Tichys Einblick
NGO-Schiffe im Mittelmeer

Ocean Viking: Paris macht die Schotten dicht – und verlangt Anlandung in Italien

Nachdem Italien die Anlandung von drei Schiffen unter Bedingungen erlaubt hat, bleibt die „Ocean Viking“ ohne Hafen. Französische Politiker brachten Marseille ins Gespräch, doch die Pariser Regierung verweigert die Aufnahme. Meloni will eine Renaissance des Rechts in Italien – und wird dazu wohl die EU transformieren müssen.

Migranten an Bord der "Ocean Viking" mit Blick in Richtung Italien (Festland), 5.11.2022

IMAGO / Vincenzo Circosta

In Italien, aber auch darüber hinaus in der EU, ist ein Kulturkampf im Gange. Genauer: Die Entscheidungen der neuen Regierung in Rom setzen eine Auseinandersetzung in Gang, die im besten Fall zu einer Klärung der Verpflichtungen von Staaten und nichtstaatlichen Organisationen führen werden. Denn hier liegt im zentralen Mittelmeer noch einiges im Argen. Bis jetzt „verwalten“ die – häufig von deutschen Spendengeldern getragenen – Migrations-NGOs die Seegrenzen zwischen Nordafrika und der EU quasi nach Gutdünken. Sie pendeln zwischen einem Bereich in unmittelbarer Nähe der libyschen Küste und den südlichen Küsten Italiens, um illegale Migranten aus Nordafrika nach Europa zu bringen. Dabei berufen sich die NGOs auf ihre Verpflichtung zur Seenotrettung – eine Pflicht, die sie sich freilich geradezu willkürlich zulegen. Denn all die Schiffe und Offshore-Versorger mit meist deutscher oder auch einmal norwegischer Flagge kreisen nicht zufällig, wo sie kreisen.

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Der aktuelle Notenaustausch zwischen Rom, Brüssel und Paris – bald wird sich gewiss auch Berlin melden – bezeugt vor allem eins: Die Versprechen, zum Teil gegeben an berufenem Ort, dass Europa Schutz, ja einen „Schild“ braucht, wie Ursula von der Leyen am Evros ausrief, dass die EU-Außengrenzen besser geschützt werden sollen, wie es kürzlich noch Emmanuel Macron den Osteuropäern zuzusagen schien – alle diese Versprechen sind eigentlich nichtig, zerfallen vor der Gewohnheit offener, ungeschützter Außengrenzen, wie man sie Italien nicht weniger als Griechenland im Mittelmeer abverlangt.

Es war zu erwarten gewesen, man konnte darauf warten, dass die EU-Zentrale und ihre großen Unterstützer zum Gegensprung ansetzen, nachdem die neue italienische Regierung einen ersten Versuch gemacht hat, eine neue Periode des Außengrenzschutzes im zentralen Mittelmeer einzuleiten. Giorgia Meloni hat nun die Bereitschaft Frankreichs begrüßt, die Migranten auf der „Ocean Viking“ aufzunehmen.

In der Tat hat sich der sozialistische Bürgermeister von Marseille, Benoît Payan (44), dazu bereit erklärt, die Migranten des vor allem aus deutschen Spendengeldern finanzierten Schiffs aufzunehmen – auch wenn, wie er hinzufügte, diese Entscheidung natürlich bei der Regierung in Paris liege. Die Aufnahme sei nichtsdestoweniger „notwendig“, da es sich um Schiffbrüchige, Frauen und Kinder handle, die beinahe mit ihrem Boot untergegangen seien. Von ihnen könne man weder Papiere erwarten, noch dürfe man nach der Farbe ihrer Haut fragen. Für Payan geht es um ein „humanitäres Drama“. SOS Méditerranée, die NGO, die die „Ocean Viking“ betreibt, hat ihren offiziellen Sitz in Marseille.

Erst Zusage der französischen Regierung?

Am Dienstag hatte es laut Corriere della Sera gar eine Mitteilung aus Pariser Regierungskreisen (gegenüber der italienischen Agentur Ansa) gegeben, dass man sich auf die Öffnung des Hafens von Marseille vorbereite, um die Migranten dort als Asylbewerber zu registrieren. Matteo Salvini reagierte spontan: „Frankreich öffnet seine Häfen? Gut so, die Luft hat sich verändert.“

Neue Migrationspolitik
Italien: Flaggenstaaten sollen Migranten übernehmen
Doch einen Tag später will man davon in Paris nichts mehr wissen. Das Schiff befinde sich in italienischen Gewässern und müsse daher in Italien anlanden. Es gebe „europäische Regeln“, die in dieser Hinsicht sehr klar seien, sagte der Regierungssprecher Olivier Véran. Darüber hinaus handle es sich um ein Schiff mit Menschen, nicht einfach um ein „Migrantenschiff“, einige davon kämen „von sehr weit her“ und hätten „viele Meere vor dem Mittelmeer durchquert“.

Bedauerlich scheint nur, dass all diese Meere und Weltgegenden nicht so sicher waren wie das Auenland der EU. Weiterhin seien etwa fünfzig Kinder an Bord, und „wir werden diese Menschen auf keinen Fall dem geringsten Risiko aussetzen“, sagte der französische Regierungssprecher. Insgesamt ist die Stellungnahme ein Hohelied auf die schrankenlose Wünsch-dir-was-Zuwanderung.

