Der Präsident hat gesprochen. Gut sechs Minuten lang in einer Aufzeichnung auf allen wichtigen Kanälen im französischen Fernsehen. Die Kathedrale Notre-Dame de Paris soll innerhalb von fünf Jahren wiederaufgebaut werden – und zwar „schöner als zuvor“. Experten bezweifeln indes, dass ein Wiederaufbau innerhalb dieser Zeit auch nur ansatzweise möglich ist. In Reims hat das 24 Jahre gedauert. Die Anfang des 13. Jahrhunderts fertiggestellte gotische Kathedrale war 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs von den Deutschen so stark unter Beschuss genommen worden, dass sie erst 1938 wieder benutzbar war. Auch der Ministerrat in Paris hat getagt, exklusiv zum Thema „Notre-Dame de Paris“. Die wichtigsten Ergebnisse: Für den Wiederaufbau des Spitzturms in der Mitte der Kathedrale soll ein internationaler Architektur-Wettbewerb ausgeschrieben werden, schon in der nächsten Woche soll ein Gesetz für besondere Steuerermäßigungen durch die Nationalversammlung gebracht werden. Eines der bekanntesten Gesichter der Gelbwesten-Proteste, Ingrid Levavasseur, hat ebenfalls gesprochen: Man solle nach Notre-Dame doch jetzt zur Wirklichkeit zurückkehren, forderte sie.
Emmanuel Macron sagte das so in seiner Fernsehansprache: „Nach der Zeit der Bewährungsprobe, folgt nun die Zeit des Nachdenkens, dann die Zeit des Handelns, wir sollten das aber nicht durcheinanderbringen. Lassen wir uns nicht in die Falle der Eile locken. Ich kenne diese falsche Ungeduld, nach der man in jedem Augenblick reagieren muss. Als ob es lediglich darum ginge, dass man die Dinge verwaltet, wenn man an der Spitze eines Landes steht.“ Es sei wichtig, „besser zu werden, als wir es derzeit sind“. Man werde den Gedanken an das leidenschaftliche, französische und humane Projekt schon bald wieder aufnehmen. Gesprochen hat Macron vom Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame.
In seiner kurzen Rede forderte der Präsident außerdem zur nationalen Einheit auf. Verstanden haben viele Franzosen, dass es sich zwischen den Zeilen um einen Appell an die Gelbwesten gehandelt hat. Denn an die wollte er sich unter anderem in seiner Ansprache vom Montagabend wenden, die er wegen der dramatischen Vorfälle in Paris auf unbestimmte Zeit verschob. Jetzt kündigte Macron an, er werde sich schon in den kommenden Tagen erneut an die Franzosen wenden, um die seit langem erwarteten Ergebnisse des sogenannten „Nationalen Dialogs“, der „Grand Débat“, mitzuteilen. Vom 15. Januar bis Ende März waren er und einige seiner Minister durch die Lande gezogen, um mit ausgesuchtem Publikum die nationalen Prioritäten seiner Politik zu diskutieren.
Brand verschafft Macron Aufschub
Der Brand hat Macron Aufschub verschafft. Allerdings ist der Inhalt seiner verschobenen Fernsehansprache inzwischen an die Presse durchgesickert, der Nachrichtenangentur „Agence France Presse (AFP)“ liegt eine Kopie eines Teils der Antworten vor. Demnach will der Präsident die Steuern für den Mittelstand senken, indem er „bestimmte fiskale Nischen“ abschafft und das Ende der sogenannten Reichensteuer, die „Impôt de Solidarité sur la Fortune (ISF)“, Anfang 2020 von unabhängiger Seite überprüfen lassen will. Renten unter 2000 Euro sollen der Inflationsrate angepasst werden, es habe in den vergangenen zwei Jahren einige Missverständnisse im Hinblick auf die Renten gegeben, das bedaure er. Bis 2022, das ist das Ende seiner Amtszeit, sollten keine Schulen und Krankenhäuser mehr geschlossen werden, es sei denn, die Bürgermeister der Gemeinden forderten das.
