Tichys Einblick
Ungarns Premier so bedrängt wie nie

Orbán unter Druck

Sofern Ungarns Ministerpräsident Orbán es genießt, sich aus schwierigen Lagen herauskämpfen zu müssen, dürfte er jetzt aufleben: Seit 2010 war er noch nie mit so massiven Problemen konfrontiert wie jetzt.

IMAGO / Belga

Viktor Orbán hat schon viele fast aussichtslos scheinende Kämpfe gewonnen. So bedrängt wie jetzt war er aber vielleicht noch nie. Staatspräsidentin Katalin Novák musste als Folge ihrer umstrittenen Begnadigung eines Mannes, der wegen Beihilfe zur Pädophilie verurteilt war, zurücktreten. Judit Varga, die dies als damalige Justizministerin mit unterschrieben hatte, hat sich nun aus der Politik zurückgezogen, und ihr Parlamentsmandat abgegeben. Beide waren wichtige Figuren, vorzeigbar, moderat, die Orbán über Jahre hinweg sorgfältig als Hoffnungsträger aufgebaut hatte.

Sein langjähriger Vertrauter und Seelsorger, der einstige Minister und heutige reformierte Bischof Zoltán Balog, steht ebenfalls unter Druck. Regierungskritische Medien behaupten, er sei es gewesen, der Frau Novák überredet habe, die Begnadigung auszusprechen (der Begnadigte, so heißt es, war in der reformierten Kirche gut vernetzt). Dieselben Medien behaupten auch, Orbán betrachte Balog als mitverantwotlich für den Skandal.

Balog selbst stand den Kirchenoberen am Dienstag fünf Stunden lang persönlich Rede und Antwort. Anschließend gab es eine Abstimmung, bei der ihm die Bischöfe das Vertrauen aussprachen. Balog selbst räumte ein, er habe tatsächlich die Begnadigung befürwortet, das sei ein „Fehler” gewesen – aber nicht er habe letztlich die Entscheidung getroffen. Er bleibt demnach Oberhaupt der reformierten Kirche. Und Orbán sprach ihm indirekt ebenfalls das Vertrauen aus: Er vertraue als Christ und Mitglied der reformierten Kirche der Entscheidung der Kirchenoberen. Dennoch: Balogs bislang unbeschädigter Ruf dürfte durch die Affäre gelitten haben.

Novák, Varga, Balog: Das waren bislang drei zentrale, in Ungarn hochangesehene Figuren des bürgerlichen Lagers. Ihr Verlust ist auch ein großer Verlust an politischem Kapital.

So weit, so schlecht für die Regierungspartei, die in wenigen Monaten sowohl die EU-Wahl als auch Kommunalwahlen gewinnen möchte. Da geht es vor allem um Budapest – vielleicht hätte Fidesz eine Chance, die Hauptstadt zurückzugewinnen, aber der Skandal hilft dabei nicht. Immerhin: Um die Macht muss Orbán vorerst wohl nicht bangen. So groß der Schlamassel auch sein mag, die zersplitterte und zerstrittene Opposition stellt für die meisten bisherigen Orbán-Wähler wohl keine Alternative dar. Denkbar aber, dass manche von Fidesz abwandern zur radikal rechten neuen Partei „Mi Hazánk“. Sie ist in den Umfragen gegenwärtig die zweitstärkste Oppositionspartei.

Zu allem Überfluss meldet sich nun auch die Generation Internet zu Wort: Neun trendige Influencer haben für den 16. Februar zu einer Demonstration gegen die Regierung aufgerufen. Allein einer von ihnen, ein Sänger mit dem Künstlernamen „Azariah“, füllte kürzlich dreimal nacheinander Budapests größtes Fußballstadion. Diese Persönlichkeiten sprechen vermutlich zwar nur jene urbanen Segmente der Gesellschaft an, die sowieso nie Fidesz wählen würden. Dennoch können sie den regierungskritischen Teil der Bevölkerung potenziell weit effektiver mobilisieren als alle Oppositionsparteien zusammengerechnet.

Derweil schrieb ein prominenter regierungsfreundlicher Publizist, Zsolt Bayer, dass man die Unterstützung für Orbán demnächst unter Umständen auch „auf den Straßen” zeigen müsse. Er hat in der Vergangenheit große Solidaritätsdemonstrationen zugunsten der Regierung organisiert.

In diesem politischen Chaos ist eine treibende Kraft ein Mann, von dem in Deutschland noch nie jemand etwas gehört hat. Er heißt Péter Magyar und ist der Ex-Ehemann von Ex-Justizministerin Judit Varga. Erst trennten sie sich, dann kamen sie wieder zusammen, dann kam doch die Scheidung. Warum, ist nicht öffentlich bekannt. Aber da Magyar kurz nach der Trennung Fotos auf Facebook postete, wonach er die wahre Liebe gefunden habe mit einer jungen Schönheit, kann man sich ungefähr vorstellen, was da gelaufen sein mag. Er scheint ein etwas impulsiver Typ zu sein. Der Autor dieser Zeilen kennt zumindest eine frühere Mitarbeiterin der Justizministerin, die deswegen kündigte, weil – ihr zufolge – Magyar oft ungefragt ins Ministerium kam und sich ebenso ungefragt in die Arbeit einmischte.

Dieser Mann war sein ganzes professionelles Leben hindurch ein „Golden Boy”: begabt, intelligent, gut vernetzt, und immer gut versorgt mit hoch dotierten Posten im Dunstkreis der Regierung. Nun aber hat er nach eigenen Angaben alle diese Jobs gekündigt und zieht Tag für Tag öffentlich gegen die Regierung vom Leder. Er nennt sich selbst konservativ, aber regierungskritische Medien feiern ihn wie einen Rockstar.

Er sagt unter anderem, dass Varga die Begnadigung nicht unterstützt hatte, aber dennoch gegenzeichnete, nachdem Novák sie unterschrieben hatte. Vor allem aber suggeriert er, dass Orbáns Kabinettschef und Kommunikationskoordinator Antal Rogán viel Dreck am Stecken und viel Geld dubioser Herkunft hat.

Die zentrale Frage ist, ob Magyar nur daherredet, oder auch etwas belegen kann. Und auch, ob er sich bei all dem mit Varga abgestimmt hat (das wäre wirklich brisant) oder einfach nur aus irgendeiner Gefühlsregung her auf die Barrikaden steigt. Einem Medienbericht zufolge sollte er zumindest in einem seiner Jobs sowieso abgehalftert werden.

Noch eine wichtige Frage: Falls es kein Impuls ist, ist es dann Kalkül? Rechnet sich der Mann, der bisher immer opportunistisch vom System profitierte, gute Chancen aus, jenes nun zu sprengen, und am Ende als Held dazustehen?

Fragen über Fragen.

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