Seit dem Überfall von Putins Russland auf die Ukraine ist oft die Rede davon, dass er sich sowohl über die Wehrhaftigkeit der Ukrainer als auch die Geschlossenheit der internationalen Reaktionen gegen ihn geirrt habe. Letzteres gilt allerdings nur für den klassischen Westen. Der steht tatsächlich geschlossen da, nicht nur mit der Nato und den anderen westlich gesinnten Verbündeten der USA. Auch die klassischen neutralen Staaten in Europa, Schweden, Schweiz, Österreich und Finnland beteiligen sich an den Sanktionen gegen Putins Russland.
Doch außerhalb der westlichen Länder (zu denen man auch Südkorea und Japan zählen kann) ist die Ablehnung gegen die russische Aggression alles andere als geschlossen, wie die jüngste Abstimmung in der UNO-Vollversammlung zeigte. Dort wurde die Resolution gegen Russland zwar mit einer großen Mehrheit angenommen, bei nur fünf Gegenstimmen (Russland, Weißrussland, Syrien, Nordkorea, Eritrea). Allerdings kommen die Enthaltungen beziehungsweise Nichtteilnahmen an der Abstimmung ausgerechnet von den bevölkerungsreichsten und bedeutendsten nichtwestlichen Staaten.
Darunter vor allem die Milliarden-Staaten China und Indien, aber auch das größte muslimische Land Pakistan. Und nicht zuletzt ausgerechnet die einzige funktionierende Demokratie des Nahen Ostens: Israel. Insofern scheint das Ergebnis von 141 von 195 Stimmen eindeutiger, als es ist, und Russlands Isolation ist jenseits Europas und des Westens keineswegs vollkommen. Vor allem die Rolle Chinas dürfte entschieden sein. Fraglich ist, ob Putin den Pekinger Machthaber Xi bei seinem letzten Besuch über sein Angriffsvorhaben informierte. Noch laviert Peking. Womöglich macht man dort seine weitere Haltung vom Kriegsverlauf abhängig.
Einerseits dürfte Peking weniger moralische Bedenken gegen Putins Invasion und deren Rechtfertigung haben, da China selbst den Anspruch erhebt, das de facto unabhängige Taiwan unter Umständen gewaltsam einzunehmen. Andererseits dürfte für China die Aussicht, bei einem zu engen Schulterschluss mit Moskau selbst zum Ziel westlicher Sanktionen zu werden, wenig verlockend sein. Russland ist als Absatzmarkt und Handelspartner deutlich weniger attraktiv als Westeuropa und die USA.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat sich für eine Vermittlung Chinas im Konflikt um die Ukraine ausgesprochen. „Es gibt keine Alternative. Wir (Europäer) können nicht die Vermittler sein, das ist klar (…) Und es können auch nicht die USA sein. Wer sonst? Es muss China sein, ich vertraue darauf“, sagte Borrell im Interview der spanischen Zeitung El Mundo.
Auch unter jenen Ländern, die der Resolution zustimmten, ist mit Brasilien das bedeutendste Land Lateinamerikas sehr verhalten in seiner Kritik gegen Russland. Dessen UNO-Botschafter hatte es vor der Abstimmung in einer Stellungnahme vermieden, Russland als Aggressor zu bezeichnen. Präsident Jair Bolsonaro hat die Neutralität seines Landes hervorgehoben und dabei erwähnt, dass man von russischen Düngemittellieferungen abhängig sei.
TE-Autor Tomas Spahn hat vermutliche Beweggründe für einige der Länder, die sich der Verurteilung Russlands verweigerten, hier zusammengetragen:
Ein Sonderfall ist auch die Haltung Israels zu Russland. Ähnlich wie Brasilien hat Israel zwar der Resolution zugestimmt, sich aber bislang mit kritischen Äußerungen gegen Russland zurückgehalten – und liefert nur humanitäre Hilfe, aber keine militärische für die Ukraine.
Israel betätigt sich bereits aktiv vermittelnd. Premierminister Naftali Bennet war Presseberichten zufolge am heutigen Samstag in Moskau zu Gesprächen mit Wladimir Putin und sprach anschließend mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und Bundeskanzler Scholz.
Hintergrund ist die Sicherheitskoordination, die Israel mit Russland in Syrien seit dessen Intervention 2015 pflegt. Nur im Einverständnis mit Russland glaubt man, den Iran aus Syrien heraushalten zu können. Wie TE-Autor Godel Rosenberg, der selbst in Israel lebt, schreibt: „Russland ist ein Nachbar Israels – eine Aussage, die Landkartenkundige leicht irritieren mag. Dennoch stimmt die Feststellung. Denn an der israelischen Nordgrenze zu Syrien steht seit Jahren russisches Militär. Moskau unterstützt seit einer Dekade den Despoten in Damaskus, Baschar Al-Assad, und hat gleichzeitig Absprachen mit Israel.“