Es ist ein fast frontaler Widerspruch zur Politik der deutschen Innenministerin. Der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) lässt seine Kritik zum Teil nur zwischen den Zeilen erkennen. So spricht er von der „Vertriebenenkrise“, die heute wieder die Schleusen der illegalen Migration in die EU geöffnet habe. Der Aktivierung der EU-Massenzustromrichtlinie hat freilich auch er im Rat zugestimmt, aber über deren Interpretation besteht durchaus Uneinigkeit zwischen zwei relativ ähnlichen Mitgliedsländern wie Deutschland und Österreich. So stellte sich die österreichische Bundesregierung zusammen mit anderen EU-Ländern der Region von Anfang an gegen die Aufnahme von Nicht-Ukrainern im Rahmen der Ukraine-Flucht.
Am 3. März hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) über Twitter mitgeteilt: „Auch Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gelebt haben, brauchen kein Asylverfahren zu durchlaufen.“ Dieser Satz und die Praxis, die aus ihm folgte, entfalten noch immer ihre fatale Wirkung. Schon zu Beginn war allen Fachleuten klar: Niemand würde in der Lage sein, die genannten Drittstaater aus der Ukraine sicher von Migranten zu unterscheiden, die sich ohnehin ständig auf dem Weg nach Westeuropa befinden. Gefälschte Papiere sind gang und gäbe auf diesem Markt und die Schleuser wendige Gesellen. Das Chaos der Ankunft, der unbedingte Wille zum Helfen, der in Deutschland in diesen Dingen so ausgeprägt ist, taten den Rest.
Die Nebenwirkungen des EU-Beschlusses ließen nicht auf sich warten
Der Satz von Nancy Faeser entsprach dabei genau der Eine-Welt-Rhetorik, die für viele linke Politiker heute – übrigens auch für eine Kanzlerin von gestern – zum täglichen Brot gehört. Wenn ein Ukrainer aus der Ukraine in der EU als Flüchtling Schutz erhält, dann soll, ja muss dasselbe auch für den Drittstaater gelten, der sich am 24. Februar zufällig in dem Land aufhielt (oder auch nicht). Unklar bleibt nur eins: die Logik hinter dieser Entscheidung. War denn ein afrikanischer „Student“ aus Kiew durch den Krieg plötzlich heimatlos geworden? Keineswegs. Er hätte sofort in sein Heimatland zurückkehren können, aus dem er ursprünglich angereist war. Praktiziert haben das junge Inder und auch einige Schwarzafrikaner. Die ungarische Regierung half gerne bei den Flügen.
Laut Frontex sind in der EU insgesamt sogar 1,8 Millionen Nicht-Ukrainer, jedoch angeblich aus der Ukraine, geflohen. Bei insgesamt 7,3 Millionen Flüchtlingen wäre das etwa ein Viertel aller Geflohenen oder „Vertriebenen“, wie man neuerdings nicht nur in Österreich gern sagt. Ein absurd hoher Anteil „ausländischer Studenten“ aus der Ukraine.
In Deutschland kennen wir unsere Pflicht zur Unterwerfung unter derlei Zeitläufte. Bei allen Arabern und Subsahara-Afrikanern, die es angeblich aus der Ukraine nach Deutschland schaffen, wird offenbar angenommen, sie hätten nicht die Chance gehabt, nach Hause zurückzukehren. Überprüft wird das von niemandem. Vielmehr wird ihnen sogar freigestellt im zweiten Schritt irgendwann einen Asylantrag zu stellen, wenn sie das für richtig halten.
Karner: Asylzentren in Drittstaaten, wenn alle zustimmen
Aber früh schon wurde klar, dass eben nicht alle Drittstaater aus dem Strom wirklich aus der Ukraine kamen. Viele sprachen keine der Landessprachen, konnten ihren Wohnort in dem weiten Land nicht angeben. Teils landeten ganze Busladungen an der bayerischen Grenze, in denen sich kaum eine ukrainische Mutter fand. Ähnliche Erfahrungen waren in Frankfurt und an Berliner Bahnhöfen (zumal am Zentralen Omnibusbahnhof) zu machen. Nach dem Asylmissbrauch kam der Missbrauch der unmittelbaren Kriegsflucht aus einem europäischen Land.
