Tichys Einblick
Pandemische Fragen

In Dänemark fallen die Masken – die Briten bangen um die Sommeröffnung

In Dänemark ist die allgemeine Maskenpflicht vorüber. Die Dänen können die alte Normalität teils noch gar nicht fassen, werden sich aber sicher bald wieder an sie gewöhnen. In Großbritannien wurde derweil klarer, wie das Land in den Lockdown geriet. In Deutschland bleibt sogar die Sommeröffnung halbherzig. Einige Gedanken zu pandemischer »Notlage« und Normalität.

From 15th of June face masks only required in public transport , no more face mask in shops and other places in Denmark.

IMAGO / Dean Pictures

Seit dem Montag gehört der allgegenwärtige Mund-Nasen-Schutz in Dänemark der Vergangenheit an. Beim Einkaufen, im Restaurant, an Bahnhöfen und in anderen öffentlichen Gebäuden müssen die Dänen sich künftig nicht mehr maskieren. Die einzige Ausnahme mutet etwas kurios an, ist aber immerhin für alle gleich und gerecht: Wer im öffentlichen Verkehr einen Stehplatz einnimmt, muss weiterhin eine Maske tragen. Das kann man als Mittel gegen überfüllte Busse und Bahnen auffassen. Daneben verschwinden Masken aus dem öffentlichen Leben des Landes. Sie kommen natürlich weiterhin im Gesundheitssystem zum Einsatz.

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Die Regierung geht damit über die Empfehlungen der Gesundheitsbehörden hinaus. Als Hauptgrund gilt – neben den Impfungen – etwas, das es hierzulande kaum mehr gibt: eine optimistische Prognose, nämlich die, dass es in Kürze aufgrund des warmen Wetters und der Schulferien zu einem weiteren Rückgang der Infektionen kommen werde. »Wir haben Masken immer als Ergänzung, nicht als Ersatz für andere Maßnahmen angesehen«, sagte der Direktor der dänischen Gesundheitsbehörde Søren Brostrøm. Dänemark war wahrlich nicht das freizügigste Land im Umgang mit der Pandemie, doch heute scheint es sich dem Nachbarn Schweden anzugleichen.

Nun sind Masken nicht alles, sie sind aber als »öffentliches Zeichen« der Pandemie ein wichtiges Kommunikationsmittel für die Regierenden. Der Kommentator vom Nordschleswiger kann das Neue unter dem Titel »Masken-Fall« noch gar nicht nicht recht fassen, meint aber am Ende, dass es für viele Menschen eine Erleichterung sein wird. Er fragt dennoch, und nicht ohne Recht: »Wie kann Dänemark bei einer Inzidenz von 170 in Kopenhagen die Maske fallen lassen und Flensburg mit 5,5 (noch) nicht?«

Liegt die Antwort im dänischen »Gemeinschaftssinn« und der gezeigten Disziplin? Von beiden hätten die Deutschen – geht man nur nach dem Inzidenzwert – mehr gezeigt. Doch belohnt werden sie anscheinend noch immer nicht. Stattdessen schürt eine Bundeskanzlerin die Angst vor der neuesten Virusvariante. Sie vergisst nur diesmal, das normale Geschehen gleich noch als »neue Pandemie« zu bezeichnen.

Blick nach Großbritannien: Wie gerät man in einen Lockdown?

In Großbritannien, wo diese »indische« oder Delta-Variante inzwischen dominiert, ergab sich keine Zunahme der Hospitalisierungen. Sie waren Anfang Juni niedriger als in sämtlichen fünf Berechnungsvarianten des nationalen Beratungsgremiums SAGE. Auch ansteigende Inzidenzen ändern daran nichts mehr. »Covid verliert seinen Stachel«, heißt es dazu im konservativen Wochenmagazin Spectator. Am 3. Juni nahmen Covid-Patienten noch knapp vier Prozent der Intensivbetten ein. Insgesamt waren in England an diesem Tag 779 Patienten mit der Diagnose Covid in einem Krankenhaus. Leider argumentiert sogar die angesehene Times immer noch mit einer Infektionsinzidenz, die längst jeden Zusammenhang mit den Hospitalisierungen verloren hat. In Deutschland gibt es inzwischen ohnehin große Zweifel an Aussagekraft und Verlässlichkeit des DIVI-Registers – doch folgt daraus noch etwas?

