen Aufstockung der Ostflanke keine weiteren Pläne gebe. Diesen Informationen widersprach unverzüglich die US-Botschafterin in Warschau. Die Pläne seien nach wie vor „hochaktuell“ und „weitreichender als bisher gedacht“, so Georgette Mosbacher. Damit ist wohl die schon seit einigen Jahren hinter vorgehaltener Hand bekundete Meinung gemeint, dass Polen irgendwann vielleicht auch ein Teil der amerikanischen Atomwaffen zufiele. Der kürzlich zurückgetretene US-Botschafter in Berlin Richard Grenell hat in den letzten Jahren ebenfalls seine Befürchtungen über eine Aufweichung der „nuklearen Teilhabe“ durch Deutschland geäußert und inoffiziell über eine solche Lösung nachgedacht.
Eine ständige US-Militärbasis im Osten Europas könnte ohnedies zu einer weiteren Belastungsprobe für die deutsch-polnischen Beziehungen werden. Nur: Wenn die Bundesregierung eine Verlegung der US-Truppen weiterhin ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt, wird das Verhältnis zwischen Warschau und Berlin nicht besser. Auch nicht dann, wenn einige emeritierte rot-grüne „Russlandversteher“ noch mehr Öl ins mediale Feuer gießen, indem sie auf die NATO-Russland-Grundakte verweisen und die Kanzlerin anbetteln, den Kreml-Chef nicht unnötig zu „provozieren“. Dieses Dokument sollte ein „unnötiges“ Wettrüsten mitten in Europa verhindern.
Damals vermochte man jedoch nicht vorherzusehen, was sich in einigen Jahren in Georgien, der Ukraine oder auf der Krim ereignet. Man konnte nicht erahnen, dass in der an Polen grenzenden russischen Enklave Kaliningrad weitere „grüne Männchen“ stationiert werden, die „mögliche Kriegsfälle“ einüben. Dass auch in diesen Tagen sich der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko notfalls der Unterstützung Putins gewiss sein darf. Wenn sogar in solchen Situationen die marxistischen „Romantiker“ in der BRD uns unentwegt „fehlende Empathie“ gegenüber Moskau unterstellen, dann erscheint eine Intensivierung der militärischen Kooperation zwischen den USA, Polen und den baltischen Staaten unerlässlich.
Größere Rotationspräsenz
Nicht zuletzt deshalb wurde sie vor einigen Tagen anlässlich des 100. Jahrestags des polnischen Sieges über die Rote Armee noch einmal bekräftigt. In Warschau haben US-Außenminister Mike Pompeo und der polnische Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak einen Vertrag über die Entsendung von 1.000 zusätzlichen Soldaten nach Polen unterzeichnet, die den Weg zu einer größeren „Rotationspräsenz“ von US-Truppen eröffne. Der Vertrag sieht auch eine Verlegung eines Teils des Hauptquartiers des 5. Korps der US-Armee aus Fort Knox im Bundesstaat Kentucky nach Poznań vor, wo schon ab Oktober jeweils 200 Angehörige im Rotationsprinzip einen Vorposten besetzen sollen. In Polen sind bereits 4.500 US-Soldaten stationiert. Eine ständige Militärbasis wird es aber vorerst nicht geben. Sie dürfte in eine noch weitere Ferne rücken, wenn im Herbst Joe Biden ins Weiße Haus einzöge. Spätestens dann könnte es sich aus polnischer Sicht als ein Fehler erwiesen haben, dass Präsident Duda und die PiS-Regierung den demokratischen Präsidentschaftskandidaten bislang ostentativ ignorierten.
Die Fokussierung der PiS auf den amtierenden US-Präsidenten verleitete bereits einige polnische Oppositionspolitiker zu bissigen Sticheleien. „Wie wird ‚Fort Trump‘ eigentlich heißen, wenn Joe Biden die Wahlen gewinnt? Dies ist kein Witz, Polen droht in einigen Monaten die völlige Isolation“, glaubt der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk. Ganz so unerfreulich, wie es der politische Parvenü aus Gdańsk prognostiziert, wird es wohl doch nicht. Der vor einigen Tagen unterzeichnete Vertrag wird auch dann seine Gültigkeit nicht verlieren, wenn Trump im November seine Schreibtischschubladen im Oval Office ausräumen müsste. Zwar ist anzunehmen, dass Biden den Truppenabzug aus Deutschland womöglich verlangsamen könnte, um auf eine zeitweilige Entschärfung der Beziehungen zu Moskau abzuzielen, aber er wird sicherlich nicht die bereits in Polen anwesenden US-Soldaten abziehen lassen.