Und noch einmal widerspricht Karner seiner Amtskollegin Faeser, indem er sich gegen eine Verteilung von Asylbewerbern in der EU nach „Quote“ wendet. Quoten seien etwas für die Theorie, nicht für die Praxis. Etwas entgeistert fragt Christoph B. Schlitz in der Welt zurück: „Wie kommen Sie darauf?“ Doch Karner bleibt dabei: Automatische Quoten werde es mit Österreich nicht geben. „Quoten senden das Signal an die Migranten: Macht Euch ruhig auf den Weg, ihr werdet auf jeden Fall in einem EU-Land landen.“
Zu guter Letzt schloss Karner auch das britisch-dänische Modell einer „Verschickung“ der Asylbewerber in Drittstaaten nicht aus, in denen dann auch die Asylanträge geprüft werden könnten. Das Asyl würde Karner allerdings „in der EU“ gewähren. Außerdem wäre eine solche Lösung nur dann möglich, wenn „alle EU-Länder zustimmen“. Das sind sehr viele Wenns für eine praktikable Politik.
Türkis am Pranger: Generalsekretärin unterschied Kriegsflucht und Asylmissbrauch
Die türkis-grüne österreichische Regierung ist derzeit unter Beschuss wegen ihrer Stellung in der Asylpolitik. Kontrovers diskutiert wurde etwa ein Tweet der ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner, der in Deutschland zeitweilig nicht verfügbar war.
Angeblich wurde er „auf der Grundlage lokaler Gesetze zurückgehalten“, wie es der Twitter-Standardtext formulierte, der mehr Informationen unter einem klickbaren Link versprach. Allerdings erfuhr man auch dort nicht viel mehr, außer dass inzwischen viele Länder Gesetze besitzen, die Tweets und andere Inhalte inkriminieren. Offenbar war das ein Fall von „Overblocking“ nach dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das eigentlich Beschwerden über strafbare Inhalte managen soll. Erst am 2. Juni hatten die Justizminister der Länder unter Leitung Marco Buschmanns (FDP) dazu verabredet, „die Verantwortlichkeit der Betreiber sozialer Netzwerke für die Fälle besonders in den Blick zu nehmen, in denen trotz Kenntnis strafbarer Inhalte zumutbare zeitnahe Löschungs- oder Sperrmaßnahmen unterlassen werden“.
Nun, strafbar war Sachslehners Aussage wohl kaum. Insofern fragt sich, wie Twitter darauf kam, sie seinen Lesern vorzuenthalten. Offenbar muss es auch immer einen Intervenienten geben, egal ob staatlich oder privat, der eine solche Löschung veranlasst. Die Frage ist, ob abweichende Meinungen vielleicht auch manchmal unter das fallen, was in Deutschland kursorisch „Hass und Hetze“ genannt wird.
Sachslehner hatte jedenfalls weitgehend kommentarlos die Fakten referiert. Ganz genau wurden von Januar bis April dieses Jahres 15.999 Asylanträge in Österreich gestellt. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt (+138 Prozent). Der Asylbericht dieses Jahres zeichne ein „erschreckendes Bild“, erklärte Sachslehner gegenüber TE. Bisher seien in diesem Jahr schon mehr Asylanträge gestellt worden als im gesamten Jahr 2020, die meisten – fast die Hälfte – von Menschen aus Afghanistan und Syrien. Sachslehner deutet die Zahlen als „Warnsignal“. Unter den Antragstellern sind 9.880 Männer, aber nur 1.325 Frauen, wie eine Graphik nach Zahlen des Innenministeriums verdeutlicht.
Ebenfalls sachlich zutreffend hatte die Generalsekretärin bemerkt, dass Österreich „an der pro Kopf zweithöchsten Belastung durch Asylanträge in der EU“ leide. Das Land wird darin nur vom kleinen Zypern geschlagen, das eine schwierige Landgrenze mit dem türkisch besetzten Norden halten muss. Sachslehner forderte „effektiven Außengrenzschutz“ mit „lückenlosen Kontrollen“ an den EU-Außengrenzen. Dagegen sei die „Nachbarschaftshilfe für die Ukraine“, also die Aufnahme von echten Kriegsflüchtlingen aus dem EU-Nachbarland, notwendig, so ein Folgetweet der Generalsekretärin. Diese Gedankenverbindung reichte ihren Kritikern aus, um ihre Tweets als „rassistisch“ und „menschenverachtend“ zu bezeichnen.
Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, sprach von einer „offen rassistischen Polemik“, weil Sachslehner zwischen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und illegal einreisenden Asylmigranten unterscheidet. In Sachslehners Tweet stecke „viel Menschenverachtung“, tweetete der grüne Nationalratsabgeordnete Lukas Hammer mit unverhohlenem Moral-Tremolo. In Österreich haben die Gesellschaftsumkrempler im Gegensatz zu Deutschland noch viel Arbeit vor sich. Ein Grund könnte sein: Das Volk macht sich dort noch zu schnell hörbar. Und einige Parteien hören hin.