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Worum es Orbán bei Scholz ging

Am Freitag trafen sich Olaf Scholz und Viktor Orbán zum Gespräch. Orbán sieht Scholz als jemanden, „der eigentlich weiss, was gut wäre für Deutschland, es aber nicht tun kann”. Kann sein, dass Scholz es ähnlich sieht.

picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Am vergangenen Mittwoch saßen ein namhafter deutscher und ein ungarischer Kenner der deutsch-ungarischen Beziehungen beisammen. Man hatte – im Kreise weiterer Kollegen – das Fussballspiel Deutschland-Ungarn gesehen und der Ungar gab zu verstehen, dass man gewonnen habe – an Erfahrung. „Die Deutschen haben nur zwei Tore geschossen.”

Dann aber: „Was meinst Du, worüber werden Scholz und Orbán am Freitag sprechen?” Der Deutsche überlegte kurz. „Ich weiss gar nicht, ob es derzeit überhaupt ein Thema gibt, über das man verhandeln müsste”, sagte er.

Wie Orbán über Scholz denkt, das sagte er diesem Reporter vor etwas mehr als einem Jahr: „ich glaube, er weiss, was gut wäre für Deutschland, nur kann er es nicht tun”. Das mag Scholz ähnlich sehen, behangen mit zwei widerspenstigen Koalitionspartnern und in der Wählergunst, um Günter Wallraff zu zitieren, „ganz unten”. Dass er aber weiß, was gut wäre, das war einmal mehr vor der Verabschiedung des neuesten EU-Sanktionspakets gegen Russland zu spüren. Da waren sowohl Ungarn als auch Deutschland gegen eine Sanktionierung von russischem Gas. Am Ende wurde dann ein verwässerter Kompromiss gefunden, das übliche Spiel. Scholz betonte – und das war ein Orbán-Evergreen – dass man dabei auch an die eigene Wirtschaft denken müsse.

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Nichts zu verhandeln, nun, ganz so ist es nicht – Ungarn übernimmt am 1. Juli die Ratspräsidentschaft, und da wird man das eine oder andere technische Detail noch einmal besprochen haben. Die deutschen Medien – etwa Philip Fritz von der „Welt” schienen auch etwas ratlos: Scholz, so hieß es, werde Orbán sicher noch einmal gemahnt haben, die EU-Präsidentschaft nicht zu mißbrauchen, um ungarische Interessen zu vertreten, und Orbán werde ihm sicher versprochen haben, so etwas nicht vorzuhaben.

Ganz so lief das Gespräch nicht. Beide Seiten haben im Vorfeld stets Kontakt gehalten, in Berlin weiß man genau, wie sich Budapest die Sache vorstellt. Noch nie in der Geschichte der EU hat ein Land vor Beginn seiner turnusmäßigen Präsidentschaft so intensive Konsultationen mit den Partnern geführt wie jetzt Ungarn. 250 Gespräche kamen da zusammen. Da zeigt sich wohl auch, dass Orbán der bei weitem dienstälteste Regierungschef in der EU ist (seit 2010, aber auch 1998-2002 regierte er bereits).

Viel Klärungsbedarf dürfte also nicht mehr bestehen. Umso mehr gab es Gesprächsbedarf zu den Wirtschaftsbeziehungen, die an sich sehr gut sind. Aber in Ungarn macht man sich Sorgen um die Schwäche der Deutschen: Hohe Energiepreise in Deutschland und fortschreitende Deindustrialisierung treffen potentiell auch den ungarischen Export nach Deutschland.

Die deutsche Autoindustrie genießt in Ungarn große Privilegien. Orbán betonte nach dem Treffen, Ungarn sei eines von nur drei Ländern, in denen alle drei großen deutschen Autobauer präsent sind. Nun aber finde eine technologische Transformation in der Branche statt – es sei wichtig, dass man diesen Wandel gemeinsam meistere.