Viele Franzosen in den ländlichen Regionen fühlten sich im Stich gelassen. Eine der zentralen Forderungen der Gelbwesten, das sogenannte „Référendum d’Initiative Citoyen (RIC)“, eine Art auf Bürgerbegehren basierendes Referendum, will er auf lokaler Ebene zu bestimmten Themen zulassen. Außerdem will er die Eliteschule „ENA“ abschaffen und durch andere Institutionen ersetzen. Viele Franzosen halten die „École Nationale d’Administration“, aus der sich ein großer Teil der französischen Beamtenelite rekrutiert, für eine Schule für Kinder reicher Eltern. Bestätigt sind diese Vorschläge nicht, Macron will sich in den kommenden Tagen dazu äußern – vermutlich nach der Osterwoche, meinen Beobachter.
Ingrid Levavasseur, eines der bekanntesten Geischter der Gelbwesten, hält das alles bereits für „unzureichend“. Sie rief dazu auf, nach dem Brand in Notre-Dame zur Realität zurückzukehren und beklagte, dass die großen französischen Unternehmen sich zwar für die Restaurierung der Kathedrale finanziell engagierten, dem sozialen Elend in Frankreich aber indifferent gegenüberstünden. In den sozialen Medien sei eine steigende Wut festzustellen. Die enorme Spendenbereitschaft der Wirtschaft für Notre-Dame zeige, dass man durchaus dazu in der Lage sei, über Nacht eine große Summe Geld zusammenzubekommen. Levavasseur forderte Macron dazu auf, seine Antworten zu vertiefen und näher zu erklären.
Notre-Dame war nicht versichert
Notre-Dame gehört dem französischen Staat, nicht der katholischen Kirche. Und der Staat ist nicht verpflichtet, seine Besitztümer zu versichern: „Es gibt keine Versicherung für Notre-Dame“, zitiert denn auch die Tageszeitung „Le Parisien“ eine ungenannte Quelle in der Regierung. Woher also das Geld für die Renovierung nehmen? Man könnte es von den an den Restaurierungsarbeiten beteiligten Unternehmen einfordern, aber dazu müsste man zunächst einmal eindeutig die Brandursache klären. Und nachzuweisen, dass das Feuer wegen der Fahrlässigkeit einer der beteiligten Firmen ausgebrochen ist, gilt in Versicherungskreisen als äußerst schwierig. Also springen erst einmal Frankreichs große Unternehmen ein: Allein 500 Millionen Euro kommen von den drei reichsten Familien des Landes. 200 Millionen Euro spendet die Familie Arnault, ihr gehört die Luxusmarke LVMH. Zu der Gruppe zählen Marken wie Louis Vuitton, Fendi oder Christian Dior. Ebenfalls 200 Millionen Euro stellt die Familie Bettencourt zur Verfügung; sie steht etwa für die Marke L’Oréal. Immerhin 100 Millionen Euro spendet die Industriellen-Familie Pinault, der unter anderem die Investitionsgesellschaft Artémis gehört. Auch Total-Chef Patrick Pouyanné kündigte Hilfen von 100 Millionen Euro an. Dazu kommen Spenden in Millionenhöhe aus den Regionen und von der Stadt Paris.
Bis Mittwoch sammelten sich gut eine Milliarde Euro an. Premierminister Édouard Philippe kündigte an, dass schon in der kommenden Woche ein Gesetzentwurf präsentiert werde, nach dem Spenden von bis zu 1.000 Euro Steuerbefreiungen von 75 Prozent bringen würden, alles darüber 66 Prozent. Für Unternehmen und deren Stiftungen gälten die derzeitigen Vorschriften. Das sind demnach 60 Prozent der Spendensumme. Kritiker wie der Abgeordnete der Oppositionspartei „Les Républicains (LR)“, Gilles Carrez, meinen, das werde zur Folge haben, dass letztlich die öffentliche Hand den Großteil der Spenden tragen müsse. Von den 500 Millionen Euro der drei reichsten drei Familien Frankreichs würden demnach ganze 300 Millionen erstattet. François-Henri Pinault kündigte angesichts der Polemik an, seine Familie werde auf jegliche Rückerstattung verzichten. Unklar ist indes, wieviel die Renovierung der Kathedrale insgesamt kosten wird. Experten gehen von mehreren Milliarden Euro aus.