In East Palestine, Ohio, starb der Journalismus – wieder einmal. Am 3. Februar entgleiste ein Zug im Grenzgebiet der US-Bundesstaaten Ohio und Pennsylvania. Chemikalien traten aus mehreren Wagons aus, wegen ihrer Gefährlichkeit mussten Spezialisten diese kontrolliert abbrennen lassen. Eine riesige schwarze Wolke stieg über der Gegend auf, auch über Meilen roch es noch nach Chemikalien. Als die Menschen nach einer Evakuierung in ihre Häuser zurückkehrten, fanden sie bereits tote Tiere in der Umgebung.
Haustiere starben, Zuchttiere verendeten, die Anwohner litten unter Reizhusten, und in den Flüssen stauten sich tote Fische. Die Umweltbehörde EPA, die sonst bereits Alarm schlägt, wenn ein Dieselmotor zu viel Stickoxid ausstößt, sprach davon, dass keine Gefahr bestünde. Trotz Chemikaliengeruchs, trotz toter Tiere, trotz verfärbten Wassers.
Stattdessen fiel den Platzhirschen nichts anderes ein, als diejenigen, die das Geschehene darstellten und kritisierten, auch noch zu diffamieren. Die New York Times etwa hat nichts Besseres zu tun, als „rechten Kommentatoren“ zu unterstellen, sie wollten „Misstrauen“ schüren und das Vertrauen in die Regierung erschüttern. Es war der Sender Fox, der mit einigen Tagen Abstand zum ersten Mal breit und ausführlich über den Chemieunfall sprach. Was sollte dieses Ereignis angesichts der verbissenen Verschwiegenheit darüber anderes auslösen als „Misstrauen“ gegenüber der Regierung? Die Narrative kommen aus erst kürzlich durchgestandenen Krisen bekannt vor.
Weder Greta Thunberg noch Luisa Neubauer waren bisher vor Ort. Die „Neue Generation“ der Klimaschützer kann mit dem Ereignis wenig anfangen. Die Umweltverschmutzung, die sich vor den Augen abspielt, ist unbedeutend, verglichen mit der möglichen „Klimakatastrophe“ der Zukunft. Stattdessen meldete sich mit Erin Brokovich ein Urgestein zu Wort. Ein markantes Zeichen. Der Graben zwischen den Umweltschützern der 80er und 90er Jahre und den Klimaschützern der Firma „Hüpf&Kleb“ ist neuerlich einen Fußbreit gewachsen.
Auch für die US-Bundesregierung ist das Ereignis problematisch. Man darf davon ausgehen, dass ein republikanischer Präsident längst durch das Fegefeuer der Medien gehen müsste. Die Rückmeldung von US-Umweltproblemen dichtet man ja sonst nur in Naturschutzgebieten bohrenden Konzernen an, die im Zusammenhang der Bush- oder Trump-Administration stehen. Die Demokraten, die sich sonst ein grünes Image anheften, haben mit ihrer Ignoranz bewiesen, wie viel sie tatsächlich vom Umweltschutz halten.
Freilich: Die Zugentgleisung kann man kaum Joe Biden und seiner Regierung ankreiden, am ehesten noch der Infrastruktur in Ohio. Deren Schienennetz ist in einem teils kläglichen Zustand. Der Umgang mit der Katastrophe steht jedoch auf einem anderen Blatt. Die FEMA, die US-amerikanische Agentur für Katstrophenschutz, wird in Ohio nicht eingreifen. Der Unfall in East Palestine eigne sich nicht als „traditionelle Katastrophe“ wie etwa Hurricanes oder Tornados. Die Bundesbehörde hilft dem US-Bundesstaat nicht.
Einen ähnlichen bitteren Beigeschmack hinterlässt Transportminister Pete Buttigieg. Der hatte nicht nur tagelang zum Unglück und der Umweltverschmutzung geschwiegen. Er ignorierte es auch zu einem Zeitpunkt, als das Thema endlich in den Medien war. Stattdessen sprach der Demokrat über die „aufregende Zeit“, die Amerika wegen vieler Infrastrukturprojekte bevorstehe und preiste den anti-rassistischen „Transit Equity Day“.
Auch das ist eine Story: Es ist der republikanische Senator J. D. Vance, der sich derzeit als Aufklärer inszeniert, indes die Demokraten in Washington Däumchen drehen. Während die Einwohner fordern, Buttigieg solle die Gegend besuchen – und einige Medien schon seinen Rücktritt fordern –, zeigt Vance die Verschmutzung und macht sie öffentlich. Er spricht mit den Leuten vor Ort und stellt die Frage, warum das Gelände nicht dekontaminiert wurde. Und dann nimmt er direkten Bezug auf Brokovich: Wenn ein EPA-Vertreter vor Ort sei, soll er doch das Wasser trinken.
Es ist nur einer von vielen Nebenschauplätzen dieser Geschichte. Unheimlich an der Ohio-Story ist nicht allein die Möglichkeit, ein Thema zu zensieren und neuerliche Desinformation mitzuerleben. Es ist der Zynismus, mit dem Medien und Politik den Vertrauensvorschuss der Bevölkerung missbrauchen und sie in die offene Gefahr laufen lassen.
Gleich, wie schwer oder glimpflich die Katastrophe von East Palestine verläuft: Sie ist ein weiteres Kapitel darüber, wie Medien schweigen und die Politik die Bürger an der Nase herumführen will, so lange es geht. Und die NGOs, die sonst immer in der ersten Reihe stehen, wenn es um die moralische Anklage geht, ignorieren offenbar ein Thema, aus dem sie kein Kapital schlagen können. Plötzlich ist Umweltschutz kein linkes Thema mehr. Das ist nicht nur ein Desaster, sondern auch eine Chance.