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„Wettbewerbsfähigkeit” ist denn auch der stärkste Fokus der ungarischen Präsidentschaft. 2011 hatte man den Ratsvorsitz bereits einmal inne, auch damals unter Orbán. Damals gelangen zwei Bravour-Leistungen: Entgegen aller Erwartungen schaffte man es, den kroatischen EU-Beitritt unter Dach und Fach zu bringen, und es wurde eine Inklusionsstrategie für Roma verabschiedet, die von der EU als beispielhaft für alle Mitgliedsländer gepriesen wurde.

Diesmal möchte Ungarn als größte Leistung dieser Präsidentschaft einen europäischen „Deal” zur Wettbewerbsfähigkeit unter Dach und Fach bringen. Auch darum ging es bei Scholz. Desweiteren bleibt die EU-Erweiterung eine Priorität. Auf dem Gebiet ist Ungarn seit Jahren ein Champion der Aufnahme begehrenden Westbalkan-Länder.

Die größte bilaterale deutsch-ungarische Erfolgsgeschichte kennt eigentlich niemand, weil sie in den Medien nicht vorkommt: Die militärische Zusammenarbeit. Rheinmetall baut in Ungarn Lynx-Kampffahrzeuge, es gibt eine Reihe weiterer Rüstungsinvestitionen, Ungarn hat Leopard-Panzer, Panzerhaubitzen 2000, Airbus-Kampfhubschrauber und anderes Material gekauft. Deutsche Soldaten bilden die ungarischen Kollegen an diesen Systemen aus. Ergebnis: „Die Interoperabilität zwischen den deutschen und ungarischen Streitkräften ist besser als mit irgendeinem anderen Partner in Europa”, sagt ein ranghoher deutscher Kenner der Materie. Mit anderen Worten: Diese Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern ist ein Vorbild für ganz Europa, wenn man angesichts der russischen Aggression in der Ukraine die Wehrfähigkeit und militärische Zusammenarbeit in der EU verbessern will. „Eine europäische Armee wird Fiktion bleiben”, meint der Experte. „Aber Interoperabilität, das ist das, was wir eigentlich strategisch forcieren müssen.”

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Was die ungarische Staatspräsidentschaft betrifft, da haben sowohl Orbáns Hauptberater und Namensvetter Balázs Orbán, Europa-Minister János Boka und Regierungssprecher Zoltán Kovács, der das ungarische EU-Programm mit koordiniert, konsequent erklärt, wohin die Reise geht: Ungarn will im Sinne seiner europäischen Pflichten ein „honest broker”, also „ehrlicher Vermittler“ sein. Daneben gibt es sieben Hauptthemen, von denen vier Vorrang haben: Wettbewerbsfähigkeit (Top-Thema!) militärische Zusammenarbeit vor dem Hintergrund des Ukraine Krieges (leuchtendes Beispiel ist da die fast perfekte Interoperabilität der ungarischen und deutschen Streitkräfte) sowie Osterweiterung und Migration (effektiver Grenzschutz).

Zu Osterweiterung eine Fußnote: Ungarn hat zwar Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zugestimmt, hält deren beschleunigten Beitritt aber für wenig empfehlenswert. Vorrang gibt man Georgien, Moldova und den seit ewigen Jahren nach einem Beitritt schmachtenden Ländern des Westbalkan.

Bei alldem ist kein einziges Thema, das man als ein „Kapern” der EU-Präsidentschaft für nationale Zwecke interpretieren könnte. Allerdings fehlen auch Themen, die EU-Integrationisten wichtig sind. Unter ungarischer Führung wird man zentralisierende EU-Reformen wie eine Abschaffung des Veto-Rechts nicht voranbringen.

Freilich wäre Orbán nicht Orbán, wenn er die Ratspräsidentschaft nicht für ein wenig Rampenlicht nutzen würde: Als Motto für diese sechs Monate wählte man, in Anlehnung an Donald Trump: „Make Europe Great Again” (MEGA). Und nach dem Treffen mit Scholz erlaubte er sich einen indirekten Hinweis auf ein in Deutschland sehr beliebtes Lied, das aber behördlich als Volksverhetzung gilt: „Europa den Europäern”.

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