Der Unterschied der ARC-Konferenz 2025 in London, der „Alliance for Responsible Citizenship“, im Vergleich zu der Gründungsveranstaltung vor zwei Jahren fällt schon auf den ersten Blick auf: Damals, als konservative und libertäre Denker, Unternehmer, Wissenschaftler und Autoren zusammenkamen, um ein internationales Netzwerk zu gründen, versammelten sich gut 1.500 Personen im Arsenal London in Greenwich, weitgehend ignoriert selbst von vielen britischen Medien. Diesmal zogen die Veranstalter in den riesigen ExCel-Komplex der Docklands, um die 4.000 Gäste aus 96 Ländern unterzubringen. Es gibt auch eine deutlich größere deutschsprachige Gruppe als 2023, zu der neben anderen Thorsten Alsleben von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gehört.
Der Andrang liegt vor allem daran, dass viele der Redner auf der ARC 2025 sich in einer sehr viel mächtigeren Position befinden als vor zwei Jahren. Seinerzeit wurde der frisch als Speaker des US-Kongresses gewählte Mike Johnson noch als Oppositionspolitiker aus Washington zugeschaltet. Heute gehört er zur Kernmannschaft, die unter Trumps Präsidentschaft das Land verändert. Der Unternehmer Chris Wright, ebenfalls schon 2023 dabei, amtiert seit einigen Wochen als neuer Energieminister der Trump-Administration. Kemi Badenoch kam 2023 als Ministerin der Regierung von Liz Truss zur ARC.
Ihre Rede zum Beginn der Konferenz 2025 hielt sie als neue Tory-Chefin mit besten Aussichten, nach der nächsten Wahl die britische Regierung zu führen. Was fast intim und verschwörerisch begann, vorangetrieben von dem kanadischen Autor Jordan Peterson, der konservativen britischen Politikerin und Think-Tank-Gründerin Philippa Strout, dem Unternehmer Paul Marshall und anderen, entwickelte sich also innerhalb von 24 Monaten zu einer weltweiten Bewegung von bemerkenswerter Breite und Größe.
Und anders als damals, als die Teilnehmer sich fragten, ob und wie sich die damals noch ziemlich siegesgewisse antiwestliche Ideologie innerhalb des Westens selbst stoppen ließe, herrscht im Februar 2025 an der Themse keine Defensivstimmung mehr. Sondern das Gefühl, neuerdings im Zentrum einer neuen weltweiten Entwicklung zu stehen, vielleicht sogar dieses Zentrum zu bilden. Eine wiederkehrende Botschaft vieler Redner lautet: Wir repräsentieren den eigentlichen Westen, also einen von Gewaltenteilung, freier Rede und weiteren Bürgerrechten geprägten Raum, und wir kehren damit in eine Position zurück, aus der uns der Wokismus vorübergehend verdrängen konnte. „Jetzt ist Zeit, uns wiederzuholen, was uns gestohlen wurde“, meinte Philippa Strout in ihrer Eröffnungsrede.
‚Das‘ meint vor allem: den Stolz auf das westliche Erbe. „Großbritannien ist kein rassistisches Land“, erklärte auch Badenoch: „Wir müssen uns nicht entschuldigen.“ Und: Natürlich sei das Land offen für Migranten, die mit seiner Kultur etwas anfangen können. Aber mit ihr als Premierministerin werde die Politik enden, jeden aufzunehmen, der Einlass begehrt. „Dazu“, so die Tory-Vorsitzende, „sind wir nicht verpflichtet. Britische Bürger müssen an erster Stelle kommen.“ Solche Worte würden, ausgesprochen in Deutschland, einen ähnlichen Schock in der politisch-medialen Klasse auslösen wie die Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance auf der Sicherheitskonferenz in München.