Insgesamt ist der Umgang mit der Verbreitung eines neuen Virentyps vielleicht notwendigerweise von zwei oder drei Tendenzen geprägt, die in ihrer zeitlichen Abfolge so beschrieben werden können:

  1. Verkennung der besonderen, etwa von der normalen Grippe verschiedenen Gefahr und der Notwendigkeit spezieller Vorkehrungen (spezielle Pandemiepläne wie in Südostasien, Anschaffung von Schutzkleidung für den Gesundheitssektor, Aussetzen von Flugverbindungen, Grenzkontrollen mit basalen Gesundheitschecks),
  2. Kompensation des anfänglichen Unvorbereitetseins durch extreme Maßnahmen, die nun nicht mehr spezifisch sind, sondern die Gesellschaft als Ganzes treffen,
  3. ein Ausgleich zwischen den beiden genannten Tendenzen, also der fehlenden und der übertriebenen Vorsicht.

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Für die britische Regierung machte diesen Zusammenhang nun der abtrünnige Berater Dominic Cummings deutlich, der Abgeordneten des Unterhauses sieben Stunden lang Rede und Antwort stand. Nach Cummings befolgte Johnson anfangs – in seiner lockdown-unwilligen Phase – durchaus buchstabengetreu den Rat der Wissenschaftler, die damals auch öffentlich verkündeten, dass die Schließung von Wirtschaft und Gesellschaft keinen Nutzen bei der Bekämpfung der Viruserkrankung hätte. Das Virus, so der Expertenrat von damals, konnte weder unterdrückt noch eliminiert werden.

Nach einem Jahr sind wir ungefähr genauso schlau – oder könnten es zumindest sein, wenn nicht die vergangenen Monate für Europa voller Lockdown-Politiken gewesen wären und deutliche Spuren in unserem Denken hinterlassen hätten. Die Ideen geschlossener Ladenzeilen, Gaststätten und Theater, von Reisebeschränkungen oder gar eines anhaltenden Ausgangsverbots sind dadurch salonfähig geworden. Niemand wundert sich mehr über den Verlust der alten Freiheiten. So wenig, dass es auch im Hochsommer bei minimaler Inzidenz keinen Aufschrei gibt, wenn die Kanzlerin behauptet, man müsse immer noch vorsichtig sein.

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Cummings war Lockdown-Befürworter und kritisiert die Handlungsweise der britischen Regierung: »Es war ein klassisches Beispiel von Gruppendenken in Aktion.« Je mehr Angriffe von außen kamen, desto mehr sagte sich der innere Kreis: »Die Menschen verstehen das nicht, sie haben keinen Zugang zu unseren Informationen.« Cummings’ Punkt lässt sich auf jede Art von »group think« anwenden, ob es nun maßnahmen-freundlich oder darin eher zurückhaltend ist.

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Gwyn Nissen vom Nordschleswiger ist sicher: Auch in Deutschland werden die Masken fallen – »es ist nur eine Frage der Zeit« und der nationalen Strategie, die in jedem Land anders sei. Gut, dass unsere großmächtige Kanzlerin und Ministerpräsidentenkonferenz-Nichtvorsitzende für uns alle beschlossen hat, wie die deutsche Strategie aussehen soll.

Doch auch Boris Johnson gehört seit geraumer Zeit zum »Team Vorsicht« und lässt sich von nun zweifelhaft gewordenem Rat leiten. Nun hängt die große, definitive Öffnung vom 21. Juni am seidenen Faden. Anscheinend hat man sich auch in London einer Zero-Covid-Strategie verschrieben – vielleicht im Sinne der neuen Virologen und Epidemiologen, aber wo bleibt eigentlich der Fachverstand von Ökonomen und Armutsforschern an der Stelle? Die Einbußen dürften enorm werden, wenn es noch lange so weiter geht. Das einflussreiche »1922 Comittee« der konservativen Hinterbänkler merkt richtig an: »Wenn man Einschränkungen nicht im Hochsommer aufheben kann, dann kann man fast sicher sein, dass diese Einschränkungen bleiben werden und im Winter noch verschärft werden.«

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