Tichys Einblick
5 Jahre Haft und Amtsverbot gefordert

Wie die Pariser Staatsanwaltschaft die Präsidentschaft von Marine Le Pen verhindern will

Der Prozess gegen das Rassemblement national und Marine Le Pen gewinnt politische Brisanz. Die französische Staatsanwaltschaft hat hohe Geld- und Haftstrafen vorgeschlagen, will Le Pen zudem auf gewisse Zeit von politischen Ämtern ausschließen. Selbst das Recht auf Berufung soll ihr genommen werden.

Marine Le Pen im Gerichtsgebäude am Tag der Anhörung, Paris, 13. November 2024

picture alliance / abaca | Poitout Florian/ABACA

Korruption im EU-Parlament ist eigentlich nichts Besonderes mehr, sicher nicht mehr, seit die Katar- und Marokko-Deals zentraler Mitglieder der sozialdemokratischen S&D-Fraktion aufgeflogen sind und die Vize-Parlamentspräsidentin Eva Kaili hinter Gitter wanderte. Doch dieser Prozess ist schon besonders. Er geht nämlich gegen Marine Le Pen und ihre Delegationskollegen vom Rassemblement national (RN). Und die Staatsanwaltschaft will hier keinen Spaß mehr verstehen. Es geht um parlamentarische Mitarbeiter, die aber alles andere gewesen sein sollen, nur nicht Mitarbeiter der betreffenden EU-Abgeordneten. Die Partei, das RN, habe die Mittel folglich zweckentfremdet, habe unrechtmäßig Parteizwecke mit Fraktionszwecken vermischt.

Auch das EU-Parlament hat sich zu der Sache geäußert und den Schaden für die Steuerzahler auf 4,5 Millionen Euro geschätzt. Die zu zahlende Strafe will man aber sogar auf 4,8 Millionen Euro taxieren. Alle beteiligten Abgeordneten müssten verurteilt werden. Das ist bei Fehlverhalten, vor allem gravierendem, eine berechtigte Forderung. Nur wird die Forderung nicht in allen Fällen von Fehlverhalten gleichermaßen gestellt. Wie ist es etwa mit den ‚Fehlern‘ der Ursula von der Leyen, dem EU-Parlament gegenüber eigentlich zur Rechenschaft verpflichtet? Weder aus dem Impfstoff-Skandal noch aus anderen Geschäften der Kommissionspräsidentin folgten bisher Prozesse, die ihre politische Karriere beeinträchtigen könnten. Die CDU-Politikerin scheint immun, inzwischen sind drei Jahre vergangen, ohne dass sich Belgien und EU-Staatsanwaltschaft zur Anklage-Erhebung entschließen konnten. Der Schaden geht in die Milliarden Euro.

So weit die vom Parlament angedachten Strafen. Aber auch die Staatsanwaltschaft forderte nun, gute sechs Wochen nach Prozessbeginn, ein Strafmaß, das sich gewaschen hat. Satte zwei Millionen Euro Strafe wollen die französischen Staatsanwälte dem Rassemblement aufdrücken. Außerdem soll es allen Angeklagten zeitweilig untersagt werden, für öffentliche Ämter zu kandidieren.

Ein durch und durch politischer Prozess

Die letztere Vorschrift wäre in der Tat ein GAU für das RN, aber im Grunde auch für das politische System Frankreichs und der EU insgesamt. Von Bedeutung wäre vor allem das Antrittsverbot für Marine Le Pen. Der Ausschluss einer so gewichtigen Kandidatin wäre eine Coupierung des politischen Prozesses in Frankreich und EU gleichermaßen. Mit gewissem Recht sagte Le Pen, dass „Millionen von Franzosen ihres Präsidentschaftskandidaten beraubt würden“, wenn sie 2027 nicht mehr antreten könnte. Denn fünf Jahre lang soll das Kandidaturverbot für Le Pen gelten.

Darüber hinaus stellt sich allerdings die Frage, ob Le Pen vielleicht sogar ins Gefängnis muss. Denn auch eine Haftzeit haben die Staatsanwälte sich für sie ausgedacht: eine fünfjährige Haftstrafe, davon zwei Jahre ohne Bewährung. Hinzu kommen 300.000 Euro persönliche Strafzahlung. Die politische Karriere Le Pens wäre mutmaßlich zu Ende.

Das Originellste an den Forderungen der Staatsanwaltschaft ist aber: Die Strafen gegen Le Pen sollen sofort vollstreckt werden, unabhängig davon, ob die Verteidigung Einspruch einlegt und in Revision geht. Normalerweise werden Urteile erst rechtskräftig, wenn die letzte angerufene Instanz entschieden hat. In diesem Fall soll es anders sein. Wie soll man das anders als politisch deuten? Nach der Vertagung sagte Le Pen der Presse: „Es ist klar, dass das Einzige, was die Staatsanwälte wollen, der Ausschluss Marine Le Pens vom politischen Leben ist.“ Es ist bezeichnend, dass Le Pen hier von sich selbst in der dritten Person spricht. Sie hat über den Tellerrand geschaut und das politische Nichts gesehen.

Korruption in der EU ist weder etwas Neues noch Altes

Zu Beginn des Prozesses hatte sich Le Pen siegesgewiss gegeben. „Wir haben keine Regel verletzt, weder eine politische noch eine regulatorische“, sagte sie Ende September. Aber selbst wenn das Rassemblement und Le Pen persönlich hier in den Jahren 2004 bis 2016 Fehler gemacht haben sollten, wären die nun vorgeschlagenen Strafen ziemlich unerhört im eigentlichen Wortsinne. Dass Politiker für ihr Handeln auch vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, ist äußerst selten. Hier sollen nun in gewisser Hinsicht lässliche Verfehlungen des Rassemblement – inwiefern ist nun wirklich die Partei etwas von der Fraktion Verschiedenes? – zu einer Höchststrafe herangezogen werden, mit wie gesagt durchsichtiger Motivation.

Und dabei ist Korruption – wie gesagt – nichts Neues und auch nichts Altes im EU-Parlament. Erst vor zwei Wochen wurden Büros der EVP-Fraktion auf Anfrage der Europäischen Staatsanwaltschaft durchsucht, und auch hier geht es um den möglichen Missbrauch von EU-Geldern. Aber auf die eine Nachricht folgte kein Nachklapp. Die „europäischen“ EU-Staatsanwälte hüllen sich in Schweigen, wollen nicht einmal die Namen der Verdächtigen nennen. Und so kann die EVP-Fraktion ihre Hände in Unschuld waschen: Kein Strafverfolgungsbehörde sei an die Fraktion herangetreten – bis auf jene winzige Durchsuchung in einigen EVP-Büros scheint nichts passiert zu sein. Man darf nun auf die juristische Verwertung der Erkenntnisse warten – vielleicht noch sehr lange. Aber vielleicht kommt auch hier der Tag, an dem eine interessierte Justiz es der EVP-Fraktion heimzahlen will. Man weiß es nicht vorher.

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