In einem ist die Iberische Halbinsel sich einig, von der Algarve bis nach Katalonien: Europa muss dem Süden Europas jetzt helfen und darf dabei nicht dieselben harten Bandagen anlegen wie in 2008. In einem Gastbeitrag in der FAZ schrieb der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez: „Europa muss eine Kriegswirtschaft auf die Beine stellen.“ Er, der schon den „Green Deal“ mit anstiess, will nun einen neuen „Marshall-Plan“. Da ist es günstig, dass das Virus in einem Moment kam, wo die Welt bereits auf dem Weg in eine Rezession war. Mit neuem Geld kann damit jetzt auch vieles gerettet werden, was bereits morsch war. Die Grünen im Europaparlament unterstützen sein Vorhaben voller Inbrunst und die sonst dem Sozialdemokraten Sánchez sehr kritisch gegenüber stehende rechtsliberale Partei Ciudadanos auch. Sie hat einen Brief an den niederländischen Premier geschrieben und darin deutlich gemacht, dass man nicht verstehe, wie dort Corona-Anleihen als „ein moralisches Risiko“ angesehen werden, wo in Spanien und Italien immer noch täglich Hunderte von Menschen stürben.
Spaniens Regierung will neue Sozialpolitik finanzieren
Im Norden Europas wird Spaniens Vorgehen und Verärgerung über Europa natürlich ganz anders bewertet. Da wünschen sich nicht nur die meisten Niederländer noch härtere Bandagen angesichts der hohen und nun weiter steigenden Verschuldung der südlichen Länder. Und mit den Rettungsaktionen für Griechenland, Zypern, Portugal und Spanien wuchs die Ablehnung gegenüber der EU durch das Gefühl, dafür bezahlen zu müssen, dass andere nicht mit Geld umgehen können. Im Süden hingegen entwickelten sich in den vergangenen Jahren seit der Finanzkrise und den damit verbundenen Sozialkürzungen rechts und links extreme Strömungen, die auf Konfrontation mit Angela Merkel gingen. Peter Nahmias von der EAE Business School in Madrid warnt jedoch, dass es bei den aktuellen Hilfen nicht um „charity“ ginge, „sondern um den Schutz des europäischen Projekts“. Das Coronavirus sei nicht das einzige Problem, das mit Eurobonds finanziert werden sollte, sondern auch der Flüchtlingsstrom und der Klimawandel. Aber wohl auch marode Wirtschaftsstrukturen, befürchten so manche Ökonomen im Norden.
Nun kommt der Spexit ins Gespräch, auch dank der Katalanen
Die neue kritische spanische Sichtweise auf Europa wurde aber nicht nur durch Covid-19 geprägt, sondern auch aufgrund der Position Europas zur Katalonien-Frage und der kassierten spanischen Gerichtsurteile für die Separatisten-Führer. Der Europäische Gerichtshof hatte im Dezember die Immunität des EU-Abgeordneten Oriol Junqueras anerkannt, der als einer der Drahtzieher des illegalen Referendums über die Unabhänigkeit der Region am 1. Oktober 2017 gilt, und damit die spanische Justiz unter Druck gesetzt. Auch die zugelassene politische Aktivität des noch in Belgien verweilenden „Rädelsführers“ Carles Puigdemont als Vertreter Spaniens im europäischen Parlament, ist Spanien bitter aufgestossen. Schon im Dezember 2019 entstand daraufhin die Plattform „#Spexit“. Im gleichen Monat spekulierte die angesehene katalanische Zeitung La Vanguardia darüber, was passieren würde, wenn Spanien tatsächlich aus der EU aussteige und befragte 5400 Leser, ob sie dafür wären. 46% sagten Ja. Diese Frage war zuvor noch nie gestellt worden.
2012, als Spaniens Banken und Sparkassen gerettet werden mussten, nickte der damalige konservative Premier Mariano Rajoy alles brav ab, was Angela Merkel von ihm forderte. Spanien war Deutschlands Schatten in Brüssel und schulterte alle Entscheidungen als Dank für den Schutzschirm. In Italien und Portugal dagegen wuchs schon damals der Hass auf Merkel und Europa, auch wenn heute viele anerkennen, dass der auferlegte Austeritätskurs den Ländern gut getan hat, Spanien ganz vorne weg. Das jetzt erneut ein Schutzschirm mit harten Auflagen über das Land gelegt werden soll, ist für Sánchez, aber vor allem für seinen linksextremen Vize Pablo Iglesias nicht zu ertragen, der Deutschland zum Feindbild hochstilisiert hat. Seine Partei UnidosPodemos (zusammen können wir) zeigt sich in der vergangenen Finanzkrise bereits wenig pro-europäisch.
Holland in Not und Merkel im Kreuzfeuer
Der portugiesische Ministerpräsident António Costa, der sein Land nach einem harten Aufschlag nach der Finanzkrise vor allem durch eine kreative Fiskalpolitik wieder nach vorne gebracht hat, warnt: „Hier geht es um Menschenleben. Wenn Europa jetzt nicht macht, was es machen muss, dann hat dieser Bund keinen Sinn mehr“. Bei Geld hört die Freundschaft auf, aber mit Geld kann man sich auch einiges erkaufen. So zeigt sich die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, welche die Mühlen von Brüssel sehr gut kennt, in diesen Tagen bereits weniger ablehnend angesichts möglicher Hilfen in Höhe von 240 Mrd. Euro für alle EU-Länder und weiteren 200 Mrd. von der Europäischen Investitionsbank. Elliot Hentov, Leiter des Policy Research EMEA bei State Street Global Advisors, sieht eine ähnliche Zerrissenheit wie vor 12 Jahren: „Es gibt Meinungsverschiedenheiten über Eurobonds und die Verwendung einer neuen Kreditlinie mit dem European Stability Mechanism, aber die EZB handelt bereits nach dem Motto „whatever it takes“ und kauft Staatsanleihen“.