Überhaupt zeichnen sich die Referenten aller angelsächsischen Formalität zum Trotz durch eine sehr direkte Sprache aus. Trumps neuer Energieminister Wright etwa spottete über den deutschen und britischen Weg zur „Klimaneutralität“ (der auf der Insel für einen Strompreis noch über dem deutschen sorgt): „Das ist keine Energiewende. Das ist lächerlich.“ Paul Marshall machte das Publikum mit dem deutschen Begriff „Dunkelflaute“ bekannt; und spottete über die Idee von Energie- und „Net Zero“-Minister Edward Milliband, das Inselreich mit Solarpanels zuzupflastern: „Ich bin kein Experte, aber das leuchtet mir nicht recht ein. Das einzige Land in der Nähe mit noch weniger Sonnenschein, als wir ihn haben, ist Irland.“
Seiner Ansicht nach stehen sowohl Deutschland als auch das Königreich vor der Entscheidung, entweder ihren Kurs der Wirtschafts- und Energiepolitik radikal zu ändern – oder die gesamte energieintensive Industrie aus dem Land zu treiben. „Die Frage ist“, so Marshall: „wie viele Leute ihren Job noch haben, wenn Milliband seinen verliert?“ Damit setzt er wie viele andere in der ExCel-Halle einen Schwerpunkt der Konferenz: die Rückkehr zur Rationalität. Und das nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet. Andere gleichrangige Themenblöcke beschäftigten sich mit der Bedeutung von Familie und Bildung, genauer gesagt mit der Frage, wie sich der Niedergang von beidem aufhalten und umkehren lässt.
Und natürlich mit der Migration, die gerade den Charakter der westlichen Staaten tiefgreifend verändert. Das ARC-Spektrum reicht von klassisch liberalen Denkern bis zu den demokratischen Rechten wie Nigel Farage, Vorsitzender von Reform UK, der Partei, die bei der letzten Parlamentswahl in Großbritannien am stärksten zulegte. „Die Konservativen sind nicht gespalten“, so Farage im Gespräch mit Jordan Peterson, denn: „Die Tories sind keine ausschließlich konservative Partei mehr.“ Die vierzehn Jahre der zurückliegenden Tory-Regierungen, so lautet sein Verdikt, seien eben auch geprägt gewesen von ungeregelter Masseneinwanderung, hohen Steuern und dem ‚Net Zero‘-Projekt, dem Ziel der Klimaneutralität, das er für einen völligen Irrweg hält. Auf diese Weise befeuert die Konferenz auch den Ideenwettbewerb innerhalb des nichtlinken Lagers.
Während es 2023 darum ging, das libertär-konservative länderübergreifende Netzwerk erst einmal zu gründen, steht jetzt bei der ARC die Frage nach dem Gegenprogramm zu Postnationalismus und großer Transformation im Zentrum. In seiner Rede am zweiten Konferenztag kreiste der britische Journalist Douglas Murray um die Frage: Was macht die westliche Tradition eigentlich aus? Im Kern der woken, postkolonialen Ideologie, so Murray, stehe nach wie vor das Dogma, „dass wir im Westen selbst keine eigene Farbe haben, sondern dass Farben das sind, was uns andere bringen.“ Diese Frage überwölbt alle anderen: Worin liegt die kulturelle Besonderheit des Westens? Von dieser Antwort, meint er, hängt ab, ob der Westen als eigener kultureller Raum überlebt.
Obwohl sich das ARC-Netzwerk in einer sehr viel stärkeren Position sieht als 2023, und obwohl sich der Wokismus zumindest in den USA im Niedergang befindet, verschärfen sich die ökonomischen und kulturellen Krisen in fast allen westlichen Ländern. Daraus ergibt sich das nächste Leitmotiv der Konferenz: die drängende Zeit. „Diese ganze Diskussion, was ein Mann und was eine Frau ist“, so Murray, „wer hat eigentlich Zeit für so etwas?“ Das Gefährliche an diesen Debatten, so lautet seine nicht ausgesprochene Antwort, liegt darin, dass sie nur Energie für die wirklich wichtigen Gesellschaftsthemen rauben.