Den Sieg bei den vorgezogenen Neuwahlen hat Alberto Núñez Feijóo von der spanischen Volkspartei (PP) mit Recht für sich beansprucht. Aber könnte die Macht noch an ihm vorbeigehen? Möglich wäre es. „Feijóo hat die Wahlen gewonnen, aber Puigdemont kann Pedro Sánchez noch zum Ministerpräsidenten machen“, schreibt etwa die Mitte-Rechts-Tageszeitung El Mundo, ganz ähnlich auch die weiter rechts stehende ABC und andere.
Es bleibt bei einem großen Sieg der Konservativen (136 Sitze), die damit die Sozialisten überrundet und satte 48 Sitze dazugewonnen haben. Aber die absolute Mehrheit von 176 Stimmen ist eben nicht gewonnen, auch nicht zusammen mit der Vox (33 Sitze), obwohl die trügerischen Exit-Polls etwas anderes gesagt hatten.
Noch-Ministerpräsident Sánchez (PSOE) war leidlich erfolgreich mit seinem Vorhaben, einen entscheidenden Sieg der Konservativen durch vorgezogene Wahlen abzuwenden. Bei den Neuwahlen ging es ja darum, einem zu großen Zuwachs der konservativen Parteien zuvorzukommen und sich so noch einmal eine wie auch immer wackelige Regierungsbasis zu verschaffen. Denn Sánchez regierte schon seit 2019 ohne eigene Mehrheit und nur dank der Unterstützung einiger Regionalparteien.
Die Regionalparteien, vor allem die vier Parteien für Katalonien und Baskenland, drängen allesamt auf mehr Autonomie, die ihnen die Zentralisten nicht zugestehen wollen. Die größte von ihnen ist die katalanische Unabhängigkeitspartei Junts per Catalunya („Zusammen für Katalonien“), die mit sieben Sitzen in die neuen Cortes einzieht. Carles Puigdemont ist als Parteigründer immer noch einflussreich. Die Junts-Partei sieht ihre Chance nun gekommen. Parteimitglied Miriam Nogueras sagte: „Wir werden Sánchez nicht im Tausch gegen nichts zum Ministerpräsidenten machen.“ Läutet die Schwächung des sozialistischen Premiers nun eine zunehmende Abspaltung Kataloniens ein? Und fast noch wichtiger: Kann ein Wahlverlierer die neue Regierung führen? Sánchez könnte sich damit herausreden, dass er zwei Sitze dazugewonnen hat.
Darf Sánchez weiter Spaniens Stimme neutralisieren?
Doch auch Feijóo will sich den Regierungsauftrag, der ihm als Anführer der größten Fraktion zusteht, nicht nehmen lassen. Nur mit wem sollte er regieren, von wem sich unterstützen oder tolerieren lassen? Kann er eine Alternative zu den stolzen Katalanen von Junts finden, etwa mithilfe von Splitterparteien aus dem Baskenland, seinem heimischen Galizien und den Kanaren? In gewisser Weise steht ausgerechnet die Neugründung Vox dem entgegen, weil sie sich als Super-Zentralisten geben, deren Forderungen in dieser Frage sogar noch entschiedener sind als die der anderen Ein-Spanien-Parteien. Und so stellt Feijóo sich gerade auf die Hinterbeine und fordert von allen anderen Parteien die Unterstützung des Wahlsiegers. Ob das verfangen wird…
Aber auch die Linken haben ein Manko: Sie haben es etwas weiter bis zur absoluten Mehrheit. Sie müssten 24 Stimmen im Unterhaus dazugewinnen, wo PP und Vox nur sieben weitere Stimmen brauchen. Aber auch das könnte aus den genannten Gründen haarig werden. Gemütlich scheint die kommende spanische Legislaturperiode in keinem Fall zu werden. Zu erwarten ist auch, dass die bestehenden, lange gehegten und gepflegten Probleme, die schon jetzt zu einer Abwendung von linken Parteien geführt haben, sich noch verschärfen werden. Dazu zählt vor allem die illegale Migration, die sich zuletzt auch in der spanischen Asylstatistik (mit mehr als 11.000 Anträgen im Monat) zuspitzte. Aber auch der „Kulturkampf“ der Linken um Transgender und andere Vorhaben wird das Land weiter gegen sie aufbringen und so letztlich den konservativen Parteien Wähler in die Arme treiben.
Was das Ergebnis für die EU bedeutet, hängt letztlich davon ab, nach welcher Seite das Pendel ausschlägt: Wenn sich Sánchez im Amt halten kann, dann wird er auch weiterhin als Unterstützer von Scholz und Macron auftreten, also Spanien de facto aus dem Spiel nehmen, es und die Stimme seiner Bürger neutralisieren. Wird es Feijóo zusammen mit Vox, dann stehen der EU interessante Tage bevor. Schon wird der rechte Koalitionspartner in allen bedeutenden Blättern des Kontinents als Ableger der polnischen PiS und der ungarischen Fidesz bezeichnet.
Dass der PP so wenig Abstand von diesem Neuankömmling im Parteiensystem hält, wird sicher bald zu gesteigertem Naserümpfen führen. Doch eine Brandmauer gegen vernünftige Politik von rechts gibt es in Spanien eben nicht, wie die Kooperationen zwischen PP und Vox nach den Regionalwahlen zeigen. Am gerade etwas gebremsten, eigentlich auf den PP umgeleiteten Aufstieg von Vox zeigt sich auch, dass immer mehr Wählern in Europa, eine wirklich konservative Partei fehlt. Das hängt nicht nur mit der allmählichen Abschleifung konservativer Positionen in der EVP zusammen, sondern darüber hinaus mit einer neuen Sicht auf Probleme, die immer noch anwachsen.