Man sollte zudem nicht vergessen, dass auch schon unter Trump die Beziehungen zwischen Polen und den USA nicht immer nur ausnahmslos harmonisch verliefen. Hinter dem diplomatischen Zuckerguss gab es Interessensgegensätze, die unabhängig von den jeweiligen Regierungen weiterhin für medialen Zündstoff sorgen. Das umstrittene „Holocaust-Gesetz“ etwa, das für fehlerhafte Bezeichnungen wie „polnische Todeslager“ noch unlängst mit Geldstrafen und Gefängnis bis zu drei Jahren belegt werden sollte (übrigens: ein solcher „Fauxpas“ unterlief selbst Obama), wurde von der jüdischen Community in den USA harsch kritisiert.
Anschließend nahm das legislative Säbelrasseln seinen Lauf: Im Jahr 2018 trat in den Vereinigten Staaten das sog. „Gesetz 447“ in Kraft. Ideengeberin des Projekts war Tammy Baldwin vom linken Flügel der Demokraten, die der PiS-Regierung vorwarf, sie wolle den Nachfahren von Holocaust-Überlebenden ihr Eigentumsrecht für bestimmte Immobilien verweigern. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte damals diese Vorwürfe als haltlos zurückgewiesen. In der Tat ist das „Gesetz 447″ nicht unumstritten: Es räumt dem US-Außenministerium das Recht ein, internationalen Organisationen, die Opfer des Holocaust repräsentieren, auf diplomatischem Wege bei der Übernahme von jüdischem Eigentum ohne Erben zu helfen. Dabei wäre das State Department nach den neuen Vorschriften dazu verpflichtet, einen Bericht zu erstellen, der darüber informiert, welche Länder die Rückgabe von Eigentum ablehnen. Zwar bemühten sich später die Regierenden in Polen und den USA um diplomatische Deeskalation, dennoch zeigten sich einige polnische Politiker entrüstet. “
Jüdische Organisationen in den USA verlangen von uns Milliarden, ohne direkt nachweisen zu müssen, dass sie auch tatsächlich Nachfahren von Holocaust-Opfern sind. Wir müssen gegen diese Mafia entschieden vorgehen“, forderte Robert Winnicki, damals Sejm-Abgeordneter der Nationalen Bewegung (RN). Nur wenige Wochen später gab es zwischen Warschau und Washington erneut Spannungen. Das Katyń-Denkmal in New Jersey, das an die 1940 in Sowjetrussland ermordeten polnischen Soldaten erinnert, sollte im Mai 2018 plötzlich entfernt werden. Das Denkmal „irritiere“ die Bewohner, so Steven Fulop, der linke Bürgermeister von New Jersey. Nachdem der damalige polnische Senatsmarschall Stanisław Karczewski (PiS) daraufhin öffentlich seinem Unmut Luft verschaffte, bezeichnete ihn Fulop kurzerhand als „weißen Rassisten“. Der linke Ikonoklasmus, welcher zwei Jahre später in Straßenschlachten mit der Polizei ausufern sollte, hatte offenbar zu diesem Zeitpunkt schon begonnen. Zum Glück ist der Streit alsbald beigelegt worden, insbesondere auch dank der polnischen Community in New Jersey, die den ahnungslosen Bürgermeister erst einmal mit der Geschichte des Denkmals vertraut machte.
Die genannten Probleme existierten jedoch schon vor Trumps Amtsperiode. Die Beziehungen zwischen Warschau und Washington dürften sich unter Biden insofern verschlechtern, als z. B. die in der EU verbreiteten Unwahrheiten über die polnische Rechtsstaatlichkeit nunmehr auf „linke Ohren“ im Weißen Haus stießen. Denn auch wenn der Kommunist Bernie Sanders im Rennen um das höchste Amt in den Vereinigten Staaten keine Rolle mehr spielt, ist in der Demokratischen Partei bereits seit geraumer Zeit ein sichtbarer Linksruck zu beobachten, der nach den Vorfällen von Minneapolis mitunter besorgniserregende Züge angenommen hat. Biden wäre zweifelsfrei das passende Gesicht zu diesen aktuellen politischen Entwicklungen in den US-amerikanischen Medien sowie der dortigen akademischen Welt. Ansonsten würde er u.a. wahrscheinlich eine Rückkehr in den Pariser Klimavertrag sowie in die WHO erwägen, vermutlich gar mit dem Mullah-Regime eine Friedenspfeife rauchen. Und auch Wladimir Putin könnte endlich wieder aufatmen.