Giorgia Meloni wies darauf hin, dass es sich bei den Personen an Bord der verschiedenen Schiffe nicht um Schiffbrüchige, sondern um gewöhnliche Migranten handele, die in internationalen Gewässern von anderen „Verbindungsschiffen“ an Bord gekommen seien. Meloni stellt damit klar, dass sie die NGOs als Vollender einer Einschleusungsoperation ansieht. Weiterhin sei „das Schiff, das sie übernommen hat, so ausgestattet, dass es sie aufnehmen und für alle ihre Bedürfnisse sorgen kann“.

„Alles ist erlaubt, solange die gesetzestreuen Italiener respektiert werden“

Und auch die Regeln will Meloni beachten, ja ihr Land zu einer Renaissance der Regeln und des Rechts führen: „Das Thema der Legalität betrachten wir als Markenzeichen dieser Regierung. Wir müssen zur Einhaltung der Regeln zurückkehren, und das gilt für alle Bereiche. Die Bananenrepublik, in der die Bürger schikaniert werden, die den Linken so gut gefällt, ist vorbei. Alles ist erlaubt, solange die Gesetze geachtet und die gesetzestreuen Italiener respektiert werden.“

Die deutschen und norwegischen Schiffe betrachtet die italienische Regierung laut Innenminister Piantedosi wie „Inseln“, für die die Flaggenstaaten zuständig sind. Justizminister Carlo Nordio (Fratelli d’Italia) präzisierte: „Der Dublin-Vertrag ist sehr eindeutig: Die Abwicklung [der Migranten] muss durch den Staat des ersten Zugangs erfolgen. Und wenn ein ausländisches Schiff in internationalen Gewässern Migranten aufnimmt, ist der Staat des ersten Zugangs der Flaggenstaat des Schiffes.“

Mit Spannung wird nun das erste Treffen von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson mit Innenminister Matteo Piantedosi erwartet. Bis dahin will sich Brüssel mit der öffentlichen Kommentierung der italienischen Politik zurückhalten. Die Kommissionssprecherin des Innenressorts hat allerdings die Anlandung der „Ocean Viking“ im nächstgelegenen Hafen gefordert. Das wäre nach Lage der Dinge ein italienischer, auch wenn die Schiffsbetreiber derzeit einen Nordkurs an der sizilianischen Küste vorbei, Richtung Sardinien und Korsika eingeschlagen haben. Das Schiff ist damit in internationalen Gewässern.

Dreiköpfige Familie zahlte 70.000 Dollar an die Schlepper

Ihre eigene ideologische Provenienz verraten die Kommissionssprecher durch den Schlusssatz ihres Statements, der im Stil einer Tatsachenfeststellung behauptet: „Nur ein angemessener, nachhaltiger Rahmen für die Migrationssteuerung auf EU-Ebene – in Form des Neuen Pakts zu Migration und Asyl – wird die strukturelle Lösung für diese Situationen bieten.“ Die aktuellen Ergebnisse innereuropäischer Diplomatie bieten leider keine Aussicht auf Lösung der Migrationsproblematik: Drei Schiffe durften in Italien anlegen, ein Teil der Passagiere durfte die Schiffe verlassen. Nach der „Humanity 1“, die am Sonntag 144 von 179 Migranten auf Sizilien entlassen durfte, folgte am Montag die „Rise Above“ mit 89 Passagieren, die in Reggio Calabria alle an Land gehen durften. Zuletzt konnte die „Geo Barents“ in Catania festmachen und einen Teil ihrer Insassen entlassen. Italien akzeptierte die Anlandung unter der Bedingung, dass Frankreich und Deutschland sich an der Aufnahme der Migranten beteiligen.

Für Unmut in einem Teil der italienischen Öffentlichkeit sorgte die Auswahl bestimmter Personen – Frauen, Kinder, Kranke –, die die Schiffe verlassen durften. Der Begriff „Selektion“ ist dazu geeignet, gewisse historische Erinnerungen zu wecken. Allerdings erwiderte Justizminister Nordio auf den Vorwurf: „Die Selektion der Migranten wird von den Schleusern vorgenommen. Diejenigen, die nach Italien kommen, können es sich leisten, zwei- bis fünftausend Euro an Organisationen zu zahlen.“ Und die Organisationen kann man auch als Schlepperringe bezeichnen.

Übrigens berichtete ein syrisches Ehepaar, das sich derzeit an Bord der „Ocean Viking“ befindet, von 70.000 Dollar Gesamtschlepperkosten für fünf Einreiseversuche seit dem Jahr 2020. Laut Corriere della sera ist er 32 Jahre alt, sie 22, zusammen haben sie eine fünfjährige Tochter. Für sie unternähmen sie diese Reise, sagte der Stoffhändler aus Damaskus, der seine Tochter angeblich nicht in einem Kriegsland aufwachsen lassen will. Aber zu denken ist in solchen Fällen auch stets an wirtschaftliche Gründe, die freilich in einem großen Teil der Presse nie eines Wortes gewürdigt werden.

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