Auch wenn von der spanischen Regierung in diesen Tagen immer wieder zu hören gewesen sei, dass es keine Verbindung gäbe zwischen dem aufgekündigten Waffenstillstand der Polisario-Regierung in der Westsahara, dem wachsenden Jihadismus in der Sahelzone und den massiven Migrationswellen der vergangenen Wochen auf die Kanaren, „gibt es einen Zusammenhang“, stellt Sicherheitsexperte Fernando Cocho richtig. In Zeiten der Unsicherheit haben die Schlepperbanden ein leichtes Spiel. Der schwelende Konflikt in der Westsahara, die bis 1975 spanische Kolonie war und dann von Marokko annektiert wurde, wird durch die Aufhebung des Waffenstillstands der dortigen Milizen (Frente Polisario) erneut angeheizt.
Die Polisarios werden unter anderem von Algerien unterstützt. Die UN hat ihnen Selbstbestimmung versprochen, aber keiner traut sich, König Mohammed zu verärgern. Dieser drang kürzlich mit Truppen in die entmilitarisierte und von UN-Soldaten gesicherte Pufferzone am südlichen Zipfel der Westsahara ein, um eine Transitstrecke zu räumen. Der Konflikt eskalierte. „Die Sicherheitskräfte dringen willkürlich in Häuser ein“, berichtet der dort lebende Journalist Ahmed Ettalji, der sich selber in großer Gefahr sieht. Der linke Regierungspartner von Premier Pedro Sánchez fordert derweil, dass Spanien endlich Mut zeigt und die Selbstbestimmung der Westsahara unterstützt.
Die Folgen des Machtspiels der Kolonialmächte
Viele Marokkaner wie Hamza Chimine nutzen den Moment der Unsicherheit, um sich auf den Weg nach Europa zu machen. Der 24jährige ist IT-Entwickler und vor wenigen Wochen aus dem Surferparadies Dakhla in der südlichen Westsahara nach Gran Canaria übergesetzt: „Zwei Tage hat es gedauert. Ich habe 2.000 Euro bezahlt“. Er gehört zu den Privilegierten, die dort in Hotels untergebracht wurden, was für laute Kritik gesorgt hat. Der spanische Innenminister traf sich mit der marokkanischen Regierung, „aber niemand weiß, was dort beschlossen wurde“, kritisiert Oscar Camps, Chef der im Mittelmeer legal operierenden spanischen Seerettung Open Arms. Er klagt die spanische Regierung an: „480 Menschen sind in den vergangenen Wochen im Meer ertrunken, auch weil sie mit kleinen Fischerbooten starten und der Atlantik sehr gefährlich ist“. Wo diese vielen Boote herkommen?: „Die marokkanischen Fischer können wegen der Pandemie nicht arbeiten und vermieten ihre Boote“, berichtet er. Die kanarische Parlamentsabgeordnete Ana Oramas hält derweil alarmierende und dramatisierende Reden im nationalen Parlament, weil sie fürchtet, dass die Kanarischen Inseln zu Lampedusa oder Lesbos werden könnten.
„Migrationswellen sind kein Zufall“
Er bestätigt, dass viele in Marokko mit Jobsuchenden wie ihm enormes Geld machten. Die Schlepper gingen durch die Städte und versuchten die Leute zu animieren, illegal nach Spanien aufzubrechen: „Sie erzählen ihnen natürlich Lügen, wie toll es in Europa ist“, erzählt Hamza, der zu seiner Familie aufs spanische Festland will. Er ist anders als die meisten gebildet und weiβ, was ihn erwartet. Offiziell hat Spanien ein Rückführungsabkommen mit Marokko. „Aber das funktioniert nur sehr bedingt“, sagt Cembrero. Mohammed VI. wolle „lieber auf diese Weise den sozialen Protest außer Landes schaffen: „Gerade die jungen Menschen sind kritischer, was die politische Situation in Marokko angeht,“ erzählt der spanische Journalist, der kritisiert, dass er nicht frei arbeiten kann und nicht aus der Westsahara berichten darf: „Das erklärt auch, warum in der Presse so wenig darüber zu lesen ist, was übrigens wiederum im Sinne der spanischen Regierung ist“.
Der Gefahren-Faktor Algerien